Vorschullehrer hilft Kind beim Anziehen.
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Frühkindliche Aufklärung in der Kita Warum es wichtig ist, mit Kindern über ihre Körper zu sprechen

20. September 2024, 05:00 Uhr

Verschiedene Liebes- und Lebensmodelle, frühkindliche Sexualität und Geschlechtergerechtigkeit sind fester Bestandteil moderner Kita-Konzepte – auch in Mitteldeutschland. In Sachsen-Anhalt wird derzeit an einem neuen Bildungsprogramm gerarbeitet, das diesen Themen noch mehr Raum geben soll. Warum das für die kindliche Entwicklung wichtig ist, auch wenn es harte Kritik aus der AfD gibt.

Elisabeth Winkler
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"Mädchen sollen keine Mädchen mehr sein!" Der AfD-Abgeordnete Dennis Hohloch ist auf TikTok viral gegangen, mit einem Video in dem er behauptet, dass Kita-Erzieher in Brandenburg Mädchen nicht mehr für ihre Einfühlsamkeit oder ihre Kleidung loben dürften und Jungs nicht mehr für ihre mathematischen Fähigkeiten.

Tatsächlich steht im neuen Kita-Bildungsplan des Bundeslandes: "Vermeidet geschlechtsstereotype Etikettierungen. Achtet darauf, dass ihr zum Beispiel Mia nicht für ihre Einfühlsamkeit und Pedro nicht für sein Zählen-Können lobt." Geht das zu weit? Was ist denn, wenn Mia eben sehr einfühlsam ist und Pedro gut mit Zahlen kann?

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Geschlechterrollen: Sicherheit oder Hindernis für Kinder?

Erziehungswissenschaftlerin Katrin Macha hat am Brandenburger Bildungsplan mitgeschrieben und erklärt: "Es geht nicht darum, positives Feedback an Kinder zu verbieten, sondern der Text versucht, pädagogische Fachkräfte dafür zu sensibilisieren, wann und wie oft sie wen wofür loben."

Macha zufolge zeigt die Forschung schon seit den 1970ern, dass Menschen nicht ihr volles Potential entwickeln können, wenn sie beschränkenden Stereotypen verhaftet bleiben. Dem müsse man schon in der Kita entgegenwirken. "Das heißt auch, Kinder in ihrer Auseinandersetzung mit den gesellschaftlichen Bildern von Geschlechtern zu unterstützen".

Dazu gehört in aktuellen Kita-Konzepten auch, mit den Kindern über die Existenz unterschiedlicher Geschlechtsidentitäten zu sprechen. Genau daran stört sich die AfD. Der Vorwurf: Solche Gespräche würden "Kinder in Bezug auf ihre sexuelle Identität verunsichern", wie die AfD Sachsen in ihrem Wahlprogramm schreibt. Sie würden dadurch "extrem in ihrer Entwicklung gestört".

"Nicht reinpassen" verunsichert auch

Sexualpädagogin Laura Grün, Gründerin des Instituts für Sexuelle Bildung, sagt dazu: "Klischees und Kategorien geben eine Art von Sicherheit, weil es einfacher ist, sich einzuordnen. Wir alle haben auch ein Bedürfnis nach Gruppenzugehörigkeit und Orientierung. Aber wenn man nicht in diese Kategorisierung reinpasst, verunsichert das eben auch."

Der WHO zufolge bilden Kinder ihre Geschlechtsidentität mit etwa zwei Jahren. Grün erklärt, dass sie dann beginnen die biologischen Geschlechter, also männlich und weiblich, zu unterscheiden und sich diesen selbst zuordnen können.

Grün sagt, sobald die Kinder merkten, dass Jungen und Mädchen verschiedene Eigenschaften zugeordnet würden, würden sie überprüfen, ob sie in diese Kategorisierung passen. "Wenn ja, ist das für die Kinder einfach, aber wenn nicht, führt das zu dem Gefühl, mit ihnen stimme etwas nicht."

Kita-Bildungspläne in Sachsen-Anhalt, Sachsen und Thüringen

In Sachsen-Anhalt wird derzeit ein neuer Kita-Bildungsplan erarbeitet, in dem das Thema ein eigenes Kapitel erhalten soll, wie das Ministerium für Arbeit, Soziales, Gesundheit und Gleichstellung MDR AKTUELL auf Anfrage mitteilte. Fachkräfte sollen praxisnahe Hinweise an die Hand bekommen, um ein vielfältiges Bild unterschiedlicher Geschlechterrollen und diverser Lebenswelten kindgerecht zu vermitteln.

Demnach sollten alle Kinder unabhängig vom Geschlecht ermuntert werden, handwerkliche Arbeiten zu übernehmen, zu basteln oder Wettkampf- und Tobespiele zu spielen. Und es werde darauf geachtet, dass Bücher und Spiele vorhanden sind, in denen auch unbekannte Lebenswelten dargestellt werden, zum Beispiel Regenbogenfamilien, Geschichten von trans*, inter* und nichtbinären Kindern, oder alleinerziehende Väter.

Auch die existierenden Bildungspläne in Sachsen und Thüringen sehen vor, dass sich Erzieher und Erzieherinnen aktiv mit Geschlechterrollen auseinandersetzen und Kinder in ihrer Individualität unterstützen, statt sie in bestimmte Rollen zu drängen.

Sexualpädagogik in der Kita - was ist das eigentlich?

Dass in sachsen-anhaltischen Kitas "Akzeptanz für Homo- und Transsexuelle" vermittelt werden soll, geht dem Landesverband der AfD zu weit. Das Vermitteln verschiedener Lebensformen und sexueller Orientierungen ist für die Partei "Frühsexualisierung". Auch die AfD in Thüringen findet, Sexualerziehung sollte nicht im Kindergarten oder in der Grundschule erfolgen.

Aber inwiefern spielt Sexualität in der Kita überhaupt eine Rolle? Laura Grün sagt, in der kindlichen Sexualerziehung gehe es schlicht darum, auf kindgerechte und altersangemessene Weise mit Kindern über den Körper, das Thema Gefühle und ihre Grenzen zu sprechen.

Das Bildungsministerium in Sachsen-Anhalt erklärt dazu, eine altersgemäße Sexualerziehung gehöre zu frühkindlicher Bildung, weil Sexualität ein nicht unwichtiger Bestandteil der Identität und der Persönlichkeitsentwicklung eines jeden Menschen sei. Eine kindgerechte Sexualaufklärung diene auch der Prävention von sexuellem Missbrauch.

Warum frühkindliche Sexualpädagogik Missbrauch verhindert

So sollten Kinder zum Beispiel Begriffe für ihre Genitalien lernen, erklärt Laura Grün. Synonyme wie Pullermann oder Schneckchen seien dabei überhaupt nicht notwendig. "Das einzige, was Kinder daraus lernen, ist 'Ah, das ist etwas, worüber keiner so richtig sprechen will'".

Es geht darum, dass die Kinder ihren Körper als etwas Schützenswertes, als etwas Positives begreifen.

Laura Grün Sexualpädagogin

"Eine tabuisierte Atmosphäre um dieses Thema aufzubauen, begünstigt letztendlich nur Missbrauch", sagt Grün. Stattdessen sollte man Kinder sprachfähig machen und dabei unterstützen, ihrem Gefühl zu trauen, für ihre Grenzen einzustehen und Stopp zu sagen. "Es geht darum, dass die Kinder ihren Körper als etwas Schützenswertes, als etwas Positives begreifen und lernen sich Hilfe zu holen, wenn sie ein komisches Gefühl haben."

Grün stellt gleichzeitig klar, dass das Thema Sexualität nichts sei, was von Erzieherinnen gezielt angesprochen würde. Es sei vielmehr so, dass sich durch kindliche Neugier ganz natürlich Fragen ergäben. "Und unsere Aufgabe ist dann, diese kindgerecht zu beantworten."

Eltern rät die Sexualpädagogin als gutes Vorbild voranzugehen. "Sie können zum Beispiel über Grenzen sprechen, indem sie ihre eigenen Grenzen klarmachen." Beispielsweise fassten kleine Kinder ihren Müttern viel an die Brust, das sei noch ein Reflex aus der Stillzeit.

"Es kann sein, dass man als Mutter irgendwann merkt, 'Hm mittlerweile ist mir das unangenehm.' Und dann kann man auch kommunizieren, dass man vorher gefragt werden möchte, bevor das Kind dorthin fasst." Der nächste Schritt sei dann seinem Kind zu erklären: "Und du darfst genauso über deinen Körper bestimmen. Und das müssen andere dann auch respektieren."

Dieses Thema im Programm: MDR AKTUELL RADIO | 20. September 2024 | 06:00 Uhr

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