Ein Sonnenschirm mit AfD Logo und dem Schriftzug "Die 'Friedliche Revolution' mit dem Stimmzettel" 41 min
Die AfD wirbt immer wieder mit Slogans, die an die positive Tradition der Friedlichen Revolution anknüpfen soll. Bildrechte: MDR Investigativ
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Nationalsozialismus und Holocaust, DDR und friedliche Revolution - prägende Kapitel der deutschen Geschichte. Wie macht die AfD mit dieser Geschichte Politik?

Exakt - Die Story Mi 14.08.2024 20:45Uhr 40:42 min

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Erinnerungskultur Wie die AfD mit deutscher Geschichte Politik macht

12. August 2024, 16:00 Uhr

Bei den anstehenden Landtagswahlen in Thüringen und Sachsen könnte die AfD laut Umfragen stärkste Kraft werden. In beiden Ländern und in Sachsen-Anhalt ist die Partei als gesichert rechtsextremistisch eingestuft. Eines der Themen, dass die Partei immer wieder politisch nutzt, ist die deutsche Geschichte. Wie und warum tut sie das?

Die AfD macht mit Geschichte Politik. Während die Partei in Bezug auf die Nazi-Zeit die Erinnerungskultur in Frage stellt, geht sie mit der DDR und dem Mauerfall anders um. Immer wieder stellt sich die AfD selbst in eine Reihe mit der Friedlichen Revolution, setzt die heutige Bundesrepublik mit der SED-Diktatur gleich, spricht von Stasi-Methoden.

"(...) Warum erinnert mich der aktuelle Zustand des Landes immer mehr an die DDR?", fragte etwa der AfD-Landesvorsitzende in Thüringen, Björn Höcke. Ebenfalls Anfang dieses Jahres behauptete der Brandenburger AfD-Landeschef, René Springer: "Die Grundordnung in der Bundesrepublik ist mittlerweile so freiheitlich, wie die DDR demokratisch war."

Gleichsetzungen der heutigen demokratischen Bundesrepublik mit der SED-Diktatur entbehren " jeglicher Fakten", sagt Historiker Sven Riesel von der Stiftung Sächsische Gedenkstätten. "Das zeugt entweder von einer unglaublichen Geschichtsvergessenheit oder dem Versuch einer Instrumentalisierung von Geschichte für eigene, heutige politische Zielsetzung."

Was die Stasi getan hat

Wie das SED-Regime und die Stasi Menschen unterdrückt und drangsaliert haben, das wird in der Gedenkstätte Bautzen aufgearbeitet. Im damaligen Stasi-Hochsicherheitsgefängnis hat die Stasi Regimekritiker, Umweltaktivisten, Menschen, die fliehen wollten, oder Fluchthelfer eingesperrt. Die Stasi war die Machtstütze der SED-Diktatur.

Es war eines der mächtigsten Repressionsapparate und Geheimdienste weltweit", so Riesel. Die Stasi habe Informationen gesammelt sowie Menschen verfolgt, verhört und inhaftiert. "Die Staatssicherheit hatte in Gerichtsverfahren gegen Oppositionelle, gegen Regimekritiker diese Gerichtsverfahren gelenkt. Sie hat die Urteile größtenteils vorgegeben.” Deshalb findet der Historiker es geschichtsvergessen, wenn AfD-Politiker Stasi-Vergleiche benutzen.

Was die AfD mit der Stasi vergleicht

Immer wieder setzt die AfD zum Beispiel journalistische Recherchen mit Stasi-Methoden gleich. Ein Beispiel: Anfang 2024 machte ein vertrauliches Treffen in einer Potsdamer Villa Schlagzeilen.  Dort sollen unter anderem AfD-Funktionäre über die sogenannte Remigration von Menschen mit Migrationsgeschichte gesprochen haben. Eine investigative Recherche des Journalistennetzwerks Correctiv.

Dazu sagte Co-Parteichefin Alice Weidel im Januar 2024: "Es ist skandalös, wenn linke Aktivisten mit Stasi-ähnlichen Geheimdienst- und Zersetzungsmethoden eine private Zusammenkunft angreifen, um unbescholtene Bürger abzuhören und auszuspähen."

Ähnlich äußerte sich Co-Parteichef Tino Chrupalla. Der schrieb auch 2019 in einem Brief an die Mitglieder seines AfD-Kreisverbands Görlitz über die Presse: "(...) dass die Presse eine Spaltungs- und Zersetzungsstrategie verfolgt. (...) Wir kennen das Spiel bereits aus der DDR. (...) Hintergrundinformationen über als Journalisten getarnte Zersetzungsagenten sind natürlich immer willkommen. (...)” Zersetzung,das war eine Methode der Stasi, die Chrupalla in diesem Schreiben Journalisten unterstellt.

Ob Tino Chrupalla die Gleichsetzung von Zersetzungsmethoden der Stasi mit der Arbeit von Journalisten auch heute noch für angemessen hält, hat MDR Investigativ schriftlich nachgefragt. Der AfD-Parteichef und die Pressestelle der Partei haben auf die E-Mail nicht reagiert. Auch die Bitte um ein Interview mit Alice Weidel blieb unbeantwortet.

Der Verfassungsschutz und die AfD

Auch der Verfassungsschutz wird von der AfD immer wieder in die Nähe der Stasi gerückt. Die AfD-Fraktion im sächsischen Landtag schrieb 2020 in einer Pressemitteilung: "(...) Die Regierung macht den Verfassungsschutz zur neuen Stasi. (...)"

2021 wurde bekannt, dass die AfD in Sachsen-Anhalt vom Verfassungsschutz beobachtet wird. Fraktionschef Oliver Kirchner reagierte mit einem Stasi-Vergleich: "Ich muss ganz ehrlich sagen, das erinnert mich wirklich an Zeiten von einer Diktatur, die wir hiervor hatten. Da gab‘s ‚´ne Stasi, die genau das gemacht hat, was jetzt passiert."

Ein Mann im Interview
Der Historiker Sven Riesel von der Stiftung Sächsische Gedenkstätten. Bildrechte: MDR Investigativ

"Diese bemühten Vergleiche, die vor allen Dingen von rechtsextremistischen Parteien, Kräften, Gruppierungen immer wieder angestrebt werden, sollen ja darauf abzielen, eine Gleichsetzung herzustellen", erklärt Historiker Riesel. "Die ist aus historischer Sicht absolut unzulässig." Anders als die Stasi damals, wird der Verfassungsschutz durch die Parlamente kontrolliert, sein Vorgehen kann von Gerichten überprüft werden.

Das muss man auch noch einmal klarstellen: Es ist kein Geheimdienst, der Menschen verhaftet, verfolgt, verhört, repressiert.

Sven Riesel Historiker

"Das muss man auch noch einmal klarstellen", sagt Riesel. "Es ist kein Geheimdienst, der Menschen verhaftet, verfolgt, verhört, repressiert, sondern der zuvorderst Informationen sammelt,auf verschiedenen Wegen,mit dem Ziel, extremistische Kräfte in Deutschland zu identifizieren.”

Die Inszenierung mit der Friedlichen Revolution

Plakat der AfD mit der Aufschrift "Vollende die Wende"
Plakat der AfD mit der Aufschrift "Vollende die Wende" Bildrechte: MDR Investigativ

Immer wieder inszeniert sich die AfD als verfolgte Opposition und stellt sich in die positive Tradition der Friedlichen Revolution von 1989. Vor fünf Jahren plakatierte die Partei Slogans wie: "Vollende die Wende”, "Friedliche Revolution auf dem Stimmzettel”, "Wir sind das Volk” und "Wende 2.0.”

Der damalige Co-Parteichef Alexander Gauland stellte die AfD 2018 in eine Reihe mit DDR-Bürgerrechtlern: "Wie damals, liebe Freunde, gehen heute unbotmäßige Bürger auf die Straße, um ihre Rechte einzufordern. Wieder werden diese Bürgerrechtler von Schlägern verfolgt, von den Medien diffamiert und in ihren Betrieben denunziert. Die einzige Oppositionspartei AfD ist sozusagen das aktuelle neue Forum.”

Ein Mann im Interview
Rainer Eckert galt für die Stasi als Staatsfeind. Bildrechte: MDR Investigativ

 "Das ist einfach eine Geschichtsverdrehung, die nicht durch nichts zu rechtfertigen ist", sagt Rainer Eckert. Er war Bürgerrechtler und beteiligt an der Friedlichen Revolution. Er war 1989 in mehreren Bürgerbewegungen aktiv und galt der Stasi als Staatsfeind. Eckert wurde zwar nicht inhaftiert, aber ihm wurde vor allem beruflich das Leben schwergemacht. In den Siebziger Jahren wurde er aus politischen Gründen der Universität verwiesen. Wie viele andere Bürgerrechtler empfindet er es als Missbrauch der Friedlichen Revolution, wenn die Slogans nutzt wie "Vollende die Wende”.

"Das ist ja Quatsch. ‚Vollende die Wende‘, heißt ja: Es ist uns nicht gelungen, diese Freiheit zu erreichen. Ist uns aber gelungen", sagt der ehemalige Direktor des Zeitgeschichtlichen Forums Leipzigs. Heute dürfe er etwa lesen, was er wolle. Als Student in der DDR habe er viele Bücher nur heimlich lesen können. Sogenannte bürgerliche Literatur zu lesen, sei ein Vergehen gewesen.  Das spiegele sich auch in den Akten wieder.

"Die staatsfeindliche Hetze war vor allen Dingen dann gegeben, wenn man die Bücher weiter verborgte.” Den Slogan "Vollende die Wende", hält Eckert für Unsinn. "Erst mal war es eine Revolution, keine Wende. Und unsere Revolution ist vollendet.”

Die unterschiedlichen Ziele von AfD und DDR-Bürgerrechtlern

Wir leben in einem Deutschland, das wir insgesamt bejahen und nicht, wie die AfD grundsätzlich umstürzen und verändern wollen.

Rainer Eckert Ehemaliger Bürgerrechtler

Dass AfD-Funktionäre sich heute in die Tradition der Montagsdemos in der DDR und der Bürgerrechtsbewegung stellen, lehnt Eckert strikt ab: "Es ist historisch falsch. Die Bürgerbewegung der DDR hatte andere Ziele als die AfD. Wir wollten auch keine Menschen ausgrenzen." Die Ziele damals seien Menschenrechte, Reisefreiheit und ein Ende der Diktatur gewesen. "Wir leben in einem Deutschland, das wir insgesamt bejahen und nicht, wie die AfD grundsätzlich umstürzen und verändern wollen,” so die Einschätzung des ehemaligen Bürgerrechtlers.

Der Historiker hat den Eindruck, dass sich heute zu wenige Menschen mit dem Wesen der DDR beschäftigen – dass viele zu wenig über die SED-Diktatur wissen. "Und die AfD dürfte kein Interesse daran haben, dass sich das ändert", so Eckert. Denn wenn man sich intensiver mit den Verhältnissen in der DDR auseinandersetzen würde, "könnte diese Propagandalüge: ‚Heute ist alles schlimmer als in der DDR‘, nicht aufrechterhalten werden. Da würden die Unterschiede ganz eklatant offen liegen."

Darum geht es bei der Erinnerungsarbeit wie zum Beispiel in der Gedenkstätte Bautzen. Die Aufarbeitung und das Erinnern sollen helfen, den Unterschied zu erkennen, zwischen einer echten Diktatur und einer Demokratie.

Dieses Thema im Programm: MDR+ | MDR exactly | 12. August 2024 | 17:00 Uhr

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