Klima Wenn die Straße glüht: Obdachlose in der Hitze

15. Juli 2023, 05:00 Uhr

Die Temperatur klettert immer weiter. Das trifft insbesondere Ältere, Vorerkrankte oder Obdachlose. Immer mehr Menschen sterben durch extreme Hitze. Obdachlose können sich nur schwer an einen kühlen Ort zurückziehen – und selbst Trinkwasser ist manchmal nur schwer zu erreichen.

Es flimmert über den grauen Steinplatten. Darauf sitzen Bernd und Angie – die Augen etwas zusammengekniffen. Unter der prallen Sonne vor dem Hauptbahnhof versuchen sie an etwas Bares zu kommen. Sie sind in Leipzig gestrandet: Ohne Papiere, Wohnung und Geld. "Wenn man nur seine Wasserflasche auffüllen möchte, machen Sie alle zu", erklärt Bernd über die Geschäfte in den Passagen. Für obdachlose Menschen ist die aktuelle Hitze ein besonderes Problem.

Erst vor Kurzem habe Ihnen jemand geholfen und für sie geschnorrt. "Und am nächsten Tag haben wir den Rettungswagen geholt, weil der derartig verbrannt war von der Sonne", so Bernd. Einen kühlen Ort finden sie auf der Straße und in der durchbetonierten Stadt nur schwer.

"Im Bahnhof, wenn sie uns reinlassen", brummt Wolfgang. Der grauhaarige Mann lebt ebenfalls in Leipzig auf der Straße, zusammen mit Monika. Doch meist dürfen sie erst abends in die kühlen Hallen. Weil es am Hauptbahnhof keine kostenlosen Trinkbrunnen gibt, trinkt der ehemalige Druckergehilfe Eistee und Cola. Die helfe, wenn sein Kreislauf schlappmacht. Etwas Kostenloses zu trinken gebe es für Wolfgang und Monika höchstens in der Bahnhofsmission oder am Hilfebus.

Der Hilfebus – ein Projekt von "Safe - Straßensozialarbeit für Erwachsene" – fährt jeden Abend zu Bedürftigen. "Letzte Woche Mittwoch, wo das so heiß war. Da habe ich in zwei Stunden 15 Liter ausgegeben", sagt Streetworker Tino Neufert. Er sagt, die zunehmende Hitze habe die Lage verschlimmert: "Vor zwei Jahren ist einer gestorben im öffentlichen Raum. Es war sehr heiß, da kam auch eine Krankheit dazu, und der ist dann auch dort verstorben."

Wo ein Plan gegen Hitze fehlt

"Deutschland ist leider beim Hitzeschutz Entwicklungsland. Wir müssen dringend handeln.", sagt Professor Stephan Feller von der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg. Der Tumorbiologe engagiert sich auch bei "Scientists 4 Future", und will so an der Bekämpfung der Klimakrise mitwirken. "Das Wichtigste wäre vielleicht Klimaschutz und vor allem Schutz der Bevölkerung zur Pflichtaufgabe von Kommunen zu machen." Bislang sei das freiwillig und werde angesichts knapper Kassen häufig nach hinten geschoben.

Doch wie sieht es in den Städten aus? MDR Investigativ hat in Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen in Städten mit über 30.000 Einwohnern angefragt. Von 34 Orten haben 21 geantwortet – davon haben 15 keine Hitzeaktionsplan und in sechs werde daran gearbeitet. Dabei forderte eine Adhoc-Arbeitsgruppe von Bund und Länder bereits 2017 alle Städte auf, Hitzeaktionspläne zu schreiben. Doch passiert ist bislang wenig.

So schlagen auch Mediziner inzwischen Alarm: Bundesärztekammer und die Initiative "Health for Future" organisierten im Juni den ersten Hitzeaktionstag zur Aufklärung der Bevölkerung. Denn: Laut einer Studie von Robert-Koch-Institut und Umweltbundesamt erhöhe extreme Hitze die Sterbefälle deutlich. Demnach soll zum ersten Mal seit Beginn des Untersuchungszeitraum (1992) eine Übersterblichkeit aufgrund von Hitze in drei aufeinanderfolgenden Jahren aufgetreten sein. Zwischen 2018 und 2020 starben jedes Jahr mehrere tausend Menschen. "Und das wird in Zukunft sicher noch mehr werden, die Hitzetage werden häufiger sein und sie werden auch dramatischer von den Temperaturen ausfallen", so Professor Fellner.

Durchgekocht: Wenn die Hitze langsam steigt

"Ich mache mir besonders Sorgen um meine schwangeren Patientinnen, die hochgradig gefährdet sind", sagt die Internistin Katja Kühn. Die Leipziger Ärztin engagiert sich auch als Klimaktivistin bei "Health for Future". So gebe es eine 35-prozentig erhöhte Frühgeburtenrate. Außerdem seien durch Hitzewellen zahlreiche weitere Menschen etwa mit Vorerkrankungen stark beeinträchtigt.

Normal hält der Körper eine Kerntemperatur von 37 Grad. Wird es heiß, leitet er sehr viel Blut in die Haut um. So kann er schwitzen und kühlt ab. Doch Organe wie Herz und Hirn sind dann schlechter durchblutet. Die Folge können Schwindel, Schwäche oder Herzrasen sein. Bei längerer Extremhitze versagt die Wärmeregulierung. Ab 40 Grad Körperkerntemperatur droht der Hitzschlag und ohne sofortige Abkühlung der Tod.

Stellen sie sich vor, sie kochen ein Ei und das brauchen sie auch bei 42 Grad nur lange genug im warmen Wasser lassen.

Katja Kühn Ärztin

"Unser Gehirn besteht aus Eiweiß. Stellen sie sich vor, sie kochen ein Ei und das brauchen sie auch bei 42 Grad nur lange genug im warmen Wasser lassen", erklärt Internistin Kühn. "Das denaturiert, das wird von flüssig, klarem Eiweiß zu weißem, festen Eiweiß. Das ist nicht wieder umkehrbar. Die Mechanismen sind komplex und noch ein bisschen anders. Aber: Das ist tödlich."

Kein Trinkwasserbrunnen in Magdeburg

Der vergangene Sommer war der heißeste in Europa seit Beginn der Wetteraufzeichnung. An vielen Orten wurde die 40-Grad-Marke geknackt. In Magdeburg waren es teils über 38 Grad im Schatten. "Wir haben Waschlappen feucht gemacht und den Leuten in die Nacken gelegt. Wir haben T-Shirts in den Tiefkühler gepackt", sagt Florian Sosnowski, Leiter der Bahnhofsmission in der Landeshauptstadt von Sachsen-Anhalt. In dieser Zeit kamen deutlich mehr Menschen zur Caritas als sonst.

Sosnowski steht vor dem Magdeburger Hauptbahnhof und blickt auf aufgeheizte Platten – es gibt kaum Schatten, die Sonne brennt, der Boden flimmert. "Das lädt sich alles schön auf, das heißt die Wärme wird tagsüber auch noch schön abgegeben." Es sei eine Herausforderung sich dort aufzuhalten. Selbst Wasser ist dort für Obdachlose nur schwer zu finden. 

Im gesamten Stadtgebiet von Magdeburg gibt es keinen Trinkwasserbrunnen. Die historischen Brunnen dienen ausschließlich dekorativen Zwecken. Alle Trinkbrunnen wurden vor zehn Jahren abgebaut, teilt die Stadt mit: "Die öffentlichen Trinkwasserspender wurden unter anderem aus hygienischen Gründen zurückgebaut." Die Errichtung einer solchen Anlage sei mit hohen Primärkosten von 15.000 bis 20.000 Euro verbunden.

Wie in Leipzig geholfen werden soll

In Leipzig gibt es insgesamt 15 Trinkwasserbrunnen und in der Messestadt gibt es einen Hitzeaktionsplan – der könnte auch den Ärmsten helfen. "Es gibt zwei aktuelle Flyer, die auch online und analog sind", sagt Anett Richter vom Umweltamt Leipzig. Die würden zudem gerade in zehn Sprachen übersetzt. "Wir haben eine Karte entwickelt, die wird jetzt digital auf die Website gestellt, wo ist ein kühler Ort, ein Park oder auch ein Gebäude, wo ich reingehen kann." Laut offizieller Statistik leben in Deutschland insgesamt 260.000 Menschen ohne Wohnung. Die Dunkelziffer könnte deutlich höher sein.

"Du musst Dir das so vorstellen: Wir als Menschen, die eine Wohnung haben, wir gehen dann, wenn es heiß ist, in den Schatten, in die Wohnung", erklärt Streetworker Neufert vom Hilfebus, der auch von der Stadt Leipzig finanziert wird: "Wir machen die Türen und Fenster zu. Wir können uns kalt abduschen. Wir haben einen Kühlschrank, wo kalte Getränke sind." Das alles ginge für Obdachlose kaum. "Oder es ist mit unglaublich viel mehr Aufwand verbunden – mit langen Wegen, Öffnungszeiten, mit Geld."

Quelle: MDR Investigativ/ mpö

Dieses Thema im Programm: MDR FERNSEHEN | MDR exakt | 12. Juli 2023 | 20:15 Uhr

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