Faktencheck zum Bevölkerungsschutz Gab es nach dem fehlgeschlagenen Warntag 2020 Konsequenzen?
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24. Juli 2021, 11:44 Uhr
Nach dem verheerenden Hochwasser im Westen Deutschlands stellt sich die Frage, ob die Warnsysteme funktioniert haben. Diese sollten eigentlich schon nach dem Warntag-Fiasko im Herbst 2020 verbessert werden. Doch ist das wirklich passiert?
Im vergangenen September gab es den ersten bundesweiten Warntag, ein gemeinsames Projekt von Bund und Ländern. Damals sollten die technischen Systeme wie die Warnapp Nina oder der Sirenenalarm getestet und die Bevölkerung sensibilisiert werden. Doch selbst das CSU-geführte Innenministerium hatte den Probealarm im Nachhinein als "fehlgeschlagen" bezeichnet. Als Konsequenz musste der Chef der Behörde seinen Stuhl räumen. "Die Vorgänge werden jetzt umfassend aufgearbeitet", hieß es damals außerdem. Doch nach dem verheerenden Hochwasser in Nordrhein-Westfalen und Rheinland-Pfalz stellt sich die Frage: Ist das geschehen?
Aussage: "Die Erkenntnisse aus dem bundesweiten Warntag zur Verbesserung des Warnsystems wurden konsequent umgesetzt und die Nutzung von Cell-Broadcasting als zusätzlichem Warnmittel wurde geprüft."
Fakt 1: Probleme bereits beim Warntag
Beim Warntag zeigten sich bereits umfassende Probleme, sowohl bei digitalen Warnungen als auch bei analogen. So kamen die Gefahrenmeldungen über die Warnapps Nina und die Katwarnapp erst rund eine halbe Stunde zu spät auf den Handys an – im echten Katastrophenfall kann es dann schon zu spät sein. Der ehemalige BKK-Chef Christoph Unger sagte damals, dass erste Analysen ergeben hätten, dass nicht nur wie geplant eine zentrale Warnung ausgelöst wurde, sondern viele andere angeschlossene Leitstellen ebenfalls eigenständig Warnungen herausgegeben hätten. Das habe zu einer Überlastung des Systems geführt. Zudem gaben viele Sirenen gar keinen Alarmton ab.
In Folge des fehlgeschlagenen Warntags musste BBK-Präsident Unger sein Amt räumen, Nachfolger wurde Armin Schuster (CDU). Er sollte die Behörde umstrukturieren. Der für diesen Herbst geplante Warntag wiederum wurde erst Anfang Juli abgesagt. Statt im Herbst 2021 soll dieser nun ein Jahr später stattfinden.
Fakt 2: Probleme wurden angegangen – Lösung dauert aber
Doch wie ist die Situation heute? Ob Bund und Länder aus dem Warntag-Fiasko gelernt haben, bleibt unklar. Die Signale dazu sind unterschiedlich: Noch im März hatten BBK und Bundesinnenministerium (BMI) in einem Konzept zur Neuausrichtung des BBK geschrieben: "Erkenntnisse aus dem bundesweiten Warntag zur Verbesserung des Warnsystems werden konsequent umgesetzt."
In einer rund einen Monat später veröffentlichten und fast durchgehend wortgleichen Stellungnahme des BBK für den Bundestags-Innenausschuss hieß es dann: "Die Erkenntnisse aus dem bundesweiten Warntag zur Verbesserung des Warnsystems wurden konsequent umgesetzt und die Nutzung von Cell-Broadcasting als zusätzlichem Warnmittel wurde geprüft."
Allerdings: Was bisher genau umgesetzt wurde, bleibt unklar. Auf eine Anfrage des MDR antworteten weder das BKK noch das BMI. Das BBK verweist in der Stellungnahme von April auf den Ausbau der Warn-App Nina für bis zu 40 Millionen Nutzer. Nach aktuellen Zahlen haben die App in Deutschland derzeit allerdings lediglich rund 9 Millionen Menschen auf ihrem Handy installiert.
Noch bei der Innenministerkonferenz (IMK) im Juni in Rust war der Warntag 2020 ein Thema. TOP 34 umfasste damals einen "Auswertebericht von Bund und Ländern". Der von April stammende Bericht "und die daraus zu ziehenden Schlussfolgerungen" wurden laut IMK-Beschluss zur Kenntnis genommen. Allerdings wurde der Bericht als Verschlusssache (VS) eingestuft – der Öffentlichkeit ist er bis heute nicht zugänglich.
Wichtig ist laut BBK auch die mögliche Verwendung von Sirenen. Auf der Bundespressekonferenz am Montag konnte ein Sprecher des Bundesinnenministeriums – dem das BBK untergeordnet ist – auf Nachfrage allerdings nicht sagen, wie viele funktionstüchtige Sirenen es in Deutschland noch gibt. Diese waren in den 1990er-Jahren massiv abgebaut worden. Laut den jeweiligen Landesregierung gibt es derzeit in Sachsen noch 3.200, in Sachsen-Anhalt knapp 2.000 und in Thüringen rund 2.300 Sirenen.
Das BBK schrieb in der Stellungnahme von April: "Daher haben die Länder und Kommunen mit Unterstützung durch das BBK in Höhe von bis zu 88 Millionen Euro ihre Sirenennetze gestärkt." Fakt ist aber: Das Programm läuft erst an, bis mit dem Fördergeld bundesweit neue Sirenen flächendeckend wiederaufgebaut sind, wird es vermutlich noch bis Mitte nächsten Jahres dauern.
In der Stellungnahme hieß es zudem, dass die Nutzung von Cell-Broadcasting als zusätzlichem Warnmittel geprüft werde. Beim Cell-Broadcasting werden Warn-SMS an alle Handys geschickt, die sich in der jeweiligen Funkzelle befinden. Eine Einführung wurde in den vergangenen Tagen erneut diskutiert. Im kommenden Jahr könnte es nun soweit sein.
Fakt 3: Katastrophenhilfe ist Landessache
Ein Großteil der Kritik wegen angeblich mangelnden Warnungen wendet sich gegen das BBK. Fakt ist allerdings: Das Amt mit Sitz in Bonn ist eine Bundesbehörde, die Warnung vor Katastrophen wie Überschwemmungen ist Ländersache. Eine zentrale Stelle – etwa in Berlin – die alle Warn- und Schutzmaßnahmen organisiert, gibt es nicht. Der Bund ist lediglich für den Zivilschutz zuständig, also für den Bevölkerungsschutz im Kriegsfall. Das BBK schrieb dazu: "Die Warnung vor bevorstehenden oder bereits eingetretenen Gefahren obliegt den lokalen Katastrophenschutzbehörden. Da der Katastrophenschutz in der Hoheit der Länder liegt, gibt und kann es dazu keine bundeseinheitlichen Vorgaben geben."
Das BBK stellt allerdings die Warninfrastruktur zur Verfügung. Betrieben wird etwa das Modulare Warnsystem (MoWaS). Über Mowas können Bund und Länder per Satellit Warnmeldungen rausgeben, die dann direkt an die Warnapp Nina oder die Medien gehen, die dann wiederum die Bevölkerung warnen.
Im Krisenfall beginnt die Meldekette in der Regel vor Ort. Die genauen Wege und Kompetenzen sind je nach Land unterschiedlich geregelt. Bei Hochwasser macht beispielweise ein Landkreis eine Meldung über Schäden und gibt diese an die nächste Ebene weiter. Auf Landesebene werden außerdem Stabsstellen eingerichtet, dort wird die Hilfe koordiniert. Die Landkreise können außerdem den Katastrophenfall ausrufen – und erhalten dabei logistische Hilfe von anderen Landkreisen.
Fakt 4: Warnungen waren vorhanden
Die aktuelle Diskussion dreht sich auch darum, welche Warnungen der Bevölkerung es konkret gab. Zum einen warnte der Deutsche Wetterdienst (DWD) bereits in den Tagen vor den Überschwemmungen vor extremem Niederschlag mit bis zu 200 Liter Regen pro Quadratmeter.
Außerdem gab es eine Warnung des europäischen Flutwarnsystems EFAS. Die EFAS-Warnungen gehen in Deutschland allerdings nur an bestimmte Stellen, die sich freiwillig dazu registrieren. Das sind derzeit BBK sowie die jeweiligen Landesämter für Umwelt beziehungsweise Naturschutz in Rheinland-Pfalz, Bayern, Hessen und Sachsen. Laut sächsischem Landesamt ging die maßgebliche Flutwarnung am 12. Juli ein.
Das BBK berichtete zudem, dass vom 12. bis 19. Juli 280 Warnmeldungen, Aktualisierungen und Entwarnungen über das Modulare Warnsystem versendet wurden. Am Donnerstag wurden die jeweiligen Dokumente vom BBK veröffentlicht. Über das Modulare Warnsystem können unter anderem die Länder Warnungen an die Warnapp Nina oder die Medien verschicken. Allerdings: Im besonders betroffenen Kreis Ahrweiler gab es offenbar keine Warnungen über die Nina-App.
Fazit: Konsequenzen aus dem Warntag gab es, aber Veränderungen kommen zu langsam
Nach dem Warntag sollte das BBK um-, neue Sirenen aufgebaut werden. Doch der Ausbau der Warninfrastruktur kommt schleppend voran. Eine Bilanz zum fehlgeschlagenen Warntag 2020 wird bis heute unter Verschluss gehalten. Grundsätzlich ist Katastrophenschutz Ländersache, der Bund hat hier kaum Kompetenzen.
Dieses Thema im Programm: MDR AKTUELL RADIO | 23. Juli 2021 | 09:00 Uhr