TikTok-Clip im Faktencheck Kann Deutschland die Konten von Privatpersonen einfach leerräumen?
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28. August 2024, 07:29 Uhr
Fakenews und Halbwahrheiten werden auf TikTok tausendfach geteilt und kommentiert. Gemeinsam mit Funk Fakecheck prüft MDR AKTUELL vermeintliche Falschaussagen und ordnet sie ein. In einem aktuellen Video behauptet ein Nutzer, dass es in Deutschland ein Gesetz gebe, mit welchem der Staat die Konten von Privatpersonen leerräumen könnte. Stimmt das?
- Das Sanierungs- und Abwicklungsgesetz (SAG) dient zur Rettung sehr großer Banken in Deutschland. Es soll Steuergelder schützen.
- Bei der Rettung eines solchen Kreditinstituts sind Einlagen bis zu 100.000 Euro geschützt.
- Im rechtlichen Sinne handelt es sich dabei nicht um eine Enteignung – der Staat erhält zu keinem Zeitpunkt Geld.
- Rechtswissenschaftler erklären: Die Aussagen im Tiktok-Video sind in jeder Hinsicht falsch.
"Das gibt es nur in Deutschland: SAG-Gesetz!", schreit ein Mann mit aufgewühlter Stimme in die Kamera. "Ihr seid das einzige Land in der Welt, wo gesagt haben [sic]: Ja natürlich, wenn es ein Problem gibt, darf der Staat mein Konto komplett leerräumen. Enteignung nennt sich das", heißt es weiter. Einen rechtlichen Hintergrund brauche der Staat dafür nicht. In der Mitte des Videos steht groß geschrieben: "Bestes Deutschland", darunter befinden sich blaue Herzen und Russlandflaggen.
Der Mann im Video betreibt den noch jungen TikTok-Kanal @sonderbar696 mit knapp 2.500 Followern. Auf diesem verbreitet er Videos zu politischen Themen. In den kurzen Clips auf dem Kanal tauchen Worte wie "Bürgerkrieg", "Gehirnwäsche" oder auch "Team ungeimpft" auf.
Gesetz zieht Lehren aus der Finanzkrise
Das Gesetz, von dem der Mann spricht, gibt es wirklich. Dabei handelt es sich um das Sanierungs- und Abwicklungsgesetz (kurz: SAG). Der Bundestag hat das SAG bereits Ende 2014 verabschiedet – am 01. Januar 2015 trat es in Kraft. Dabei geht es um die Unterstützung von in Schieflage geratenen sehr großen, systemrelevanten Banken, deren Niedergang die Finanzstabilität Deutschlands gefährden würde. "Damit hat der deutsche Gesetzgeber seine Verpflichtungen umgesetzt, Richtlinienvorgaben der EU in Deutschland zur Anwendung zu bringen", sagt der Rechtswissenschaftler Jens-Hinrich Binder von der Universität Tübingen. "Alle EU-Staaten haben das." Auch außerhalb Europas hätten viele Staaten vergleichbare Regelungen.
"Das SAG ist das Ergebnis einer weltweiten Initiative, um die Lehren aus der Finanzkrise 2010 und den Lücken, die es damals gab, zu ziehen", erklärt der Rechtswissenschaftler Stephan Madaus von der Martin-Luther-Universität-Halle-Wittenberg. "Es dient dazu Steuergelder zu schützen, wenn eine Bank in eine Krise geraten ist." Das solle verhindern, dass es durch die Rettung eines Geldinstituts zu Engpässen im Landes- oder Bundeshaushalt komme. Hierzu habe man eine "private Investorenlösung" gefunden, erklärt Madaus.
Anwendung nur bei systemrelevanten Banken sinnvoll
Wann die Maßnahmen des Gesetzes überhaupt angewendet werden können wird in § 62 Abs. 1 des SAG festgelegt. Voraussetzung ist dabei unter anderem, dass das betroffene Kreditinstitut "in seinem Bestand gefährdet" ist. Grundsätzlich könne das Gesetz theoretisch auf alle Banken angewendet werden, da der Anwendungsbereich nicht beschränkt sei, erklärt Binder. "Praktisch ist es so, dass man sich den Einsatz solcher Verfahren nur bei sehr großen, systemrelevanten Instituten vorstellen kann."
Einlagen bis 100.000 Euro gesichert
Sieben Instrumente stellt das SAG zur Rettung von Banken zur Verfügung. Die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) listet diese online in einer Übersicht. Sie betreffen zunächst beispielsweise die Nutzung von Aktien oder Anteilen an GmbHs, KGs oder Genossenschaften. Die letzte mögliche Maßnahme ist schließlich die Nutzung der Einlagen von Privatpersonen, Kleinstunternehmen und kleinen und mittelständischen Unternehmen.
Kommt es tatsächlich zu diesem Fall, so kann der Staat jedoch nicht, wie im Video behauptet, auf die kompletten Ersparnisse von Privatpersonen zurückgreifen. Hintergrund ist die EU-weit geltende Einlagensicherung. "Seit den 80er-Jahren sind Gelder auf Konten oder Sparbüchern bei der Bank bis zu 100.000 Euro über das gesetzliche Einlagensicherungssystem geschützt. Die meisten deutschen Banken sichern sogar deutlich mehr ab", sagt Stephan Madaus. Daran ändere auch das SAG-Verfahren nichts, so Binder von der Universität Tübingen.
Rückzahlung der Einlagen innerhalb von sieben Tagen
Wie das Bundesfinanzministerium online schreibt, müssten Kontoinhaber ihr Geld in diesem Fall "innerhalb von sieben Tagen zurückerhalten". In einem Gutachten stellte der Wissenschaftliche Dienst des Bundestags zudem fest, dass Bankkunden durch die Anwendung des Gesetzes nicht schlechter gestellt werden dürfen, als es in einem regulären Insolvenzverfahren der Fall gewesen wäre. In diesem Fall besteht nach § 147 des SAG ein Anspruch auf Ausgleichszahlungen.
Keine Enteignung durch den Staat
Kommt es tatsächlich zur Beteiligung von Privatpersonen an der Bankenrettung, so handelt es sich dem Wissenschaftlichen Dienst des Bundestages zufolge nicht um eine Enteignung. "Bei der Abwicklung der Kreditinstitute mit dem Instrument der Gläubigerbeteiligung geht deren Eigentum an den Forderungen nicht auf den Staat über, somit findet keine Enteignung im Sinne des Grundgesetzes statt", heißt es in dem Gutachten aus dem Jahr 2021. Das bestätigt auch der Rechtswissenschaftler Binder.
Wichtig sei, dass das Geld in keinem Fall an den Staat gehe. "Es ist letztlich verloren zu dem Zeitpunkt, an dem das Verfahren gestartet wird, weil Ansprüche gegenüber einer Bank bestehen, die pleite ist. Wie bei jedem anderen Pleitefall auch ist es so, dass die Gläubiger, die Ansprüche gegen die Bank haben, dann auf Geld verzichten müssen, weil das Geld nicht mehr da ist. Der Staat kriegt davon nichts."
Rechtswissenschaftler: Aussage des Videos in jeder Hinsicht falsch
Die Kernaussage des Videos sei somit in jeder Hinsicht falsch, bestätigen die beiden Rechtswissenschaftler abschließend. "Das ist nicht so. Auch unter dem SAG kann sich der Staat nicht das Geld aus den Einlagen der Kunden holen. Im Gegenteil: Der Staat versucht die Bank zu stabilisieren und zu retten und damit die Einlagen von Kunden in anderen Banken zu schützen, weil er Ansteckungsrisiken vermeiden will", sagt Madaus.
Gleichzeitig werde die betroffene Bank saniert. Der Staat schütze damit Steuergelder ohne sich das Geld der Bankkunden zu holen. "Das ist europäischer und globaler Standard. Bankeinlagen werden geschützt, nicht geplündert", so Madaus abschließend.
Auf Nachfrage gibt der TikToker @sonderbar696 an, dass ihm die Ergebnisse unserer Recherche bereits bewusst seien. Seine Quellen wollte er nicht nennen. Hierzu antwortete er lediglich: "Informationen sammeln, vergleichen, egal woher".
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