Europäische Fahnen.
In den vergangenen Jahren haben sich viele Staaten im Osten Europas der EU angeschlossen. Wie hat sich das auf den deutschen Arbeitsmarkt ausgewirkt? Bildrechte: Colourbox.de

Zuwanderung 20 Jahre EU-Osterweiterung: Was waren die Folgen für den deutschen Arbeitsmarkt?

29. April 2024, 05:00 Uhr

Als vor 20 Jahren die Staaten Osteuropas der EU beitraten, gab es neben Jubel auch Ängste. Viele fürchteten, dass Polen und Tschechen auf den deutschen Arbeitsmarkt drängen und Einheimischen die Jobs wegnehmen. Wegen solcher Befürchtungen gab es für Osteuropäer noch einige Jahre Arbeitsbeschränkungen. Sie durften trotz des EU-Beitritts erst mit Verzögerung in Deutschland arbeiten. Aber wie viele sind bis heute gekommen? Und war das nun gut oder schlecht?

Ralf Geißler, Wirtschaftsredakteur
Bildrechte: MDR/Isabel Theis

Jiřina Pohlodková ist in der deutschen Welt der Kleingärten angekommen. Die Tschechin betreibt seit April ein Lokal in der Gartensparte Heimaterde in Annaberg-Buchholz. Viele Monate hatte der Vorstand neue Betreiber gesucht – und niemanden gefunden. Nun serviert Pohlodková inmitten von Gartenlauben Knödel, Gulasch und panierten Käse. Ihren ersten Job in Deutschland hatte die Tschechin schon vor zwölf Jahren, als Angestellte eines Dönerladens. Sie sei in Tschechien ohne Arbeit gewesen, sagt sie. Dann habe sie sich entschieden, nach Deutschland zu fahren.

820.000 mehr Beschäftigte durch EU-Osterweiterung

Insgesamt sind seit der EU-Osterweiterung 820.000 Beschäftigte aus den damaligen Beitrittsstaaten nach Deutschland gekommen. So steht es in einer Studie des ifo-Instituts. In den grenznahen Regionen pendeln Polen und Tschechen nach Deutschland täglich ein und aus. Dauerhaft niedergelassen haben sich viele Osteuropäer vor allem in West- und Süddeutschland. Arbeit gab es für sie genug, sagt der Migrationsforscher Jochen Oltmer: "Also, wenn man sich anschaut: Dieses ganze Logistikgewerbe. Die Menschen, die Pakete ausfahren, beispielsweise. Der gesamte Bereich des Straßenverkehrs, Berufskraftfahrer, Baugewerbe. Das sind alles Bereiche, in denen sie so gut wie keine Arbeitskräfte finden und in die vor allen Dingen Osteuropäerinnen und Osteuropäer gegangen sind."

Viele Osteuropäer haben Jobs übernommen, für die sich Deutsche zu schade waren. Dabei gab es vor der EU-Erweiterung große Sorgen, ob der deutsche Arbeitsmarkt den Zustrom überhaupt verkraften kann. Damals geisterten Zahlen durch die Medien, dass Millionen kommen wollen und den Deutschen ihre Arbeit wegnehmen könnten. Die letzten Hürden auf dem deutschen Arbeitsmarkt fielen deswegen erst 2011, erinnert sich Thomas Horn von der Wirtschaftsförderung Sachsen: "Die sächsische Staatsregierung hat damals eigentlich schon gesagt: Die Ängste sind überhöht. Es wird so nicht kommen. Aber es war nun mal diese Stimmungslage Ende der neunziger Jahre. Wir hatten in Sachsen eine zweistellige Arbeitslosigkeit. Weit über 15 – fast 20 Prozent – in Ostsachsen auch. Und da war natürlich die Sorge da: Was ist, wenn neue Beschäftigte dazu kommen?"

Zuwanderung aus Polen und Tschechien weniger geworden

Inzwischen fragt sich mancher Unternehmer eher, ob noch genug kommen. Die Zuwanderung aus Polen und Tschechien geht zurück. Das liege daran, dass diese Länder inzwischen selbst einen Fachkräftemangel haben, sagt Klaus-Jürgen Gern vom Institut für Weltwirtschaft in Kiel. "In vielen Ländern ist die Arbeitslosenquote extrem niedrig. Tschechien hat beispielsweise die niedrigste Arbeitslosenquote überhaupt in der Europäischen Union. Und hier kommt es dann eben zu Engpässen an den heimischen Arbeitsmärkten."

Einige Osteuropäer kehren deshalb in ihre Heimatländer zurück. Jiřina Pohlodková will ihren Job in der Kleingartensparte behalten. Sie hat gleich noch zwei weitere Tschechen in dem Lokal eingestellt. Ein Kellner sei sehr fleißig, erzählt sie, er wohne jetzt auch in Deutschland und habe Lust weiter zu arbeiten.

Dieses Thema im Programm: MDR AKTUELL | Das Nachrichtenradio | 29. April 2024 | 06:18 Uhr

Mehr aus Panorama

Nachrichten

Fotocollage mit Video
Bildrechte: picture alliance/dpa | Bernd von Jutrczenka, picture alliance/dpa | /Frank Rumpenhorst, MDR/Philipp Brendel , IMAGO/Newscom / GDA, IMAGO/Middle East Images, IMAGO / photothek, picture alliance/dpa | Frank Hammerschmidt, IMAGO/Middle East Images

Mehr aus Deutschland