Verkehrssicherheit Warum es trotz Notbremsassistenten so oft zu Lkw-Unfällen kommt
Hauptinhalt
16. September 2024, 05:00 Uhr
Ein sogenannter Notbremsassistent leitet eine Notbremsung ein, wenn der Fahrer auf eine Hindernis zufährt und nicht reagiert. Seit Juli ist er bei allen neuzugelassenen Autos Pflicht – bei Lkw schon länger. Trotzdem kommt es immer wieder zu schweren Lkw-Unfällen.
- Notbremsassistenten sind auch bei Lkw Pflicht, allerdings werden sie von Fahrern immer wieder abgeschaltet.
- Wenn sie eingeschaltet sind, können sie jedoch Auffahrunfälle verhindern.
- Das Bundesverkehrsministerium will deshalb ein Abschaltverbot einführen.
Seit Juli ist er bei allen neuzugelassenen Pkw Pflicht: der Notbremsassistent an Bord. Unser Hörer Thomas Heidler aus Dresden will wissen, warum nicht auch Lkw mit einem Notbremsassistenten ausgestattet sein müssen. "Mich würde interessieren, wie viele Schwerverletzte oder sogar tödliche Unfälle hätte man verhindern können, wenn die Lkw damit ausgestattet wären."
Michael Gebhardt, Sprecher beim ADAC, sagt, dass in Lkw schon deutlich länger Notbremsassistenten vorgeschrieben sind. "Da hat man schon 2015 angefangen, das verpflichtend vorzuschreiben für Lkw über acht Tonnen und seit 2018 für Lkw über 3,5 Tonnen – also alles, was nicht mehr als Pkw zählt."
Notbremsassistent kann übersteuert werden
Auf deutschen Autobahnen seien deshalb eigentlich kaum noch Lkw ohne Notbremsassistent unterwegs, sagt Henrik Liers. Er ist der Geschäftsführer der Verkehrsunfallforschung an der TU Dresden. Dass es trotzdem noch zu schweren Auffahrunfällen durch Lkw kommt, habe verschiedene Gründe. Manche Fahrer würden das System bewusst abschalten. Außerdem könne das System übersteuert werden: "Das heißt, der Fahrer kann eine Reaktion zeigen: Er kann sich beispielsweise durch den Warnton erschrecken und Vollgas geben, das machen nicht wenige. Oder er möchte noch ausweichen und lenkt – das führt immer dazu, dass das System übersteuert wird und dann in der Situation außer Funktion ist."
Auch bei glatten oder nassen Straßen kann der Notbremsassistent möglicherweise weniger ausrichten. Dass das System ausgeschaltet wird, liegt nach Einschätzung von Liers auch an Unwissenheit: Zum Überholen oder Kraftstoff sparen würden Lkw oft viel zu nah an das Vorderfahrzeug heranfahren. Damit das geht, schalten die Fahrerinnen und Fahrer den Abstandsregeltempomat aus – und mit dazu oft gleich noch den Notbremsassistenten. Auch, wenn der nur in einer absolut brenzligen Situation anspringen würde.
Notbremsassistent kann Unfälle verhindern
Liers geht aber trotzdem davon aus, dass der Notbremsassistent bereits viele Unfälle vermieden hat – Zahlen dazu gibt es nicht. Bei 274 Unfällen mit Verkehrstoten auf deutschen Autobahnen im vergangenen Jahr waren in 19 Fällen Lkw die Verursacher.
Der Unfallforscher überschlägt: "Bei diesen Fällen kann man mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit davon ausgehen, dass es eben ein solcher Auffahrunfall eines Lkw auf ein vorausfahrendes oder stehendes Fahrzeug war. Das heißt, diese 19 Unfälle sind auf jeden Fall in dem Wirkfeld eines solchen Notbremsassistenten." Wenn der Notbremsassistent wirklich eingeschaltet sei, könne man wahrscheinlich einige dieser Unfälle und damit auch Todesfälle vermeiden.
Verkehrsministerium will Abschaltverbot einführen
Das Bundesverkehrsministerium will die Gesetzeslage verschärfen. Es teilte MDR AKTUELL schriftlich mit: "Das Bundesministerium für Digitales und Verkehr wird daher ein Abschaltverbot von Notbremsassistenzsystemen für Kraftfahrzeuge über 3,5 Tonnen ab einer Geschwindigkeit von über 30 km/h in die Straßenverkehrsordnung einführen. Der Bundesrat hat bereits zugestimmt."
Bis Ende des Monats soll die Novelle verkündet werden und in Kraft treten. Michael Gebhardt vom ADAC und auch Unfallforscher Henrik Liers begrüßen das. Und beide appellieren auch an die Lkw-Hersteller: Je besser und moderner der Notbremsassistent, desto mehr Leben können potenziell gerettet werden.
Dieses Thema im Programm: MDR AKTUELL | Das Nachrichtenradio | 16. September 2024 | 06:25 Uhr