Glücksspiel Sportwetten bei der Fußball-EM 2024: Vermeintliches Fachwissen und hohe Einsätze
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26. Juni 2024, 11:44 Uhr
Zur Fußball-EM tippen Millionen Deutsche auf die Ergebnisse. Die Sportwettenbranche freut sich auf Millionenumsätze. Doch die Suchtgefahr ist groß. Und noch immer spielen viele ohne Schutz auf dem Schwarzmarkt.
- Zur Fußball-EM haben Wettanbieter Einsätze in Milliardenhöhe erwartet.
- Die Suchtgefahr ist groß, denn Spieler überschätzen beim Wetten den Einfluss ihres Fachwissens.
- Fachleute kritisieren die massive Werbung für Fußballwetten im Umfeld der EM.
Deutschland ist im Tippfieber. So viele Menschen wie noch nie raten derzeit die Ergebnisse der Fußball-Europameisterschaft. Allein bei Kicktipp, der meist genutzten Tippspiel-App, machen in Deutschland, Österreich und der Schweiz mehr als sechs Millionen Menschen mit. Den bisherigen Höchststand gab es zur WM 2018 mit damals über fünf Millionen Tippern.
Hinzu kommen unzählige weitere digitale Tipprunden. So bieten etwa zahlreiche Zeitungen, Radiosender oder Fußballmagazine Spiele an. Ein Marketing-Coup gelang der Preisvergleichsseite Check24. Fünf Millionen Menschen meldeten sich dort für das Tippspiel an, weil die Firma allen Teilnehmern ein inoffizielles Deutschland-Trikot schenkte.
Milliardenumsatz auf dem Wettmarkt
In den Tipprunden mit Familie, Freunden oder Arbeitskollegen geht es oftmals um kleinere Geldbeträge oder Sachpreise. Einen Gegensatz dazu bildet der Sportwettenmarkt, wo Spieler häufig regelmäßig höhere Summen setzen. Und auch dieses Geschäft mit den Fußballtipps hat zur EM Hochkonjunktur.
Hilfe bei Glücksspielsucht
Wenn Sie selbst Probleme mit dem Spielen haben oder sich Sorgen um eine angehörige Person machen, wenden Sie sich kostenfrei und anonym an das Beratungstelefon der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung unter der Rufnummer 0800 1 37 27 00.
Hilfe und Informationen gibt es außerdem online unter https://www.check-dein-spiel.de/
Als wichtigstes Ereignis des Jahres für die Branche bezeichnete der Deutsche Sportwettenverband (DSWV) die EM vor dem ersten Anpfiff. Die Anbieter schätzen, dass Spieler während des Turniers Einsätze von bis zu einer Milliarde Euro platzieren. Zur Einordnung: Vergangenes Jahr verzeichnete der DSWV insgesamt Spieleinsätze in einer Gesamthöhe von 7,7 Milliarden Euro. In diesem Betrag sind auch Wetten auf andere Sportarten enthalten.
Im Wettbüro unweit der Fanzone
Einer der Spieler, der für diese Umsätze sorgt, ist Nico*. An einem Nachmittag in dieser Woche gibt er seine Tipps in einem Sportwettenbüro im Leipziger Zentrum ab. Die offizielle EM-Fanzone auf dem Augustusplatz ist nur wenige Schritte entfernt. Der junge Mann will nicht verraten, wie oft er spielt oder wie viel er einsetzt. Aber eins steht für ihn fest, wenn es um Fußballwetten geht: "Mit Glück hat das nichts zu tun. Vielleicht bei den Leuten, die 20, 30 Tipps auf ihrem Schein haben und mit fünf Euro spielen."
Nico tippt auf EM-Spiele und ist überzeugt, dass mit Hintergrundwissen bei Fußballwetten viel Geld zu machen ist. Er selbst hat noch keinen großen Gewinn gemacht. "Aber in der Familie funktioniert das auf jeden Fall. Meine Freundin ist 100.000 Euro im Plus."
Spieler häufig männlich und mittleren Alters
Es herrscht reger Betrieb in dem Wettbüro. Das Publikum ist vorwiegend männlich und mittleren Alters. Die wenigsten von ihnen sprechen Deutsch. Damit bildet sich dort das Milieu ab, in dem Fußballwetten verbreitet sind.
Laut "Glücksspielatlas 2023" haben 6,2 Prozent der Männer in den vergangenen 12 Monaten online oder stationär Sportwetten getätigt. Bei den Frauen sind es nur 1,3 Prozent. Am höchsten ist der Anteil bei Männer im Alter von 21 bis 35 Jahren. Bei Menschen mit Migrationshintergrund sind Glückspiele generell weiter verbreitet als bei Menschen ohne Einwanderungsgeschichte.
Auf Maurice* treffen alle Kriterien zu. Er stammt aus Kamerun und ist schätzungsweise um die 30 Jahre alt. Auch Maurice platziert an diesem Tag in Leipzig eine Wette. Er spiele nur gelegentlich und setze zwischen fünf und 20 Euro pro Spiel, verrät er. Auch der junge Afrikaner ist allerdings überzeugt, dass es sichere Wetten gibt. "Wenn jetzt zum Beispiel Frankreich gegen Albanien spielt, dann weiß ich, dass Frankreich das Spiel gewinnen muss", sagt er und verabschiedet sich kurz angebunden.
Vermeintliches Fachwissen und hohe Einsätze
Für Fachleute sind die Aussagen von Nico und Maurice zu ihren Gewinnchancen typisch. "Das Problematische an Sportwetten ist das Fachwissen, das die Spieler glauben zu haben", sagt Steffen Goller von der Thüringer Fachstelle Glücksspielsucht in Erfurt. "Das führt zu einem Fehlschluss. Die Menschen sind überzeugt, dass ihr Team gewinnt. Und wenn das nicht der Fall ist, finden sich viele Gründe woran es lag, aber eben nicht der eigene Irrtum."
Ein zweites Problem speziell von Sportwetten sind nach Einschätzung von Suchtexperten die hohen Einsätze. Selten werde weniger als 20 Euro pro Runde eingesetzt. Steffen Goller berichtet: "Normalerweise dauert eine Spielsuchtkarriere auch mal zehn Jahre bis alles Geld verspielt ist und das typische Lügengebäude zusammenbricht. Aber bei Sportwetten geht das deutlich schneller."
Selbstverständlich sind Fußballwetten ein Freizeitvergnügen, dem viele ohne Probleme und mit Freude nachgehen. Jedoch gehören Sportwetten zu den Glücksspielen mit der größten Suchgefahr. Bei Live-Sportwetten etwa entwickeln knapp 30 Prozent der Spielerinnen und Spieler leichte bis schwere Störungen. Zu den Symptomen zählen unter anderem immer höhere Einsätze, wiederholte erfolglose Versuche, das Wetten zu stoppen, starke gedankliche Eingenommenheit vom Wetten oder das Belügen anderer Personen, um das Ausmaß des Glücksspiels zu vertuschen.
Kritik an Sportwetten-Werbung
Angesichts der Suchtgefahren gibt es scharfe Kritik an der vielen Werbung für Fußballwetten. Insbesondere im Umfeld der EM ist die Reklame allgegenwärtig. Ein Wettanbieter zählt zu den Hauptsponsoren des Großereignisses. In TV-Spots während der Übertragungen werben weitere Anbieter.
Für Helga Meeßen-Hühne von der Landesstelle für Suchtfragen Sachsen-Anhalt in Magdeburg sind diese Werbeschaltungen unverantwortlich. "Aus meiner Sicht verbietet sich jede Form der Sportwettenwerbung, vor allem in direktem Zusammenhang mit sportlichen Ereignissen." Es werde suggeriert, dass Sportwetten aussichtsreich und harmlos seien. "Wie Sportverbände und Fernsehsender sich ihre Verantwortung moralisch zurechtrücken, durch aktive Werbung die Glücksspielsuchtgefahr zu vervielfachen, kann ich nicht nachvollziehen.“
Experte Steffen Goller sieht durch die Werbung eine "Riesen-Anreizwirkung" und fordert: "Hier muss der Glücksspielstaatsvertrag noch einmal angefasst werden." In dem Staatsvertrag, der 2021 in Kraft trat, wurden Online-Glücksspiel und Online-Sportwetten legalisiert. Die Anbieter können seitdem eine Lizenz beantragen. Dafür müssen sie Maßnahmen zum Spielerschutz einhalten, etwa ein anbieterübergreifendes monatliches Spiellimit von 1.000 Euro oder wirksame Selbstsperren.
Noch immer großer Schwarzmarkt
Die Lage auf dem Glücksspielmarkt ist indes kompliziert. Die lizensierten Anbieter argumentieren, dass sie so viel werben müssen, um sich gegen illegale Anbieter durchzusetzen. Nach Angaben der Sportwettenverbandes werden nämlich noch immer rund ein Drittel aller Spieleinsätze auf dem Schwarzmarkt getätigt – ohne jeden Spielerschutz.
Für die Bekämpfung des illegalen Glücksspiels ist die Gemeinsame Glücksspielbehörde der Länder (GGL) in Halle zuständig. Die Behörde beklagte vor dem Start der EM jedoch fehlende Durchsetzungsmöglichkeiten gegen illegale Anbieter außerhalb Deutschlands. Der Vorstand der GGL, Ronald Benter, sprach von der "notwendigen Ausweitung" des entsprechenden Paragraphen gegen unerlaubtes Glücksspiel auf illegale Anbieter mit Sitz im Ausland.
Wetten bleibt ein Glücksspiel
Ob legaler oder illegaler Anbieter – Sportwetten bleiben ein Glücksspiel. Darauf weist auch die GGL zur EM hin. "Auch, wenn Kenntnisse zu Sportereignissen vorliegen, können diese durch unvorhergesehene Umstände wie Verletzungen, Wetterbedingungen oder Fehlentscheidungen beeinflusst werden. Der Ausgang eines Spiels ist nicht kontrollierbar."
Dass Fußballkenntnisse nicht unbedingt dazu führen, Spielergebnisse richtig zu raten, ist ja auch Alltagserfahrung der Millionen Menschen in privaten Tippgemeinschaften. Allzu oft gewinnt die Runde ja dann doch das Familienmitglied, das sich die Spiele gar nicht ansieht.
*Namen von der Redaktion geändert
Dieses Thema im Programm: MDR AKTUELL – Das Nachrichtenradio | 26. Juni 2024 | 06:00 Uhr
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