Ärztin hält Spritze und Impfstoff-Ampulle
Schwere Impfschäden nach einer Corona-Impfung sind selten, aber es gibt sie. Gesundheitsminister Karl Lauterbach sprach in einem Interview mit dem ZDF im März von einer Größenordnung von weniger als eins zu 10.000 Impfungen. In Deutschland sind bislang knapp 65 Millionen Menschen gegen Corona geimpft. Bildrechte: IMAGO / Panthermedia

Anträge auf Corona-Impfschäden Rechtsanwalt: "Bis auf ganz wenige Ausnahmen werden bisher alle abgelehnt"

18. April 2023, 17:50 Uhr

Nahezu alle Anträge auf Anerkennung eines Corona-Impfschadens sind von den Behörden entweder abgelehnt worden oder noch in Bearbeitung. Betroffene, die eine Anerkennung erhalten haben, bekommen nur einige Hundert Euro im Monat Versorgungsrente, wie Plusminus-Recherchen ergaben – und das sind von knapp 6.500 Anträgen bislang weniger als fünf Prozent. "Bis auf ganz wenige Ausnahmen werden bisher alle abgelehnt", sagt Rechtsanwalt Joachim Cäsar-Preller auch aus seiner Praxis-Erfahrung.

Lange Bearbeitungszeit der Ämter

Bisher sind – Stand März – knapp 6.500 Anträge auf Anerkennung eines Corona-Impfschadens gestellt worden, wie Anfragen von Plusminus bei den Versorgungsämtern der Bundesländer ergaben. 274 Fälle seien davon zum Zeitpunkt der Abfrage als Impfschadensfall anerkannt, mehr als 2.200 abgelehnt worden. Die meisten Anträge sind nach Aussagen der Ämter nach wie vor in Bearbeitung. Damit hatten bislang weniger als fünf Prozent der Anträge auf Anerkennung eines Impfschadens nach Paragraf 60 des Infektionsschutzgesetzes Erfolg.

"Bis auf ganz wenige Ausnahmen werden alle abgelehnt. Und wenn sie zuerkannt werden, die wenigen Fälle, dann sind das Mickerbeträge zwischen 300 und 500 Euro im Monat. Also vollständig ungenügend", sagt Rechtsanwalt Joachim Cäsar-Preller. Er vertritt mittlerweile mehr als 800 Mandanten, die mutmaßlich durch eine Corona-Impfung geschädigt wurden.

Der Fall Saskia Vöhse

Die dreifache Mutter Saskia Vöhse aus Niedersachen erlitt eine Thrombose und eine Lungenembolie, laut Klinikbericht wahrscheinlich ausgelöst durch die Impfung mit Astrazeneca. Hinzu kommt eine autoimmunbedingte Enzephalitis, eine Entzündung des Gehirns, die aus der ehemals aktiven jungen Frau einen Pflegefall machte. Sie konnte nicht sprechen, nicht schlucken, nicht gehen.

Saskia Vöhse bekam nach fast einjähriger Bearbeitungszeit zunächst eine Ablehnung vom zuständigen Versorgungsamt ihres Bundeslandes. Ihre Schädigung sei nicht auf die durchgeführte Impfung zurückzuführen, behauptete das Amt. Für die junge Mutter unfassbar: "Dass hinterher niemand die Verantwortung übernehmen möchte oder helfen möchte, das hat mich ganz schön betroffen gemacht."

Das niedersächsische Versorgungsamt will sich zum konkreten Fall nicht äußern, allgemein schreibt es dazu: "In der Regel dauert die Bearbeitung von Anträgen im Rahmen des Sozialen Entschädigungsrechts ca. 18 Monate. … Die Bewertung und Prüfung der Schädigungsfolgen und die Kausalität sind nicht immer ganz einfach und nehmen Zeit in Anspruch."

Antrag auf Corona-Impfschaden nach Paragraf 60 des Infektionsschutzgesetzes

Betroffene wie Saskia Vöhse können nach Paragraf 60 des Infektionsschutzgesetzes eine staatliche Versorgungsrente beantragen. Zuständig sind die Versorgungsämter der Bundesländer. Eine Entschädigung ist dann möglich, wenn die Behörden nach Prüfung der eingebrachten medizinischen Unterlagen der Ansicht sind, dass die Impfung den Schaden tatsächlich verursacht hat. Die Geimpften sind folglich in der Beweispflicht. Nach dem Bundesversorgungsgesetz sind vorübergehende Gesundheitsstörungen dabei nicht zu berücksichtigen. Der Schaden muss mindestens sechs Monate andauern. Je nach Schweregrad steht Impfgeschädigten eine Grundrente von 164 bis 854 Euro pro Monat zu.

Betroffene fühlen sich allein gelassen

Saskia Vöhse fühlte sich nach der Ablehnung ihres Antrages, die sie zunächst bekam, vom Staat im Stich gelassen. Sie hatte den Eindruck, dass niemand für die Schäden aufkommen will. Dabei war sie der Impfkampagne der Bundesregierung gefolgt und hatte sich, wie viele andere, solidarisch gezeigt. In ihrem Beruf als Traumapädagogin arbeitete sie mit zum Teil schwer kranken Kindern, deshalb wurde sie schon relativ früh, im März 2021, mit dem Impfstoff von Astrazeneca geimpft. Über schwerwiegende Nebenwirkungen wurde sie nicht aufgeklärt, sagte sie heute.

Noch immer leidet sie unter den Folgen der Hirnschädigung, sie hat nach wie vor Sprachstörungen, kognitive Einschränkungen, Muskelzuckungen, Orientierungsprobleme, Konzentrationsschwierigkeiten. Immer wieder muss sie sich aufwändigen Blutwäschen unterziehen. Dass sie ihre Selbstständigkeit verloren hat und im alltäglichen Leben auf fremde Hilfe angewiesen ist, sei nach wie vor ein schwer zu verkraftender Zustand für sie, so die junge Mutter: "Für mich persönlich war das mit einer wahnsinnigen Angst verbunden, weil ich mir nicht vorstellen konnte, als ich nicht sprechen oder schlucken oder gehen konnte, dass jemand zu Hause meine Pflege übernehmen kann, aber mein Mann hat immer zu mir gesagt, ich hole dich nach Hause."

Was der Ehemann von Saskia Vöhse nicht nachvollziehen kann, ist der Grund, dem ihm die Mitarbeiter für die Ablehnung des Antrages genannt hatten: "Sie haben die Anweisung, erstmal alles abzulehnen. Dann beim Widerspruch wird erst richtig geprüft. Klar, das sind telefonische Aussagen, da kann man nicht sagen, das ist irgendwie belegt. Aber trotzdem macht einen das schon wirklich wütend." Auf Plusminus-Anfrage erklärt das Amt, dass so eine Anweisung in Niedersachsen nicht existieren würde.

Geringe Grundversorgung anerkannter Impfgeschädigten

Christian Vöhse war nach der Ablehnung des Antrages für seine Frau in Widerspruch gegangen. Im März 2023, also nach eineinhalb Jahren, kam nun endlich die Anerkennung des Impfschadens. Doch die Höhe der Zahlung ist ernüchternd. "Mit 298 Euro, die mir zustehen vom Land, kann man nicht viel machen, das ist frustrierend.Ich möchte gar nicht Millionenbeträge. Ich möchte, dass ich einfach mal mit meinen Kindern wieder etwas ganz Normales machen kann", sagt Saskia Vöhse.

Anwalt Joachim Cäsar-Preller sieht hier die Politik in der Pflicht. Bei der Höhe der Versorgung müsse nachgebessert werden. "Davon kann niemand ein auskömmliches Leben führen", sagt er. Auch die Bearbeitung müsse schneller und unbürokratischer erfolgen. "Dazu gehört auch mehr Personal in den Ämtern", so Cäsar-Preller.

Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach hat sich in einem ZDF-Interview vom 12. März 2023 erstmals zu der schwierigen Situation der Impfgeschädigten geäußert. Sie täten ihm leid, betonte er und forderte ebenso eine schnellere Bearbeitung und Anerkennung der Fälle. "Jedes Schicksal ist eins zuviel", sagte er. "Schwere Impfschäden" kämen in einer Größenordnung von weniger als eins zu 10.000 Impfungen vor, führte er aus und erklärte, sich dabei auf Daten des Paul-Ehrlich-Institutes und der Zulassungsbehörden zu beziehen. In Deutschland sind bislang knapp 65 Millionen Menschen gegen Corona geimpft.

Hersteller haften nicht

Impfgeschädigte können neben dem Einreichen eines Antrages beim Versorgungsamt auch die Hersteller auf Schadenersatz und Schmerzensgeld vor den Zivilgerichten verklagen. Die Unternehmen wie Biontech/Pfizer und Co. sind dabei in einer sehr privilegierten Situation, denn trotz der Milliardengewinne mit den Impfstoffen sind sie von jeglicher Haftung freigestellt. Das sehen die Lieferverträge mit der EU-Kommission von 2020 vor, die rechtlich die Mitgliedstaaten, also auch die Bundesrepublik Deutschland, geschlossen haben. Hier wurde festgelegt, dass diese im Falle einer Haftung für die Hersteller sämtliche Anwalts- und Gerichtskosten sowie die eventuell entstehenden Schadensersatzansprüche übernimmt. Das gelte sogar bei grob fahrlässigem Verhalten des Herstellers, so der Düsseldorfer Anwalt Tobias Ulbrich, der deutschlandweit 750 mutmaßlich Geschädigte vertritt.

"Letztendlich wollte der Impfstoffhersteller vermeiden, jemals die Gewinne, die erzielt wurden, wieder heraustun zu müssen. Also wurde in den Verträgen sogar grobe Fahrlässigkeit und Vorsatz ausgeschlossen. Das ist aus meiner Sicht schon rechtlich nicht möglich, denn wenn wir das Haftungsrecht nehmen, ist es untersagt, grobe Fahrlässigkeit und Vorsatz von Haftungsregeln auszuschließen", schätzt der Jurist ein.

Verträge waren nicht der Teil der Impfkampagne

Die Verträge waren geheim, die EU Kommission zeigte sie zum Teil nur geschwärzt. Durch einen Leak waren sie in die Öffentlichkeit geraten. Dass dieser Vertrag mit all seinen Konsequenzen nicht Teil der Impfkampagne war, hält Anwalt Cäsar-Preller für einen Skandal: "Die Impfstoffhersteller haben klipp und klar in den Verhandlungen gesagt, wir machen es nur, wenn die Mitgliedsstaaten die Haftung komplett übernehmen, damit die Impfstoffhersteller von jeglichen Risiken befreit sind. Meines Erachtens steckt die Angst vor Impfschäden dahinter. Und das haben die Politiker, die letztlich den Vertrag geschlossen haben, dann dort spätestens mitbekommen, dass es sich nicht nur um harmlose Impfungen handelt und trotzdem haben sie immer wieder davon gesprochen, dass es nur ein harmloser Pieks sei."

Interessant: Im Vertrag selbst wird auf die Risiken hingewiesen. Wörtlich heißt es: "Ungeachtet der Bemühungen … erkennen die Parteien an, dass sich der Impfstoff zum Zeitpunkt der Unterzeichnung… in der klinischen Phase 3 befindet und dass der Impfstoff trotz der sorgfältigen Bemühungen des Auftragnehmers … möglicherweise nicht zugelassen wird oder nicht geliefert werden kann." Doch von der Politik wurde vor allem die Unbedenklichkeit der Impfstoffe kommuniziert. Dass man noch zu wenig über die Risiken wisse und sich die Hersteller deshalb aus nahezu jeder Form der Haftung befreien ließen, sei nicht Teil der Aufklärung gewesen. Anwalt Tobias Ulbrich hält dies für eine Irreführung nach Paragraf 8 des Arzneimittelgesetzes. Dort sei verboten, jegliche Falschmeldung in Bezug auf Arzneimittel in den Markt zu verbreiten.

Fristverlängerungsanträge der Hersteller

Die Betroffenen können nun zwar die Hersteller auf Schadenersatz verklagen, aber falls sie gewinnen sollten, zahlt der Steuerzahler sämtliche Ansprüche. Doch auch hier ist der Weg lang. Anwalt Tobias Ulbrich hat bereits in über 100 Fällen Klage eingereicht. In keinem seiner Fälle sei es bisher zu einem Verfahren gekommen: "Wir haben einen flächendeckenden Eindruck, dass es dort der Gegenseite hauptsächlich darum geht, zu verzögern und zu verhindern, dass überhaupt diese Fälle vorankommen. Jede Klage beginnt direkt von der Gegenseite mit weiträumigen Fristverlängerungsanträgen, über Monate hinweg."

Bundesgesundheitsminister wünscht finanzielle Beteiligung der Hersteller

Im Interview mit dem ZDF vom 12. März 2023 sprach der Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach auch über die Verantwortung der Hersteller: "Es wäre wertvoll, wenn die Firmen hier eine Beteiligung zeigen würden. Denn die Gewinne sind ja exorbitant gewesen. ... Und somit wäre das tatsächlich mehr als nur eine gute Geste."

Für Anwalt Tobias Ulbrich sind die Worte des Ministers zwar nett, aber letztlich ohne Konsequenz: "Wenn es vertraglich bereits anders geregelt ist, dann ist das eine Illusion, der er sich da hingibt, die in der Realität keine Umsetzung finden wird."

Auf unsere Anfrage an die Hersteller schreibt Biontech, berechtigte Ansprüche würde man erfüllen. Astrazeneca wollte sich zum hier im Artikel beschriebenen Fall von Saskia Vöhse nicht äußern, die Impfstoffe hätte man aber zum Selbstkostenpreis, also ohne Gewinn, an die Bundesregierung geliefert.

MDR (cbr)

Dieses Thema im Programm: Das Erste | Plusminus | 05. April 2023 | 21:45 Uhr

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