Selbstverteidigung Notwehr bei einem Angriff: Was ist erlaubt?
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10. April 2024, 07:54 Uhr
Wer angegriffen wird, hat das Recht auf Selbstverteidigung – auch mit Gewalt. Unter welchen Voraussetzungen ein Gegenangriff als Notwehr gilt und wie weit man dabei gehen darf, erfahren Sie hier.
Inhalt des Artikels:
- Was gilt vor dem Gesetz als Notwehr?
- Wie sehr darf ich meinen Angreifer oder meine Angreiferin verletzen?
- Darf ich Waffen zur Notwehr einsetzen?
- Ich habe mich gegen einen Angriff gewehrt – was muss ich danach tun?
- Wie verhalte ich mich gegenüber der Polizei?
- Wie kann ich mich auf eine Notwehr-Situation vorbereiten?
"Sich zur Wehr zu setzen, kann Schlimmeres verhindern." Das schreibt die Polizeiliche Kriminalprävention des Bundes und der Länder auf ihrer Webseite zum Thema Selbstbehauptung bei einem körperlichen Angriff. Denn viele Täter würden bei massiver Gegenwehr den Angriff abbrechen. So könnten etwa neun von zehn Frauen den Täter mit viel Gegenwehr zur Aufgabe bewegen.
Benjamin Aytekin von der Polizeilichen Kriminalprävention erklärte auf Anfrage von MDR AKTUELL jedoch auch, man rate dringend davon ab, sich selbst in Gefahr zu bringen. Stattdessen sollte man sich aus entsprechenden Situationen entfernen oder Hilfe holen. "Doch wenn einem Angriff nicht mehr ausgewichen werden kann, sollte man sich nach Kräften zur Wehr setzen, um einen Angreifer nach Möglichkeit in die Flucht zu schlagen." Doch unter welchen Voraussetzungen und bis zu welchem Punkt gilt das als Notwehr und ist legal?
Was gilt vor dem Gesetz als Notwehr?
In Paragraf 32 des Strafgesetzbuches ist Notwehr als "die Verteidigung, die erforderlich ist, um einen gegenwärtigen rechtswidrigen Angriff von sich oder einem anderen abzuwenden" definiert. Als Angriff gelten dabei nicht nur körperliche Attacken, sondern auch Diebstahl persönlichen Eigentums oder Beleidigungen, sagt Christian Janeczek von der Arbeitsgemeinschaft Strafrecht des Deutschen Anwaltvereins (DAV).
Der Dresdner Rechtsanwalt erklärt weiter, ein Angriff gelte als gegenwärtig, wenn dieser gerade erfolge oder unmittelbar bevorstehe. Man darf sich also nicht erst wehren, wenn man etwa den ersten Schlag abbekommen hat, sondern auch schon vorher. "Der erste Schlag muss quasi unterwegs sein."
Wie sehr darf ich meinen Angreifer oder meine Angreiferin verletzen?
Wer sich gegen einen Angriff wehrt, muss das mildeste Mittel wählen, das geeignet ist, um den Angreifer oder die Angreiferin unschädlich zu machen. "Das heißt, wenn mich jemand körperlich angreift, kann ich mich körperlich so weit wehren, dass er oder sie kampfunfähig wird", sagt Janeczek.
Ist das der Fall, sollte man seinen Angriff stoppen. Wer dann weiterhin angreift, also etwa nachtritt, wenn der Angreifer schon am Boden liegt, überschreitet die Grenzen der Notwehr. Geschieht das aber aus Verwirrung, Furcht oder Schrecken, wird man nicht bestraft. So steht es in Paragraf 33 des Strafgesetzbuches.
Christian Janeczek sagt dazu: "Kann der Angreifer eigentlich nicht mehr aufstehen, ich befürchte es aber und greife weiter an, dann unterliege ich sozusagen einem Irrtum über die Gegenwärtigkeit der Notwehrlage. Ich schieße also über das Ziel hinaus ohne es zu wollen – dann bin ich zwar nicht mehr gerechtfertigt, aber entschuldigt im rechtlichen Sinne."
Darf ich Waffen zur Notwehr einsetzen?
Auch Gegenwehr mit einer Waffe kann Notwehr sein. Etwa wenn der Angreifer selbst eine Waffe hat, zum Beispiel ein Messer. "Dann kann auch eine Schusswaffe das mildest mögliche Mittel sein, um sich zu wehren", erklärt Janeczek.
Und grundsätzlich könne ein Gegenangriff mit einer Waffe durchaus auch dann als Notwehr gelten, wenn der Angreifer selbst nicht bewaffnet ist. "Zum Beispiel, wenn man dem Angreifer körperlich unterlegen ist." Die Polizei rät vom Tragen von Waffen wie Messer oder Pfefferspray aber grundsätzlich ab, auch weil diese gegen einen verwendet werden könnten.
Ich habe mich gegen einen Angriff gewehrt – was muss ich danach tun?
Ist der Angreifer kampfunfähig und braucht Hilfe, ist man verpflichtet, den Rettungsdienst zu rufen. Ansonsten macht man sich Janeczek zufolge der unterlassenen Hilfeleistung schuldig. "Es besteht aber keine Verpflichtung, vor Ort zu bleiben." Insbesondere wenn man befürchtet, dass der Angreifer sich erholen und erneut zur Gefahr werden könne.
Das Landeskriminalamt Sachsen teilt hierzu auf Anfrage von MDR AKTUELL mit, man solle Ruhe bewahren und sich gegebenenfalls aus der Gefahrensituation ziehen. Das LKA schreibt weiter: "Ziehen Sie Polizei und Rettungsdienst und gegebenenfalls auch Passanten hinzu – je nach Umständen kann hier eine Rechtspflicht zum Hilfe leisten vorliegen, evtl. muss auch Erste-Hilfe geleistet werden. Bitten Sie Passanten, [...] am Ereignisort zu bleiben, um als Zeuge zur Verfügung zu stehen." Das sie eine wichtige Funktion in Notwehrkonstellationen.
Wie verhalte ich mich gegenüber der Polizei?
Christian Janeczek zufolge sollte man der Polizei gegenüber als Beschuldigter zunächst keine Angaben machen. "Ich habe ja mit der Gegenwehr Körperverletzung und damit eine Straftat begangen. Dass diese durch Notwehr gerechtfertigt war, muss von einem Gericht erst festgestellt werden, daher wird auch erstmal ein Strafverfahren eingeleitet." Deshalb müsse man sich der Polizei noch nicht einmal zu erkennen geben, weil man als Beschuldigter ein Aussageverweigerungsrecht habe.
"Wenn ich nichts sage, kann es nicht gegen mich verwendet werden", sagt Janeczek. Wer als Zeuge geladen wird, müsse zwar die Fragen der Polizei beantworten, aber nicht, wenn der- oder diejenige sich damit der Gefahr eines Strafverfahrens aussetze. Und tatsächlich könne es schwierig sein, Notwehr nachzuweisen – etwa wenn man selbst keinerlei Verletzungen davongetragen habe, weil man sich gewehrt habe, bevor der erste Schlag treffen konnte.
"Wenn aus Sicht des Gerichts sehr weit offen ist, ob überhaupt eine Notwehrlage bestanden hat, dann ist die Gefahr hoch, dass ich verurteilt werde, obwohl ich vielleicht tatsächlich in Notwehr gehandelt habe." Auch aus diesem Grund sollte man Janeczek zufolge einem Angriff immer ausweichen anstatt ihm entgegenzugehen, wenn die Möglichkeit besteht. In jedem Fall sei es sinnvoll, einen Anwalt einzuschalten.
Wie kann ich mich auf eine Notwehr-Situation vorbereiten?
Benjamin Aytekin von der Polizeilichen Kriminalprävention erklärt, unvermittelte körperliche Angriffe auf offener Straße seien entgegen der Meinung vieler Menschen eher selten. "Generell raten wir zu Aufmerksamkeit gegenüber der Umgebung bzw. anderen Personen, um frühzeitig bedrohliche Situationen zu erkennen, zu umgehen und Hilfe zu holen."
Es sei auch sinnvoll, bestimmte Situationen gedanklich durchzuspielen und sich mögliches eigenes Verhalten zu überlegen, sagt Aytekin. Einmalige Selbstverteidigungskurse stellten jedoch keine effektive Präventionsmaßnahme dar. "Es bedarf ständigen regelmäßigen Trainings, um entsprechende Techniken zu erlernen und gerade in Stresssituationen sicher anzuwenden." Und auch dann gebe es keine Garantie für Erfolg.
Dieses Thema im Programm: MDR AKTUELL | Das Nachrichtenradio | 09. April 2024 | 13:35 Uhr