Analyse Längere Pflege, steigende Kosten
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19. November 2024, 09:32 Uhr
Immer mehr Menschen in Deutschland sind auf Pflege angewiesen und benötigen auch eine längere Zeit der Betreuung. Das erhöht die Kosten für die Pflegekassen, wodurch der Druck für eine Finanzreform weiter steigt, sagen Experten.
- Im Schnitt Leistungen von 76.000 Euro pro Pflegefall
- Lohnsteigerungen für Pflegefachkräfte um über 56 Prozent
- Auch nach Ampel-Aus: Diskussion über grundlegende Reform zur Finanzierung der Pflege
Der Pflegeversicherung drohen laut einer Studie der Barmer auch Kostensteigerungen wegen längerer Pflegezeiten. In den kommenden Jahren werde sich die durchschnittliche Pflegedauer nahezu verdoppeln, teilte die Barmer Ersatzkasse bei der Vorstellung ihres Pflegereports am Montag mit. Demnach lag sie bei kürzlich verstorbenen Pflegebedürftigen im Schnitt bei 3,9 Jahren. Bei aktuell pflegebedürftigen Menschen dürfte sie sich auf durchschnittlich 7,5 Jahre verlängern.
In Mitteldeutschland sind die Zahlen der Analyse zufolge nah am Bundesschnitt. So lag die durchschnittliche Pflegedauer in den Jahren 2016 bis 2022 in Sachsen bei 6,7 Jahren, in Sachsen-Anhalt bei 6,26 Jahren und in Thüringen bei 7,03 Jahren. Genauer ließe sich das laut Barmer nicht valide aufschlüsseln.
Im Schnitt Leistungen von 76.000 Euro pro Pflegebedürftigen
Hintergrund der Verdopplung sei die Einführung eines neuen Pflegebedürftigkeitsbegriffs 2017, wodurch mehr Menschen Anspruch auf Pflegeleistungen erhielten. "Die Pflegedauer wurde dadurch erheblich verlängert, und die Kosten wurden deutlich erhöht", sagte Studienautor Heinz Rothgang von der Universität Bremen. So hätten kürzlich verstorbene Pflegebedürftige im Schnitt Leistungen im Wert von 50.000 Euro beansprucht. Bei aktuell Pflegebedürftigen dürften es dagegen rund 76.000 Euro sein. Dabei seien in dieser Berechnung auf der Grundlage von Kosten von 2023 mögliche weitere Preissteigerungen noch nicht berücksichtigt.
Ein Kostenfaktor sind auch steigende Personalausgaben. Seit September 2022 darf es Versorgungsverträge der Pflegekassen nur noch mit Heimen geben, die nach Tarif oder ähnlich zahlen. Seitdem sei das Lohnniveau deutlich gestiegen, heißt es im Barmer-Pflegereport. Vollzeitbeschäftigte Fachkräfte in der Altenpflege verdienten heute besser als der Durchschnitt aller Vollzeitbeschäftigten, sagte Studienautor Rothgang.
Lohnsteigerungen für Pflegefachkräfte um über 56 Prozent
Diese Lohnsteigerungen seien zwar nötig, um die Attraktivität des Berufs zu erhöhen und so dem Pflegekräftemangel entgegenzuwirken – sie hätten aber Auswirkungen auf selbst zu zahlende Heimentgelte. In der Altenpflege seien sie in den Jahren 2015 bis 2023 um 59 Prozent bei Hilfskräften und um 53 Prozent bei Fachkräften gestiegen. Die Barmer erwartet deswegen einen weiteren Anstieg der Eigenanteile Betroffener bei der stationären Pflege.
Die Pflegeversicherung trägt – anders als die Krankenversicherung – nur einen Teil der Kosten für die reine Pflege. Die Zuzahlungen aus eigener Tasche dafür steigen seit Jahren. Für Heimbewohner kommen auch noch steigende Kosten für Unterkunft, Verpflegung und Investitionen in den Einrichtungen hinzu.
Auch nach Ampel-Aus: Diskussion über grundlegende Reform zur Finanzierung
Wegen immer mehr Pflegebedürftigen und generell steigender Kosten wird über eine grundlegende Reform der Finanzierung diskutiert. Nach dem Bruch der Ampel-Koalition kann Gesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) dies nicht mehr wie geplant umsetzen. Barmer-Chef Christoph Straub sagte, auf die Politik warte eine Mammutaufgabe, die spätestens nach der Bundestagswahl in Angriff genommen werden müsse: "Die Soziale Pflegeversicherung überschreitet bereits jetzt ihre finanzielle Belastungsgrenze. Die Bundesregierung darf die Millionen Pflegebedürftigen und deren Angehörige nicht im Stich lassen und muss endlich für finanzielle Entlastung sorgen."
Die Bundesregierung darf die Millionen Pflegebedürftigen und deren Angehörige nicht im Stich lassen und muss endlich für finanzielle Entlastung sorgen.
Aus Sicht von Straub müsse die Pflegeversicherung umgehend von versicherungsfremden Leistungen befreit werden. Insbesondere die Zusatzkosten während der Corona-Pandemie müssten erstattet werden. Die Bundesregierung brachte vorerst eine Anhebung des Pflegebeitrags um 0,2 Prozentpunkte zum 1. Januar 2025 auf den Weg, um die Zahlungsfähigkeit der Pflegeversicherung zu sichern.
Der Vorstand der Deutschen Stiftung Patientenschutz, Eugen Brysch, kritisierte: "Während Karl Lauterbach bei vielen seiner Themen vorangeprescht ist, hatte der Ressortchef bei der Zukunftssicherheit der Pflegeversicherung keine Antworten. Das rächt sich jetzt mit dem Ampel-Aus." Allein Pflegebeiträge zu erhöhen, sei reine Flickschusterei. Notwendig sei eine zukunftsfähige und generationengerechte Finanzierung. Dafür brauche es einen festen planbaren Eigenanteil und eine solide Gegenfinanzierung durch Steuermittel.
Die Diakonie appellierte an die politischen Parteien, im anstehenden Wahlkampf "die Pflege als zentrales Vorhaben in ihren Wahlprogrammen zu verankern" und in Regierungsverantwortung umzusetzen. "Wir brauchen ein tragfähiges Konzept, wenn Pflegebedürftige auch in Zukunft gut versorgt werden sollen", erklärte Vorstandsmitglied Maria Loheide.
MDR (mpö)
Dieses Thema im Programm: MDR SACHSEN-ANHALT | 17. November 2024 | 10:00 Uhr