Flaggenkunde Wem gehört die Regenbogenflagge?
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19. September 2023, 05:00 Uhr
Die Regenbogenflagge ist als Pride-Flag, als Symbol für sexuelle Vielfalt bekannt, aber es gibt auch andere Bedeutungen. Ein Hörer von MDR AKTUELL hat sich deshalb gefragt, ob irgendjemand das Recht auf die Regenbogenflagge hat und ob die Verwendung womöglich sogar eine Form von kultureller Aneignung sei.
- Seit 1969 ist die Regenbogenflagge ein wichtiges Symbol für die Lesben- und Schwulenbewegung.
- Die Ursprünge der Regenbogenflagge gehen bis ins Jahr 1525 zurück.
- Experten zufolge hat niemand das Anrecht auf die Regenbogenflagge.
Für die Lehre von der Bedeutung von Flaggen gibt es einen Begriff: Flaggenkunde oder Vexillologie – und in Deutschland auch eine Gesellschaft. Deren Gründer ist Jörg Karaschewski und der weiß: Den Regenbogen gibt es schon lange als Flagge und mit regional ganz unterschiedlichen Bedeutungen. So nutze die Organisation Greenpeace den Regenbogen zum Beispiel als Verweis auf eine Legende indianischer Regenbogenkrieger.
Karaschewski erklärt, warum man bei der schwul-lesbischen Community einen Regenbogen als Flagge nutzt: "Da gibt es die Geschichte, dass 1969, als Judy Garland, die in Schwulenkreisen relativ beliebt war, zu Grabe getragen wurde, dass da schon einige Regenbogenflaggen gezeigt wurden. Das bezog sich seinerzeit auf das Lied 'Somewhere over the Rainbow'. Ein Lied über einen Ort, an dem alles besser und gerechter ist."
Etabliert ist die Flagge als Zeichen für sexuelle Vielfalt seit 1978, damals entwarf der amerikanische Künstler Gilbert Baker sie für den Gay Freedom Day. In den 1960er-Jahren nutzten sie italienische Friedensaktivisten.
Symbol des Regenbogens in der Bibel
Susanne Kimmig-Völkner, Direktorin der Mühlhäuser Museen, kennt noch eine viel ältere Variante. Kulisse ist der Bauernkrieg im Jahr 1525: "Da wurde berichtet, dass Thomas Müntzer in Mühlhausen eine Regenbogenfahne zu seiner Predigt gemacht hat. Da war ein Regenbogen darauf zu sehen und ein Spruch. Das war der lateinische Spruch 'Verbum Domini Maneat in aeternum', auf Deutsch: Das Wort Gottes soll in Ewigkeit bleiben."
Im Alten Testament setzt Gott den Regenbogen als Zeichen seiner Verbindung mit dem Menschen an den Himmel. Das mag vielleicht der Ur-Regenbogen sein.
Regenbogenflagge gilt als gemeinfrei
Trotzdem findet Museumsdirektorin Kimmig-Völkner nicht, dass die Mühlhäuser Aufständischen das kulturelle Anrecht auf die Flagge haben: "Es wird so vielfältig verwendet, dass man den Regenbogen tatsächlich nicht irgendjemand Speziellem zuordnen kann, obwohl wir natürlich heute Regenbogen vor allem in gesellschaftlichen Zusammenhang sehen und weniger im religiösen."
Flaggenforscher Jörg Karaschewski stimmt zu: Das Natursymbol selbst sei schließlich nicht geschützt. "Das Tolle ist bei der Lesbischen- und Schwulenbewegung, dass der seinerzeitige Künstler, der diese Flagge entworfen hat, Gilbert Baker, ganz klar gesagt hat: Diese Flagge ist gemeinfrei. Ich habe keine Rechte dran. Jeder Mensch darf sie benutzen." Das gelte auch für die Friedensflagge.
Und sowieso: Regenbogen ist nicht gleich Regenbogen. Die Fahne der Bauern hatte einen weißen Hintergrund und einen lateinischen Spruch. Auf der Friedensflagge steht auch meistens das Wort "Frieden", "Peace" oder "Pace" geschrieben. Und: Die Farbstreifen sind hier genau umgekehrt angeordnet wie auf der Pride-Flag.
Dieses Thema im Programm: MDR AKTUELL | Das Nachrichtenradio | 19. September 2023 | 06:20 Uhr