Deutsches Studierendenwerk Mehr Studienabbrecher wegen Armut befürchtet
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12. Oktober 2024, 16:36 Uhr
Ein Drittel aller Studierenden in Deutschland ist armutsgefährdet. Das sind Zahlen des Statistischen Bundesamtes. Als besondere Belastung gelten hohe Miet- und Lebensmittelkosten. Das Deutsche Studierendenwerk befürchtet eine steigende Studienabbrecher-Quote und fordert eine Bafög-Reform.
Jedes Jahr im Oktober beginnen in Deutschland hunderttausende junge Menschen ein Studium. Im vergangenen Jahr waren es knapp ein halbe Million. Umso dramatischer wirken die Zahlen, die die Linke-Bundestagsabgeordnete Heidi Reichinnek in einem Tiktok-Clip äußerte: Jeder dritte Student in Deutschland sei arm. "Armut ist kein Naturgesetz und nicht gottgegeben. Armut ist die Folge von politischen Entscheidungen", sagt die Linke-Politikerin.
Ein Drittel der Studierenden ist armutsgefährdet
Die Zahlen, die Reichinnek im Video nennt, lassen sich schnell belegen. Erst Ende August hatte das Statistische Bundesamt dazu eine aktuelle Erhebung veröffentlicht. Demnach waren im vergangenen Jahr 35 Prozent aller Studierenden und 18 Prozent aller Auszubildenden armutsgefährdet. Als armutsgefährdet gilt, wer weniger als 60 Prozent des Einkommensdurchschnitts zum Leben hat. Einer EU-Studie zufolge lag dieser Wert 2023 in Deutschland bei 1.314 Euro im Monat.
Matthias Anbuhl, Vorstandsvorsitzender vom Deutschen Studierendenwerk, sieht die alarmierenden Zahlen durch eine Sozialerhebung bestätigt, die 2023 unter Studierenden durchgeführt wurde. Anbuhl sagte MDR AKTUELL: "In der Düsseldorfer Tabelle wird festgelegt, wie viel Anspruch auf Unterhalt im Monat Studierende haben, die nicht mehr bei ihren Eltern wohnen, damit sie über die Runden kommen." Das seien zuletzt 860 Euro gewesen. "Ein Drittel der Studierenden war unter dieser Messlatte. 34 Prozent hatten sogar weniger als 800 Euro im Monat zur Verfügung. Das heißt, die Ergebnisse sind ähnlich."
Armut unter Jungen Menschen besonders hoch
Damit ist die Armutsgefährdung unter Studierenden und Auszubildenden im Vergleich zur Gesamtbevölkerung (14 Prozent) besonders hoch. Armutsforscher Christoph Butterwegge sagte MDR AKTUELL, das Problem habe sich zuletzt weiter verschärft: "Die Armutsrisikoquote dieser Gruppe, wie auch die der Gesamtbevölkerung, ist in den vergangenen Jahren durch die Covid-19-Pandemie, durch die Energiepreisexplosion infolge des Ukraine-Kriegs und durch die Inflation gestiegen."
Die Armut breite sich in die Mitte der Bevölkerung hinein aus. Das treffe dann auch Studierende und junge Menschen generell. "Wenn es der Familie materiell schlechter geht, dann trifft das eben auch die jungen Menschen." Die Armutsrisikoquote habe einen Rekordstand erreicht.
Hohe Miet- und Lebensmittelkosten als Ursache
Matthias Anbuhl vom Deutschen Studierendenwerk sieht als Knackpunkt vor allem hohe Miet- und Lebensmittelkosten: "In den letzten Jahren sind die Mieten in den Hochschulstädten und die Kosten für Lebensmittel stark gestiegen. Die Studierenden haben kaum Möglichkeiten, darauf zu reagieren."
Ein großer Teil der Studierenden sei bereits mit den Mieten finanziell überfordert. "Das hängt auch damit zusammen, dass Studierende in den Hochschulstädten leben und dort konzentriert sind, wo die Mieten tendenziell höher sind", so Anbuhl. Einem aktuellen Bericht des Paritätischen Wohlfahrtsverbands zufolge sind rund 60 Prozent der allein oder in Wohngemeinschaft lebenden Studierenden mit den Wohnkosten überlastet.
Forderungen nach BAföG-Reform
Wichtig für die Bekämpfung der Armut bei Studierenden sei eine Reform des Bafög, sagen Anbuhl und Butterwegge übereinstimmend. Dieses sei in den letzten zwei Jahrzehnten nicht ausreichend gepflegt worden, meint der Vorstandsvorsitzende des Deutschen Studierendenwerkes: "2010 haben ungefähr 30 Prozent der Studierenden Bafög bekommen. Jetzt sind es noch 12 Prozent, weil Bafög-Sätze nicht an die Entwicklung von Preisen und Einkommen angepasst wurden." Die Gruppe derer, die Bafög beziehen könnten, sei so immer kleiner geworden.
Konkret brauche es eine Erhöhung der Bedarfsätze für Essen, Trinken und Heizen, der Elternfreibeträge sowie der Wohnkostenpauschale. Auch brauche es mehr Investitionen in die Wohninfrastruktur der Städte. Gerade die Wohnkostenpauschale sei jedoch mit derzeit 380 Euro viel zu niedrig angesetzt, meint Butterwegge. "Wenn sie in München oder Stuttgart ein Zimmer mieten wollen, dann müssen sie mit Kosten von 600 Euro aufwärts rechnen. Das deckt die Mietkostenpauschale im Bafög nicht ab."
Studierendenwerk befürchtet Zunahme von Studienabbrechern
Aufgrund der hohen Armutsquote und der steigenden finanziellen Belastung befürchtet das Deutsche Studierendenwerk, dass die Zahl der Studienabbrecher steigt: "Das Budget der Studierenden ist seit je her auf Kante genäht. Wenn zusätzliche Belastungen reinschlagen, dann droht diese Naht zu reisen.", sagt Anbuhl.
Bereits während der Covid-19-Pandemie sowie anschließend durch die starke Inflation habe man gesehen, dass viele Studierende ihr Studium aus finanziellen Gründen abbrechen mussten, meint Butterwegge. "Es kann nicht im Sinne der Gesellschaft sein, dass junge Menschen, die eigentlich das Zeug dazu haben, einen akademischen Abschluss zu machen, aus finanziellen Gründen nicht in der Lage sind, ein Studium abzuschließen."
Dieses Thema im Programm: MDR AKTUELL | Das Nachrichtenradio | 12. Oktober 2024 | 06:30 Uhr