Bernhard Pörksen hält einen Vortrag 4 min
Warum wir besser zuhören sollten, zeigt das neue Buch von Bernhard Pörksen. Bettina Baltschev stellt es im Audio vor. Bildrechte: picture alliance / dts-Agentur

Neues Sachbuch Pörksen: Zuhören ist die kleine Schule der Demokratie

08. Februar 2025, 04:00 Uhr

Solidarität und Zusammenhalt schwinden – so beklagen es in der jüngsten MDRfragt-Studie 86 Prozent der Befragten in Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen. Was unsere Art der Kommunikaton damit zu tun hat, erkundet der Medienwissenschaftler Bernhard Pörksen. Er empfiehlt: "Zuhören". Das empfehlen auch andere, aber nur wenige so facettenreich wie Pörksen in seinem neuen Sachbuch über das Zuhören als "Die Kunst, sich der Welt zu öffnen". Wie Kommunikation gelingen kann und was wir alle davon haben, erklärt der Autor im Gespräch mit MDR KULTUR.

Nicht das Sprechen, Lamentieren oder verbale "Aufeinander-Eindreschen" in der öffentlichen Arena ist die Basis unserer Kommunikation, sondern das Zuhören. Das betont der Medienwissenschaftler Bernhard Pörksen im Gespräch mit MDR KULTUR.

In seinem neuen Buch erforscht er das Zuhören als "Die Kunst, sich der Welt zu öffnen". Er bleibt aber nicht bei der philosophischen Betrachtung stehen, sondern kommt auf unsere gesellschaftliche Praxis zu sprechen, in der Fakten und Argumente oft nur noch akzeptiert werden, wenn sie der eigenen Meinung entsprechen.

Der Zusammenhalt in unserer Gesellschaft ist…
"MDRfragt – das Meinungsbarometer für Mitteldeutschland" erkundete in der jüngsten Umfrage auch die Stimmungslage in Sachen Zusammenhalt. Bildrechte: MITTELDEUTSCHER RUNDFUNK

Warum wir Krise und Krieg verdrängen

"Wir Menschen sind Verdrängungskünstler. Wir sind Profis der Ignoranz. Das Weghören stabilisiert uns auf merkwürdige Art und Weise", analysiert Pörksen und nennt den Umgang der Kirchen mit sexualisierter Gewalt, die Klimakrise, aber auch die Auseinandersetzung mit der Macht von Propaganda oder den Ukraine-Krieg als Beispiele.

Wirklich Zuhören ist unter Umständen ein lebensveränderndes Risiko.

Bernhard Pörksen, Medienwissenschaftler

Wie sich das ändern lässt und wieso Einzelne "das unter Umständen lebensverändernde Risiko auf sich nehmen, in der Tiefe zuzuhören" und sich auch Gehör zu verschaffen, das habe ihn interessiert. Bei seinen Recherchen sei er vorgegangen "wie ein Anthropologe, der sich zu den Menschen setzt", um viele Gesprächen zu führen, manchmal über Jahre hinweg.

Friedrich Merz (r), CDU Bundesvorsitzender und CDU/CSU Fraktionsvorsitzender im Bundestag
Pörksens Buch kritisiert das "Aufeinander-Eindreschen", zuletzt zu besichtigen in einer eskalierenden Debatte im Bundestag zum Thema Migration. Bildrechte: picture alliance/dpa | Michael Kappeler

Nur persönliche Geschichten berühren

"Persönliche Geschichten können Wahrnehmungsöffner sein", davon ist Pörksen überzeugt. In seinem Buch schildere er auch eine persönliche Geschichte aus der Ukraine. Darin gehe es um einen Mann, der seinem in Russland lebenden Vater am Telefon von den Raketenangriffen auf Kiew berichte. Doch der wolle nichts davon wissen. Das ändere sich erst, als der Sohn ganz konkret aus dem Kriegs-Alltag erzählt habe, von der Oma, die im Badezimmer sitze, weil das der sicherste Ort sei, von der Tochter, die nicht mehr aufhören könne, zu weinen.

Der Medienwissenschaftler Bernhard Pörksen beschäftigt sich mit der Kunst des Zuhörens. 27 min
Der Medienwissenschaftler Bernhard Pörksen beschäftigt sich mit der Kunst des Zuhörens. Bildrechte: picture alliance / dts-Agentur

"Solchen Momenten spüre ich nach, um dahinter nicht nur das Einzelschicksal zu sehen, sondern das größere Muster: Ab wann schieben Menschen nicht mehr reflexartig zur Seite, was ihnen unangenehm ist, sondern beginnen zuzuhören, trotz all der subjektiven Filter." Die sieht Pörksen in der "Tiefengeschichte" jedes Einzelnen begründet, generiert aus guten und schlechten Erfahrungen.

Medienwissenschaftler Bernhard Pörksen
Bernhard Pörksen ist Professor für Medienwissenschaft und lehrt in Baden-Württemberg. Bildrechte: IMAGO / epd

Prof. Dr. Bernhard Pörksen Der 1969 geborene Medienwissenschaftler lehrt seit 2018 an der Universität Tübingen. Als Autor veröffentlicht er in Tages- und Wochenzeitungen, Magazinen sowie Netzmedien. 2018 erschien sein Buch "Die große Gereiztheit. Wege aus der kollektiven Erregung." 2020 publizierte er gemeinsam mit dem Kommunikationspsychologen Friedemann Schulz von Thun das Buch "Kunst des Miteinander-Redens. Über den Dialog in Gesellschaft und Politik."

Zuhören lernen und trainieren

Pörksen plädiert im Gespräch mit MDR KULTUR dafür, die Fähigkeit zuzuhören wieder zu erlernen oder zu trainieren. Er habe kein Patentrezept, aber im Laufe seiner Recherche bestimmte Erkenntnisse gewonnen. Die "Tiefengeschichte", die jeder mitbringe, gelte es zu beachten ebenso wie die Haltung, "auch etwas an sich heranzulassen, was man eigentlich nicht hören will".

Pörksen unterscheidet zwischen "egozentrischer" und "echter Aufmerksamkeit", vom Zuhören mit dem "Ich"- oder dem "Du-Ohr": "'Das Du-Ohr-Zuhören' wird bestimmt von der Frage: 'In welcher Welt ist das, was der andere mir erzählt, plausibel?'" Der Imperativ laute: "Erkenne das Andere in seiner Schönheit, in seiner Fremdheit, vielleicht auch in seinem Schrecken."

Bernhard Pörksen: Zuhören, Buch-Cover
Bernhard Pörksen sieht im "Zuhören" die Voraussetzung von Kommunikation und beschreibt facettenreich, wie es gelingt. Bildrechte: Hanser Verlage

Buch über Kommunikation und Zusammenhalt

Diese Art des Zuhörens sieht Pörksen als Grundbedingung für gelingende Kommunikation, die wiederum Voraussetzung sei für gesellschaftliche Verbundenheit. Dabei macht er sich keine Illusionen: Sein Zuhör-Modell sei womöglich nichts für die große Politik, überhaupt für das "Aufeinander-Eindreschen in der öffentlichen Arena, in Talkshows oder sozialen Netzwerken". Zuhören in seinem Sinne heißt: "Die Welt kommen lassen und bereit sein, auch sich selbst zu verändern."

Im Gespräch mit MDR KULTUR wendet Pörksen sich gegen die Simulation des Zuhörens in Wahlkampfzeiten – etwa in "Küchentisch"-Gesprächen – aber auch dagegen, den ernst gemeinten Akt des Zuhörens sofort "als schweigende Sympathie-Kundgebung zu skandalisieren". In Zeiten der blitzschnellen Verfeindung und der Großkrisen sei es nötig, Räume für einen Austausch offen zu halten, auch wenn am Ende die Ablehnung einer Position stehen könne – oder die Entscheidung, den anderen zu bekämpfen, weil man seine Weltsicht verabscheuungswürdig finde.

Gesellschaftlicher Zusammenhalt ist…
Das Anerkennen sozialer Regeln sieht eine Mehrheit der vom MDR Befragten als grundlegend an. Zuhören gehört dazu. Bildrechte: MITTELDEUTSCHER RUNDFUNK

Bernhard Pörksen kennt Informations-Flut

Pörksen räumt ein, dass seine Betrachtungen in der Praxis einen Balance-Akt bedeuten. Manchmal brauche es den Rückzug, das Weghören, auch um nicht in einen Zustand der Depression und Verzweiflung zu verfallen, sagt der Medienwissenschaftler mit Blick auf die überfordernde Flut von Informationen und Meinungen.

Wirklich zuhören heißt, den anderen anerkennen, Gemeinsamkeiten ausfindig machen, aber auch das Trennende zu begreifen.

Bernhard Pörksen, Medienwissenschaftler

Sein Buch versteht er auch als Einladung, bei sich zu bleiben und sich selbst zu überprüfen. Das Zuhören sei ein Akt der Freiheit und gelebte Demokratie im Kleinen. "Wirklich zuhören heißt ja, den anderen anerkennen, Gemeinsamkeiten ausfindig machen, aber auch das Trennende zu begreifen und manchmal auch, auf dem Trennenden zu bestehen." Insofern sei Zuhören so etwas wie eine kleine Schule der Demokratie, in der es beständig um Auseinandersetzung und Akzeptanz, das Umgehen mit Vielfalt und Unterschieden gehe.

Angaben zum Buch

Bernhard Pörksen
Zuhören. Die Kunst sich der Welt zu öffnen

Hanser Verlag
336 Seiten
Hardcover
24 Euro

ISBN 978-3-446-28138-7
Erscheinungsdatum: 28.01.2025

Quellen: MDR KULTUR (Bettina Baltschev), Redaktionelle Bearbeitung: ks, lk

Dieses Thema im Programm: MDR KULTUR - Das Radio | 08. Februar 2025 | 19:00 Uhr

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