Jobs in der Hitze Es wird heißer: Wie geht dann Arbeit auf dem Bau?

14. August 2023, 05:00 Uhr

Sommer, Sonne, Arbeit – in Deutschland arbeiten mehr als sieben Millionen Menschen im Freien. In den vergangenen Jahrzehnten hat sich hierzulande durch den Klimawandel die Zahl der heißen Tage verdoppelt und die Temperaturen sind auf neue Höchstwerte gestiegen. Doch die Arbeit geht für viele Menschen trotzdem weiter. Wie kann das funktionieren?

Es sind 28 Grad im Schatten. An einem Tag wie diesem sei es erträglich, sagt Sven Duschinger. Der Bauarbeiter schaufelt gerade Kies für einen Radweg am Rand von Leipzig. Er findet, dass die Hitze in den vergangenen Jahren schlimmer geworden sei – und das trifft nicht nur die vielen Menschen auf dem Bau. Laut einer Studie der Deutschen Gesetzlichen Unfallversicherung arbeiten mehr als sieben Millionen Menschen in Deutschland überwiegend im Freien.

Um der Hitze ein wenig auszuweichen, starten die Arbeiten am Radweg um 6.30 Uhr – eine halbe Stunde früher als normal. Außerdem stellt der Arbeitgeber Sonnencreme und Wasser bereit. Doch der Mittagssonne können die Arbeiter trotzdem nicht entgehen. Schatten gibt es auf der Baustelle nicht. "Hier musste durch", sagt Duschinger und zieht die Schultern kurz hoch.

Immer mehr heiße Tage in Deutschland

Intensive Sonneneinstrahlung kann etwa zu einem lebensgefährlichen Sonnenstich führen, warnt der Präsident des Verbandes Deutscher Betriebs- und Werksärzte, Wolfgang Panter. "Das Zweite ist: Es ist eine starke Belastung des Herz-Kreislauf-Systems. Der Puls wird steigen, der Blutdruck wird steigen. Das heißt, ihr Kreislauf wird erheblich mehr belastet dadurch. Es führt natürlich auch dazu, dass Ihre körperliche Leistungsfähigkeit nicht mehr so gut sein wird, wie wenn Sie 25 Grad haben."

Es ist eine starke Belastung des Herz-Kreislauf-Systems.

Wolfgang Panter Arbeitsmediziner

Die Tage, an denen das Thermometer in Deutschland mindestens 30 Grad erreicht, nehmen zu. Im Zeitraum von 1960 bis 1990 waren es durchschnittlich 4,1 Tage pro Jahr. Im Zeitraum von 1991 bis 2022 hat sich diese Zahl mehr als verdoppelt, wie aus Daten des Deutschen Wetterdienstes (DWD) hervorgeht. Allein im vergangenen Jahr waren es im Durchschnitt der bundesweit verteilten DWD-Messstationen 17,3 Tage.

Wie Arbeiter ein Ei auf Stein brutzelten

Damit haben Dachdecker ganz besonders zu kämpfen. Manchmal sei es im Hochsommer auf den Dächern kaum noch auszuhalten, findet Dachdeckermeister Sebastian Hartmann. Er arbeitet mit seinen fünf Angestellten gerade am Dach einer ehemaligen Teppichfabrik im Norden von Leipzig. An diesem Tag sind es nur 19 Grad, doch das Team hat auch schon kritische Situationen mit der Hitze erlebt.

"Wir haben im Jahr 2018 über zehn Wochen jeden Tag über 30 Grad gehabt", berichtet Hartmann. Damals arbeiteten sie mit Schiefer, einem dunklen Werkstoff, der sich extrem aufheizen kann. Die Männer hätten nicht mehr darauf knien oder das Material auch nur anfassen können. "Wir haben uns mal den Spaß gemacht und ein Ei draufgeschmissen. Also man bekommt es ohne Probleme gar. Und das geht auch relativ schnell."

Du hast keine Lust, auf Deutsch gesagt. Du wirst langsamer.

Claudio Röthing Dachdecker

Die Hitze macht gerade älteren Dachdeckern wie Claudio Röthing zu schaffen. Auch er ist an diesem Tag mit auf dem Dach der ehemaligen Teppichfabrik. Noch zu DDR-Zeiten begann er mit 16 Jahren die Lehre, das ist bereits mehr als vier Jahrzehnte her. Auf den Dächern ist er dem Klimawandel direkt ausgesetzt. "Die Hitzetage werden immer mehr. Die Temperaturen gehen ja immer höher." Früher seien es über 30 Grad gewesen und das sei schon schlimm genug. "Du hast keine Lust, auf Deutsch gesagt. Du wirst langsamer." Doch inzwischen gehe die Temperatur häufiger über die 35 Grad.

Mit steigender Hitze erhöht sich das Unfallrisiko

Hinzu kommt: Mit steigender Hitze erhöht sich auch das Unfallrisiko. Das geht aus einer Studie der Universität Kalifornien hervor. Hierfür verglichen die Wissenschaftler mehr als elf Millionen Arbeitsunfälle mit lokalen Wetterdaten. Demnach ist an Tagen mit Temperaturen über 32 Grad das Verletzungsrisiko um sechs bis neun Prozent höher als an Tagen mit gemäßigten Temperaturen. Bei über 38 Grad steigt das Unfallrisiko sogar um zehn bis 15 Prozent.

Immerhin: Bei Extremwetter, wie beispielsweise Hitze, können Dachdecker die Arbeit abbrechen. Von ihrer Sozialkasse erhalten sie dann für maximal 53 Stunden im Jahr einen Ausgleich in Höhe von 75 Prozent ihres Stundenlohnes. Das Geld dafür haben die Arbeitgeber vorher eingezahlt.

Auch Sebastian Hartmann hat diesen Sommer bereits Hitzegeld beantragt. "Es waren über 35 Grad. Ich habe das demokratisch in der Mannschaft entscheiden lassen", sagt der Dachdeckermeister. Es wurde entschieden, die Arbeit mittags zu beenden. Momentan sind die Dachdecker die einzigen in der Baubranche, die so ein Hitzeausfallgeld beantragen können. Die Gewerkschaft IG-Bau fordert das für alle Berufsgruppen.

Arbeiten mit glühendem, flüssigen Eisen

Ein anderer Job, bei dem es richtig heiß wird, findet sich in einer Gießerei. In Schönheide im Westerzgebirge wird seit mehr als 100 Jahren Eisen verarbeitet. Aktuell stellt Schönheider Guss etwa Teile für den Elektromaschinenbau her. Um das glühende, flüssige Eisen von den Öfen an die Formanlagen zu bringen, kommt es in eine Transporttrommel.

"In der Transporttrommel sind so 1.450 bis 1.500 Grad", erklärt der Geschäftsführer von Schönheider Guss, Frank Gleißner. "Wir stehen jetzt etwa einen Meter weit weg. Die Mitarbeiter stehen teilweise noch näher am Eisen. Das Eisen strahlt ab. Wir haben im Sommer schon recht ordentliche Temperaturen hier."

Im Sommer knallt die Sonne zudem auf das ungedämmte Dach. Der Raum heizt sich zusätzlich auf. Die Arbeiter kommen ordentlich ins Schwitzen. "Die Gussteile strahlen ja auch noch Hitze ab", sagt Gießer Marcus Gerischer. "Also teilweise haben wir hier um 10 Uhr bereits 45 Grad." Im Winter könnten immerhin die Tore geöffnet werden und es ströme kühle Luft hinein.

Also teilweise haben wir hier um 10 Uhr bereits 45 Grad.

Marcus Gerischer Gießer

Bei sommerlichen Höchsttemperaturen trinken die Gießer bis zu acht Liter am Tag. Schönheider Guss stellt den 60 Mitarbeitern kostenlos gekühltes Wasser bereit. Und um die größte Hitze am Nachmittag zu meiden, beginnt man auch dort früh um sechs mit der Arbeit. Die Hitzebelastung der Mitarbeiter werde regelmäßig durch den Betriebsarzt gecheckt.

Bundesministerium für Arbeit will auf zunehmende Belastung reagieren

Doch was kann in solchen Jobs gegen immer höhere Temperaturen, die immer häufiger auftreten, getan werden? "Wir müssen dann gegebenenfalls die Arbeitszeiten verkürzen", sagt Geschäftsführer Gleißner. "Weil einfach ab den Mittagsstunden die Temperatur in der Halle so warm ist, dass die Maschinen zu heiß laufen. Das wird die Herausforderung der nächsten Jahre dabei." Denn die Konkurrenz aus China und Indien sorge für enormen Kostendruck. In neue Belüftungsanlagen zu investieren, sei deshalb vorerst nicht drin.

Dass Hitze zunehmend zur Belastung wird, ist auch beim Bundesministerium für Arbeit und Soziales bekannt. Immerhin müssen Millionen Menschen draußen arbeiten und haben keinen Ventilator neben sich stehen und manche nicht einmal Schatten. Auf Nachfrage von MDR Investigativ beim Ministerium heißt es: Man arbeite derzeit an neuen Regularien, um auch Beschäftigte bei Tätigkeiten im Freien besser zu schützen.

Quelle: mpö

Dieses Thema im Programm: MDR FERNSEHEN | MDR exakt | 02. August 2023 | 20:15 Uhr

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