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Was bleibt von der DDR, fragt Autor Paul Werner Wagner ostdeutsche Kulturschaffende in seinem Interviewband "Vom Morgenrot zum Abendlicht". Ulrich Wittstock stellt ihn vor. Bildrechte: IMAGO / Lutz Sebastian

Neues Buch zu Kunst- und Kulturpolitik in der DDR Was sich aus dem Ende der DDR für die Kultur heute lernen lässt

18. Februar 2025, 03:00 Uhr

Wirtschaftliche Stagnation, Politikmüdigkeit und Krisenmodus: Im Zuge der aktuellen politischen Entwicklungen erscheint das Ende der DDR in einem neuen Blickwinkel. Der Autor Paul Werner Wagner hat für seinen Interviewband "Vom Morgenrot zum Abendlicht" Gespräche mit Kulturschaffenden aus der DDR geführt. Mit seinem Blick zurück ist er nun plötzlich hochaktuell.

Was bleibt von einem Land, das an seinen eigenen Ansprüchen gescheitert ist? Eine Fußnote der Weltgeschichte oder vielleicht doch mehr? Diese Frage treibt den Autor Paul Werner Wagner seit vielen Jahren um. Sein jüngster Interviewband fasst die Gespräche mit Menschen zusammen, die in der DDR wichtige Maler, Musiker oder Autoren waren und unter zum Teil sehr schwierigen Bedingungen arbeiteten.

Weder Ostalgie, noch Abrechnung

Aber das Buch ist keine Abrechnung, sondern vielmehr ein Blick zurück – in einer Zeit, in der auch der Westen offenbar vor großen Veränderungen steht. Das hat Paul Werner Wagner ebenfalls im Blick: "Ich denke schon, dass die ehemaligen DDR-Bürger auf Krisensituationen besser vorbereitet sind, als die Bürger der Bundesrepublik, die eigentlich von 1949 an, als die Bundesrepublik gegründet worden ist, ja stetig ein Wachstum gehabt haben." Diese Zeiten scheinen vorbei zu sein, weswegen der Buchtitel "Vom Morgenrot zum Abendlicht" plötzlich unerwartet aktuell wirkt.

Ich denke schon, dass die ehemaligen DDR-Bürger auf Krisensituationen besser vorbereitet sind, als die Bürger der Bundesrepublik.

Paul Werner Wagner, Autor

Paul Werner Wagner
Mit seinem Interviewband vereint Paul Werner Wagner verschiedene Perspektiven von Kulturschaffenden auf die DDR. Bildrechte: IMAGO / Zoonar

Unterschiedliche Perspektiven auf die DDR

Paul Werner Wagner hat die DDR aus ganz unterschiedlichen Perspektiven kennengelernt. Aufgewachsen in Wolfen mit Rauchfahnen der Chemie, blickte er später wegen einer missglückten Republikflucht neunzehn Monate durch ein Gefängnisgitter und anschließend bewährte er sich sieben Jahre in der Produktion der Filmfabrik Wolfen. Dann durfte Wagner Kulturwissenschaften studieren und war in Berlin aktiv.

Jenseits der üblichen Ost-West-Debatten setzt er auf ein differenziertes Bild: "Wer sich vorurteilsfrei für DDR-Geschichte interessiert, kann vieles entdecken. Denn es gab Bestrebungen, die sich am Ende nicht eingelöst haben, aber die doch beachtenswert waren und die man aus heutiger Sicht nochmal genauestens beobachten sollte."

Beispielhaft ist für Wagner der berühmt-berüchtigte Bitterfelder Weg, der das Wirken der DDR-Arbeiter mit dem der Kulturschaffenden verband: "Die Arbeiterbewegung hatte schon Ende des 19. Jahrhunderts mit Arbeiterbildungsvereinen versucht, die Unterprivilegierten zu fördern und zu bilden. Das hat man bei dem Bitterfelder Weg nochmal aufgegriffen, mit der Vorstellung, dass der arbeitende Mensch eben auch künstlerisch gebildet werden soll", so Wagner bei MDR KULTUR. Künstlerisch war die Idee des schreibenden Arbeiters sicherlich eine Sackgasse, der Bildungsanspruch hingegen ist mit Blick auf die gegenwärtige Schullandschaft sicherlich hochaktuell.

Bildung darf kein Luxus sein

Das Vorwort für den Sammelband schrieb der Liedermacher Hans-Eckhardt Wenzel, der auch die Buchpremiere in Sachsen-Anhalt mitgestaltete, im Industriemuseum Wolfen. Auch für Wenzel ist der Blick zurück plötzlich hochaktuell geworden: "Vom Empfinden ist es ein ähnlicher Niedergang, den wir gerade erleben. Die DDR wurde aber aufgefangen von einem reicheren Boden. Wir fallen jetzt ins Bodenlose, wenn wir nicht aufpassen", meint Wenzel bei MDR KULTUR.

Wir müssen das Volk klüger machen. Es muss kulturell gebildet werden, damit es nicht in Katastrophen rutscht.

Hans-Eckhard Wenzel

Die Erfahrungen der Ostdeutschen könnten da eine wichtige Rolle spielen. Und auch deshalb hält es Wenzel für wichtig, sich mit der jüngeren Geschichte zu beschäftigen: "Es gibt nur zwei Möglichkeiten, eine Gesellschaft zusammenzuhalten: Entweder ist es die Kultur oder das Militär. Und der Westen hat sich für das Militär entschieden in der letzten Zeit."

Wenzel, Jahrgang 1955, Vollblutmusiker, Provokateur. Ein Querkopf aus Leidenschaft - einer der wichtigsten Liedermacher im Osten Deutschlands. Der Film erzählt seine spannungsreiche Biografie und lässt die Magie seiner Konzerte nacherleben. Wegbegleiter wie Konstantin Wecker, Nora Guthrie, Andreas Dresen schildern ihre Sicht auf den Poeten. - Der Liedermacher Hans-Eckardt Wenzel.
Hans-Eckardt Wenzel gilt als einer der wichtigsten Liedermacher im Osten Deutschlands. Für den Sammelband schrieb er das Vorwort. Bildrechte: MDR/RBB/Clip Film/Sandra Buschow

Mit Blick auf die Nachrichten der vergangenen Wochen kommt man nicht umhin, von bewegten Zeiten zu reden. Der Westen wankt, der Osten krankt und alte Gewissheiten lösen sich auf. Der Liedermacher Wenzel sieht vor allem einen wichtigen Bildungsauftrag: "Wir müssen das Volk klüger machen. Es muss kulturell gebildet werden, damit es nicht in Katastrophen rutscht."

Blick nach vorn bleibt kritisch

Dass Deutschland mehr Geld in Rüstung stecken wird, dürfte feststehen, egal welche Mehrheiten sich nach der Bundestagwahl bilden werden. Leider gehört die Kultur in Deutschland nicht zu den Pflichtaufgaben, was wohl zu deutliche Kürzungen in diesem Bereich führen wird. Auch deshalb hält es Paul Werner Wagner für wichtig, die Kulturpolitik der DDR nicht nur auf den Begriff der Staatskunst zu verkürzen: "Ich habe diesen Bitterfelder Weg hautnah miterlebt, weil die Betriebskultur mit den Kulturhäusern sehr gut war. Die Angebote waren vielfältig und fast kostenlos. Hier gab es ein Amateurtheater, ein Blasorchester, ein Symphonieorchester und das begann schon bei den Kindern."

Buchvorstellung "Vom Morgenrot zum Abendlicht": angeregtes Gespräch zwichen Wagner und Wenzel
Paul Werner Wagner bei seiner Lesung seines Buches "Vom Morgenrot zum Abendlicht" in Wolfen mit DDR-Liedermacher Hans-Eckardt Wenzel – ein Heimspiel für den Autoren. Bildrechte: Ulrich Wittstock / MDR

Der Kulturpalast Bitterfeld steht noch, nach einer dauerhaften Nutzung wird gesucht. Doch die Interviews in Wagners Buch machen eben auch deutlich, wie SED-Funktionäre in die Kunst eingriffen, freie Gedanken unterbanden und auch vor Berufsverboten nicht zurückschreckten. Die Übergriffigkeit hat wohl neben den wirtschaftlichen und ökologischen Problemen den Niedergang der DDR beschleunigt.

Doch bleibt natürlich die Frage, was diejenigen, die das erlebt haben, nun in die aktuelle Krise einbringen können. Hans-Eckhardt Wenzel beschreibt es so: "Man kann mit einem geringeren Volumen an Reichtum auskommen. Das ist für viele unvorstellbar im Westen. Dort kann man sich nicht vorstellen, dass ein bestimmter Lebensstandard unterschritten wird. Wir werden uns darauf einstellen müssen."

Buchcover "Vom Morgenroth zum Abendlicht"
Der Titel des Buchs "Vom Morgenrot zum Abendlicht" wirkt unter den aktuellen Krisen erstaunlich aktuell. Bildrechte: Verlag am Park

Mehr Informationen zum Buch

Paul Werner Wagner (Hrsg.): "Vom Morgenrot zum Abendlicht.
Was zu bedenken bleibt – Dreizehn Gespräche zur Kunst und Kulturpolitik in der DDR"

erschienen im Verlag am Park in Vertriebskooperation der Eulenspiegel Verlagsgruppe
ISBN: 978-3-89793-388-0
370 Seiten, 20 Euro

Dieses Thema im Programm: MDR KULTUR - Das Radio | MDR KULTUR am Morgen | 18. Februar 2025 | 16:10 Uhr

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