Hintergrund Wieso wird die Thüringer AfD vom Verfassungsschutz als rechtsextrem eingestuft?
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14. März 2024, 16:40 Uhr
Bald wird entschieden, ob der Verfassungsschutz die AfD in Deutschland als rechtsextremistischen Verdachtsfall einstufen darf. Der Thüringer Landesverband wird bereits als erwiesen rechtsextremistisch beobachtet. An welchen Anhaltspunkten macht der Thüringer Verfassungsschutz seine Entscheidung fest?
Der AfD-Landesverband in Thüringen wird vom Thüringer Amt für Verfassungsschutz seit März 2021 als "erwiesen rechtsextremistische Bestrebung" eingestuft, weil er verfassungsfeindliche Positionen vertritt. Diese sollen sich "in ziel- und zweckgerichteter Weise gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung" richten, heißt es im aktuellen Verfassungsschutzbericht aus dem Jahr 2023. Als Begründung für die Einstufung ist dort zu lesen: "Der Landesverband vertritt seit Jahren Positionen, die sich gegen die Menschenwürde, gegen das Demokratie- und gegen das Rechtsstaatsprinzip richten."
Verschiedene Anhaltspunkte für die Einstufung
Bei den Verstößen gegen die Menschenwürde geht es um islam- und ausländerfeindliche sowie um antisemitische und völkische Positionen der Thüringer AfD. Bei den Verstößen gegen das Demokratie- und Rechtsstaatsprinzip handelt es sich im Kern um die Behauptung, die Bundesrepublik sei kein souveräner, sondern ein von irgendwelchen Mächten fremdbestimmter Staat, sowie um Versuche des AfD-Landesverbands, die Gesetzmäßigkeit staatlicher Institutionen anzuzweifeln.
Dazu kommen geschichtsrevisionistische Positionen sowie Verbindungen von AfD-Funktionären mit anderen rechtsextremen Parteien, Organisationen und Personen. Aus Sicht der Behörde begründet dies insgesamt die Einstufung des Thüringer AfD-Landesverbands als "erwiesen rechtsextremistisch". So wie die AfD in Thüringen werden auch die Landesverbände in Sachsen und Sachsen-Anhalt durch die dortigen Geheimdienste "als erwiesen rechtsextremistisch" eingestuft.
Drei unterschiedliche Stufen
Die deutschen Verfassungsschutzämter gliedern die Beobachtung von mutmaßlichen oder tatsächlichen extremistischen Zusammenschlüsse in die drei Phasen
- "Prüffall",
- "Verdachtsfall" oder
- "erwiesen extremistische Bestrebung"
Mit der freiheitlichen demokratischen Grundordnung wird der Wesenskern des politischen Systems und der Wertvorstellungen der Bundesrepublik beschrieben. Der Bundeszentrale für politische Bildung zufolge ist die Grundordnung freiheitlich, weil sie "das Individuum vor staatlicher Willkür bewahrt", sowie demokratisch, weil sie ihm "erhebliche Teilhabe bei der Gestaltung des Gemeinwesens zuspricht und garantiert".
Verstöße gegen die Menschenwürde
Der Schutz der Menschenwürde ist ein zentrales Menschenrecht. In Artikel 1 des Grundgesetzes heißt es: "Die Würde des Menschen ist unantastbar." Das bedeutet, dass diese Würde auf keinen Fall verletzt werden darf. Dahinter steht die Annahme, dass alle Menschen gleich wertvoll sind, egal welche Religion sie haben, aus welchem Land sie kommen oder ob sie Frauen oder Männer sind. Laut Thüringer Verfassungsschutz verstoßen unter anderem islam- und ausländerfeindliche sowie antisemitische und völkische Positionen der Thüringer AfD gegen dieses grundgesetzlich geschützte Gebot.
Beispiel: Äußerung von Björn Höcke
Konkret geht es dabei auch um Wortmeldungen des Landesparteichefs Björn Höcke. Bei Facebook postete er 2021 im Zusammenhang mit einer Gewaltstraftat das Bild eines Schlachtermessers sowie den Text: "Wer halb Kabul aufnimmt, hilft nicht etwa Kabul, sondern wird selbst Kabul."
Laut Verfassungsschutz unterstelle der Parteisprecher damit eine "kulturell bedingte Gewaltaffinität unter Muslimen". Höcke argumentiere, bestimmte Gewaltstraftaten entsprängen "direkt der Orientierung an der Scharia" und seien somit "nicht individuell zu bewerten, sondern kulturell" bedingt. "Wo aber aus einem Gruppenmerkmal ein Tatmotiv abgeleitet wird, wird nicht mehr das Individuum bewertet, sondern der Einzelne auf Gruppenmerkmale reduziert", heißt es. Dies stelle einen "evidenten Verstoß gegen das Menschenwürdeprinzip" dar.
Ethnisch-homogener Volksbegriff: "Unterbau" der Thüringer AfD
"Wir Deutschen sollen ersetzt werden, und das dürfen wir nicht zulassen", behauptete Höcke 2022 während einer Rede in Zwickau. Dabei bezog er sich auf die Verschwörungserzählung des sogenannten "Großen Austausches".
Damit ist die Unterstellung gemeint, irgendwelche Eliten betrieben im Geheimen eine Art "Austausch" der deutschen Mehrheitsbevölkerung durch Zuwanderer. Laut Geheimdienst vertrete die Thüringer AfD das "Konzept des Großen Austausches offensiv". Sie kombiniere damit "völkisch-ethnische, evident geschichtsrevisionistische und antisemitische Positionen".
Eng verbunden mit dem Verbreiten dieser Verschwörungserzählung durch die Thüringer AfD ist deren Ziel eines ethnisch-homogenen Volkes - einer Bevölkerung also, die nur aus Menschen mit weißer Haut bestehen soll. Dazu schreibt der Verfassungsschutz: "Das Ziel eines ethnisch-homogen Volkes stellt den ideologischen Unterbau der AfD Thüringen dar". Dieses Konzept sei mit "Wertungen" verbunden, die zu einer "Abwertung zugewanderter Menschen" führten.
"Rassistische Positionen", argumentiert die Behörde, "gehen von einer biologisch begründeten und damit irreversiblen Ungleichheitsannahme zwischen einzelnen Menschen und Bevölkerungsgruppen aus." Sie seien "evident grundgesetzwidrig, weil sie den einzelnen Menschen, der im Zentrum der freiheitlichen demokratischen Grundordnung steht, auf dessen biologisch abgeleitete ethnische Zugehörigkeit" reduzierten.
Verstöße gegen das Demokratie- und Rechtsstaatsprinzip
"Beenden wir gemeinsam die Herrschaft einer offenbar ferngesteuerten, selbsthassenden und inkompetenten Politikerkaste", forderte Höcke 2022 bei Facebook. Im Verfassungsschutzbericht taucht dieses Zitat auf, weil sich der Parteichef damit auf die "Verschwörungserzählung einer äußeren Steuerung der Parteienlandschaft durch die Westalliierten" bezieht.
"Indem Höcke behauptet, Deutschland sei von den Siegermächten des Zweiten Weltkrieges besetzt und kontrolliert, bestreitet er die Rechtmäßigkeit und Handlungsfähigkeit der gewählten Bundesregierung", heißt es. Dabei handele es sich um "Verstöße gegen das Demokratieprinzip".
Wer, wie die AfD Thüringen, staatliche Stellen als politisch einseitig gelenkt darstellt und die verfassungsmäßige Ordnung der Bundesrepublik als vermeintlich diktatorisches System verächtlich macht, spricht staatlichen Institutionen ihre Rechtmäßigkeit ab.
Als Beispiel dafür nennt der Geheimdienst einen Facebook-Post von Höckes Co-Sprecher Stefan Möller aus dem Jahr 2021, in dem er unterstellt, für "normale Bürger" gäbe es in Deutschland keinen "effektiven Rechtsschutz" durch das Bundesverfassungsgericht. Damit spreche Möller den "unabhängigen Gerichten ihre Kontrollfunktion und somit der Bundesrepublik ein System demokratischer Gewaltenteilung" zu sein ab.
Geschichtsrevisionismus
Der Verfassungsschutz begründet die Einstufung auch mit geschichtsrevisionistischen Positionen der Thüringer AfD. Mit solchen Positionen soll die Vergangenheit absichtlich umgedeutet werden. Dazu heißt es im Verfassungsschutzbericht des Jahres 2022: "Die geschichtsrevisionistische Agenda wirkt in die Breite des Landesverbandes hinein."
Als Beispiel wird ein Internet-Post eines Mitglieds der AfD-Fraktion des Kreistages Nordhausen genannt, in dem laut Geheimdienst durch "gezielte Täter-Opfer-Umkehr die zivilen Opfer der Bombenangriffe auf Dresden 1945 in einen Kausalzusammenhang mit der heutigen Situation der AfD" gestellt werden. Damit versuche sich der AfD-Funktionär zu einem "historischen und gegenwärtigen Opfer" zu stilisieren. Es solle "historische Schuld des deutschen Volkes relativiert oder beschwiegen" werden.
Versuche, die Verbrechen der Nationalsozialisten zu relativieren, sind seit 1945 ein Dauerthema im rechtsextremen Milieu. Dahinter steht die Annahme, dass das Erinnern an die Verbrechen das Nationalgefühl der deutschen irgendwie schwächen würde.
Dazu schrieb Björn Höcke 2020 bei Facebook: "Mit dieser Form staatlich verordneter 'Erinnerungs'-Kultur sollen gebrochene Menschen geschaffen werden, die komplexbeladen und unerlöst und stets um Vergebung bettelnd ihre Erbsünde mit sich durchs Leben schleppen."
Kontakte zu rechtsextremen Gruppierungen
Auch wegen Verbindungen von AfD-Funktionären mit anderen rechtsextremen Parteien, Organisationen und Personen hat der Verfassungsschutz den Thüringer Landesverband als "erwiesen extremistisches Beobachtungsobjekt" eingestuft. Beispielsweise sollen nach ARD-Recherchen im März 2024 AfD-Bundestagsabgeordnete mehr als 100 Mitarbeiter beschäftigen, die laut Verfassungsschutz in rechtsextremen Organisationen aktiv sind.
Die Thüringer AfD ist im Berliner Parlament mit fünf Abgeordneten vertreten. Darunter der Rechtsanwalt Jürgen Pohl, der laut den Recherchen Frank Pasemann beschäftigen soll. Der ehemalige Bundestagsabgeordnete aus Sachsen-Anhalt wurde 2020 aus der Partei ausgeschlossen. Dabei war es unter anderem um Antisemitismus gegangen.
Bis dahin war Pasemann nach Recherchen von MDR THÜRINGEN Schatzmeister eines Vereins, der 2018 in Erfurt von Mitgliedern der inzwischen aufgelösten rechtsextremen Parteiströmung "Flügel" um Björn Höcke gegründet worden war.
Diese Verbindungen sind auch Thema in einem vertraulichen Dokument des Geheimdienstes aus dem Jahr 2021, das dem MDR vorliegt. Auch darin begründet der Verfassungsschutz die Einstufung mit "Kontakten zentraler Funktionsträger des Landesverbandes in die rechtsextremistische Szene" wie zu Akteuren der Neuen Rechten sowie zur rechtsextremen "Identitären Bewegung". Gemeinsames Ziel sei die Etablierung eines "Widerstandsmilieus".
Im aktuellen Verfassungsschutzbericht heißt es dazu: "Der Landesverband Thüringen selbst stellt die AfD ins Zentrum eines Geflechtes rechtsextremistischer oder durch Rechtsextremisten mitgeprägter Organisationen."
Als Beispiele nennt die Behörde die Kleinstpartei Freie Sachsen, Pegida sowie das Umfeld des rechtsextremen "Compact"-Magazins. Mittels dieses "Vorfeldes" unterstütze der Landesverband den "Ausbau eines Debattenraumes, in dem Positionen gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung nicht nur toleriert, sondern als Mehrheitsmeinung etabliert" werden sollen.
MDR (dst)
Dieses Thema im Programm: MDR AKTUELL | Nachrichten | 13. März 2024 | 12:00 Uhr
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