Interview Noch viele Stolpersteine auf dem Weg zum digitalen Bürgerkonto
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25. Mai 2023, 17:29 Uhr
Die Bundesregierung plant für die Digitalisierung der deutschen Verwaltung eine grundlegende Strategie-Änderung. Künftig will sie die Behörden von Bund, Ländern und Kommunen dazu zwingen, für ihre digitalen Angebote ein digitales „Bürger-Konto“ eine "BundID" zu nutzen. Das ist der Kern des neuen Onlinezugangsgesetzes, das das Kabinett beschlossen hat. Darüber hat MDR AKTUELL mit Michael Pfefferle, Bereichsleiter Smart City und Smart Region beim Digitalverband Bitkom, gesprochen.
MDR AKTUELL: Was hat denn der Bürger von den geplanten Neuerungen? Was hat er vor allem von der "BundID"?
Michael Pfefferle: Mit der Gesetzesänderung möchte der Bund nun die sogenannte "BundID" stärker einführen. Die "BundID" ist eine Plattform - also eine Website – wo sie sich heute schon identifizieren und registrieren können, um dann zum Beispiel auf die Online-Dienstleistungen des Bundes zugreifen zu können.
Die große Änderung ist jetzt, es gibt nicht mehr drei Plattformen oder 16 Plattform für 16 Bundesländer, sondern es wird alles zentral auf einer Plattform zur Verfügung gestellt werden. Das heißt für Sie als Bürger, egal ob sie in Schleswig-Holstein oder in Baden-Württemberg leben, sie haben eine digitale Anlaufstelle und das ist zukünftig die "BundID", für alle digitale Leistungen.
MDR AKTUELL: Das klingt erstmal gut, klingt verlockend. Ab wann können wir damit rechnen?
Michael Pfefferle: Genau damit fängt das Problem an. Bisher ist das Ganze nämlich vor allem Theorie. In der Realität sieht das in Deutschland tatsächlich ganz anders aus. Der Bund hat zwar versprochen, dass bis 2022 575 Verwaltungsleistungen digital abgebildet werden. Tatsächlich sind wir in Deutschland aber noch meilenweit davon entfernt.
Das heißt, wir haben gar keine flächendeckende Digitalisierung der Online-Dienstleistungen von Bund, Ländern und Kommunen. Und das heißt für die Zukunft, es wird sehr, sehr mühsam. Es wird jetzt in den nächsten Jahren so sein, dass die Kommunen, aber auch die Bundesländer nach und nach ihre Angebote, ihre Dienstleistungen auf dieser "BundID" zur Verfügung stellen.
Und für uns als Bürger heißt es vor allem, es gibt gar keinen klaren Stichtag - also nicht Tag X 2025, wo wir auf dieser Plattform alles vorfinden werden. Und das ist eben das große Problem in Deutschland. Wir sind bei der Digitalisierung der Behörden immer noch im Schneckentempo unterwegs. Daran wird auch dieser Gesetzesänderungsausschlag nichts ändern.
MDR AKTUELL: Es gibt noch allerhand Stolpersteine. Wen sehen Sie denn in erster Linie in der Pflicht, diese Stolpersteine aus dem Weg zu räumen?
Michael Pfefferle: In der Pflicht ist vor allem der Bund, der viel stärker einheitliche Standards und auch Vorgaben geben sollte. Der soll aber vor allem auch viel stärker zentrale Angebote zur Verfügung stellen sollte. Also beispielsweise die Kfz-Abmeldung, die läuft ja im Grunde genommen jeder Kommune in jedem Landkreis gleich. Das ist äußerst fragwürdig, warum wir in Deutschland nicht einfach eine einheitliche digitale Lösung haben.
Was aber auch brauchen, das ist vor allem auch ein Recht auf digitale Lösung als auf digitale Anträge. Davon hat sich der Bund hier vor allem aber auch verabschiedet. Das heißt, wir haben tatsächlich ein ganzes Bündel an Problemen.
Und was ich noch als großes Problem ansehe, ist diese Ende-zu-Ende-Digitalisierung, die wir in deutschen Behörden nicht haben. Also bisher haben wir uns immer darauf fokussiert, wie stellen wir zum Beispiel eine Plattform zur Verfügung, auf der ich meinen Antrag stelle?
Es hat aber nie jemand darüber gesprochen, dass man doch mit dem Bürger vor allem auch digital kommunizieren sollte. Oder, dass die Behörden die Anträge auch digital bearbeiten sollten. Auch davon sind wir in Deutschland wirklich zehn Jahre hinter dem EU-Vergleich. Also, hier gibt es noch eine ganze Menge zu tun. Und im Grunde genommen gibt es hier, vor allem für die Behörden selbst sehr viel aufzuholen.
MDR AKTUELL: Sie sprechen von einem Recht auf digitale Anträge. Wie sieht es denn mit dem Pflichten aus? Sind denn alle Bürger verpflichtet, dann, wenn es denn kommt, das digitale Postfach zu nutzen?
Michael Pfefferle: Nein, also das ist tatsächlich nicht der Fall. Niemand wird verpflichtet sein, auf dieses digitale Postfach zugreifen zu müssen. Aber im Grunde genommen glaube ich, wenn wir eine gute Nutzerfreundlichkeit haben und eine hohe Akzeptanz haben in der Bevölkerung, dann wären die Menschen auch sehr gerne digitale Services nutzen.
Warum auch nicht, denn im Grunde genommen ist auch unser ganzer Alltag schon längst von digitalen Prozessen umgeben. Egal, ob es jetzt beim Online-Banking oder beim Online-Shopping, warum soll uns das eigentlich auch nicht bei digitalen Anträgen gelingen?
Und wenn wir einmal zu unseren Nachbarn gucken, zum Beispiel nach Dänemark, da sehen wir heute schon, dass 92 Prozent der Bevölkerung sehr gerne ihre Anträge online stellen. Nur acht Prozent, geht überhaupt noch aufs Amt. Und warum soll es bei uns in Deutschland nicht klappen?
MDR AKTUELL: Eine Angelegenheit, die ja gerne mal dann eingewandt wird, ist der Datenschutz? Wie steht es denn um den Datenschutz bei der "BundID"?
Michael Pfefferle: Beim Datenschutz habe ich bei der "BundID" tatsächlich keinerlei Bedenken. Also, das ist wirklich etwas, das von vornherein sehr zentral mitgedacht wurde. Und ich glaube, im EU-Vergleich sind wir bei diesem Thema häufig auch eher überambitioniert.
Was wir vor allem wichtig ist, dass diese Nutzerfreundlichkeit, aber auch die Akzeptanz digitaler Lösungen in Deutschland viel stärker in den Mittelpunkt gerückt werden muss. Ansonsten machen wir die gleichen Fehler wie bei Elster. Darauf greift bis heute eigentlich niemand gern und freiwillig zurück.
Dieses Thema im Programm: MDR AKTUELL | Das Nachrichtenradio | 25. Mai 2023 | 11:47 Uhr