MDR mittendrin Dialogveranstaltung zur Reportage „Wut. Die Reise geht weiter“ im Neuberinhaus Reichenbach
Nach dem großen Zuspruch von "Wut. Eine Reise durch den zornigen Osten" fährt Filmautor Matthias Schmidt kurz vor den Wahlen zum Bundestag noch einmal durch Mitteldeutschland.  Bildrechte: MDR/ Savidas Filmproduction GmbH

"Die Reise geht weiter" "Wut": Fünf Gründe, warum diese Doku über den Osten so wichtig ist

19. Februar 2025, 08:42 Uhr

Nach dem Erfolg der Dokumentation "Wut" hat sich Autor Matthias Schmidt erneut auf die Reise durch den "zornigen Osten" begeben. Kurz vor der Bundestagswahl am 23. Februar 2025 folgt jetzt die Fortsetzung "Wut. Die Reise geht weiter". Schwerpunkt des zweiten Teils ist Sachsen. Bereits in Teil 1 hatte Schmidt einen schonungslosen Blick auf die Lage in Ostdeutschland geworfen und mit den Menschen über ihre Wut gesprochen, die sich auf ganz Unterschiedliches richtet. Das Besondere, er hört zu, lässt sie sprechen und selbst das Warum analysieren. Fünf Gründe, warum sich diese Doku in der ARD Mediathek lohnt und was sie so wichtig macht.

1. Zuhören statt reden

Der Film macht etwas Besonderes und auch ein wenig Gewagtes: Er will mit Menschen ins Gespräch kommen. Matthias Schmidt reist durch Sachsen, Thüringen und Brandenburg und fragt die Menschen direkt, was sie wütend macht. Dabei sucht der Filmemacher nicht die Debatte, sondern er will zuhören. Bewusst sagt er, dass er zu Ausführungen nichts ergänzen will. Auch große Analysen zu komplizierten Gesprächsfeldern vermeidet der Film: Es geht nicht darum, die Wichtigkeit von Minderheitenrechten zu erörtern oder die Bedeutungsunterschiede des Wortes Frieden herauszuarbeiten. Dadurch wird der Film nicht überfrachtet, sodass das Filmpublikum selbst besser zuhören und die Zwischentöne der Wut erkennen kann. So sorgt der Film für ein besseres Verstehen.

2. Das etwas andere Roadmovie

Matthias Schmidt ruft nicht einfach beliebige Leute an oder redet mit Menschen vor seiner Haustür. Er begibt sich auf eine Reise. Die Kamera fängt immer wieder das Reisen selbst ein, wie Schmidt in der langsamen Bahn sitzt oder im Überlandbus ein Ticket kauft. Das zeigt die Doku jedoch nicht als beschwerlichen Weg – immerhin ist die Anbindung auf dem Land ständig ein Streitthema – sondern als ein entschleunigtes Unterwegssein. Die gute Botschaft ist: Man kommt mit öffentlichen Verkehrsmitteln sehr weit und kann während der Fahrt die Landschaft genießen.

3. Vielfalt der Wut

Zugegeben: Die Doku ist nicht ungeschminkt. Matthias Schmidt spricht nicht mit Scharfmachern und Hasspredigern. Es werden zwar auch Demo-Beiträge gezeigt, aber niemand schreit hier unkontrolliert herum. Es ist kalte Wut, keine heiße; reflektierend und nicht zerstörerisch. So gelingt es, dass sehr verschiedene Menschen in ihrer Wut nebeneinander gezeigt werden können. Es geht eben nicht um die sprichwörtlichen "Wutbürger", die scheinbar alles brennen sehen wollen, die den vermeintlichen "Gutmenschen" gegenüberstehen, die doch alles befürworten: Der Friseur ist leicht überfordert, weil inzwischen selbst die Frage nach dem Urlaub politisch ist (Wer kann sich das denn noch leisten?).

Da regt sich einer auf, dass das Geld unfair verteilt wird – aber nicht mit Stammtisch-Parolen, sondern als Bürgermeister. Da ist eine junge Frau wütend, weil der Klimawandel nicht bekämpft wird. Da ist ein Unternehmer, der die Notwendigkeit von Energiewende zwar erkennt, aber keine Rohstoffe nutzen will, die woanders für Umweltschäden sorgen. Und eine eher linke Autorin ist wütend, dass das System überhaupt so viel Wut hat wachsen lassen. Es gibt nicht nur die eine Wut und viele Formen der Wut haben Ursache und Berechtigung.

Demonstierende Menschen
Das Bild im Osten wird auch durch die "Montagsdemonstrationen" geprägt. Bildrechte: MITTELDEUTSCHER RUNDFUNK

4. Mitten in der Debatte

Obwohl die Doku große Diskussionen über umstrittene Themen vermeidet, bleibt sie nicht ohne Analyse – auch weil die Gesprächspartnerinnen und -partner selbst viel analysieren. Es geht aber immer auch um die Frage: Warum gerade im Osten? Warum ist die Wut hier so groß, so drängend. Antworten darauf gibt in Teil 1 unter anderem Steffen Mau, über dessen aktuelles Buch "Ungleich vereint" viel gesprochen wird. Er konstatiert beispielsweise, dass sich Ost und West nie ganz angleichen werden (regionale Unterschiede seien ja auch nichts Schlimmes) und dass ein Grund für die Demokratie-Skepsis auch darin läge, dass die Einführung dieser neuen Staatsform im Westen mit einem wirtschaftlichen Aufschwung und im Osten mit einem wirtschaftlichen Abschwung verbunden war – also negativ behaftet ist. Damit passt diese Doku in die größere Debatte über Unterschiede zwischen Ost und West, die 35 Jahre nach dem Fall der Mauer ganz neu geführt wird – auch mit den Stimmen von Dirk Oschmann, Ines Geipel oder Ilko-Sascha Kowalczuk.

Steffen Mau
Soziologe Steffen Mau analysiert den Osten und politische Debatten. Bildrechte: IMAGO/photothek

5. Motivation für mehr

Passend zur Doku gibt es im Podcast "Große Fragen in zehn Minuten von MDR WISSEN" eine Folge zu diesem Gefühl. Dabei ist eine Erkenntnis: Wut hat auch eine schöpferische Kraft. Wer wütend ist, nimmt nicht nur hin, sondern will auch verändern. Das zeigt auch die Doku fast schon nebenbei: Im Dorf ist nichts los? Dann baue ich doch einfach selbst ein Kulturhaus auf. Und dass der Bürgermeister von Dahme selbst Montagsdemos organisiert, wirkt zwar komisch, aber auch wie eine sehr kreative Form von Dialog mit der Bevölkerung – die viel zu selten Einblick in die Mühlen der Politik nimmt oder erhält. Wir müssen die Wut also nicht bekämpfen, sondern sie besser verstehen. Diese Doku könnte dabei helfen.

Der zweite Teil "Wut. Die Reise geht weiter" ist ab 18. Februar 2025 in der ARD Mediathek verfügbar.

Dieses Thema im Programm: MDR FERNSEHEN | 13. Februar 2025 | 20:51 Uhr

Mehr MDR KULTUR