Studierende in Leipzig 4 min
Dieses Thema in den Radionachrichten von MDR AKTUELL um 9:30 Uhr: Das Studierendenwerk befürchtet viele Studienabbrecher wegen Armutsgefährdung. Bildrechte: IMAGO / Schöning

Deutsches Studierendenwerk schlägt Alarm Armutsgefährdete Studenten – hohe Quote von Studienabbrechern befürchtet

12. Oktober 2024, 12:19 Uhr

Ein Drittel aller Studierenden in Deutschland sind nach Zahlen des Statistischen Bundesamts armutsgefährdet. Hohe Miet- und Lebensmittelkosten gelten dabei als besondere Belastung. Das Deutsche Studierendenwerk fürchtet nun eine steigende Zahl an Studienabbrechern und fordert eine Reform des BAföG.

Jedes Jahr im Oktober beginnen in Deutschland hunderttausende Junge Menschen ein Studium an einer Universität oder Hochschule. Im vergangenen Jahr belief sich die Zahl der Studienanfänger bundesweit auf knapp eine halbe Million. Umso dramatischer wirken damit die Zahlen, die die Linke Bundestagsabgeordnete Heidi Reichinnek in einem reichweitenstarken TikTok-Clip äußerte. Jeder dritte Student in Deutschland sei arm. "Armut ist kein Naturgesetz und nicht gottgegeben. Armut ist die Folge von politischen Entscheidungen", ergänzt die Linken-Politikerin.

Ein Drittel der Studierenden Armutsgefährdet

Die Zahlen, die Reichinnek im Video nennt, lassen sich schnell belegen. Erst Ende August veröffentlichte das Statistische Bundesamt eine aktuelle Erhebung zu der Thematik. Demzufolge waren 2023 35 Prozent aller Studierenden und 18 Prozent aller Auszubildenden armutsgefährdet. Als armutsgefährdet gilt eine Person, wenn ihr Einkommen weniger als 60 Prozent des mittleren Einkommens beträgt. Laut der Erhebung zu Einkommen und Lebensbedingungen in Europa (EU-SILC) lag dieser Wert im vergangenen Jahr bei 1.314 Euro netto im Monat.

Auch die im vergangenen Jahr veröffentliche Sozialerhebung bestätigte die alarmierenden Zahlen, sagt der Vorstandsvorsitzende des Deutschen Studierendenwerks Matthias Anbuhl MDR AKTUELL. Als Gradmesser nutzte die Studierendenbefragung das Unterhaltsrecht. "In der Düsseldorfer Tabelle wird festgelegt, wie viel Anspruch auf Unterhalt im Monat Studierende haben, die nicht mehr bei ihren Eltern wohnen, damit sie über die Runden kommen", erklärt Anbuhl. Bei der letzten Sozialerhebung habe dieser Wert 860 Euro betragen. "Aber auch ein Drittel der Studierenden war unter dieser Messlatte von 860 Euro, 34 Prozent von ihnen hatten sogar weniger als 800 Euro im Monat zur Verfügung. Das heißt, die Ergebnisse sind ähnlich."

Armut unter Jungen Menschen besonders hoch

Im Vergleich zur Gesamtbevölkerung (14 Prozent) ist die Armutsgefährdung damit bei Studierenden und Auszubildenden nach Angaben des Statistischen Bundesamts besonders hoch. Zuletzt habe sich das Problem weiter verschärft, sagte Armutsforscher Christoph Butterwegge im Gespräch mit MDR AKTUELL: "Die Armutsrisikoquote dieser Gruppe, wie auch die der Gesamtbevölkerung, ist in den vergangenen Jahren durch die Covid-19-Pandemie, durch die Energiepreisexplosion infolge des Ukraine-Kriegs und durch die Inflation gestiegen". Die Armut breite sich immer mehr in die Mitte der Bevölkerung hinein aus. Das treffe dann auch Studierende und junge Menschen generell. "Wenn es der Familie materiell schlechter geht, wie das in diesen Krisen der Fall war, dann trifft das eben auch die jungen Menschen." Die Armutsrisikoquote habe einen Rekordstand erreicht.

Hohe Miet- und Lebensmittelkosten als Ursache

Matthias Anbuhl vom Deutschen Studierendenwerk sieht vor allem hohe Miet- und Lebensmittelkosten als Knackpunkt. "In den letzten Jahren sind die Mieten in den Hochschulstädten und die Kosten für Lebensmittel stark gestiegen. Darauf haben die Studierenden kaum Möglichkeiten zu reagieren." Ein großer Teil der Studierenden sei bereits mit den Mieten finanziell überfordert. "Das hängt auch damit zusammen, dass Studierende in den Hochschulstädten leben und dort konzentriert sind, wo die Mieten tendenziell höher sind", so Anbuhl. Einem aktuellen Bericht des Paritätischen Wohlfahrtsverbands zufolge sind rund 60 Prozent der allein oder in Wohngemeinschaft lebenden Studierenden mit den Wohnkosten überlastet.

Forderungen nach BAföG-Reform

Wichtig für die Bekämpfung der Armut bei Studierenden sei eine Reform des BAföG, sagen Anbuhl und Butterwegge übereinstimmend. Dieses sei in den letzten zwei Jahrzehnten nicht ausreichend gepflegt worden, meint der Vorstandsvorsitzende des Deutschen Studierendenwerkes. "2010 haben ungefähr 30 Prozent der Studierenden BAföG bekommen, jetzt sind es noch 12 Prozent. Weil einfach BAföG-Sätze nicht an die Entwicklung von Preisen und Einkommen angepasst wurden." Die Gruppe derer, die BAföG beziehen können, sei so immer kleiner geworden.

Konkret brauche es eine Erhöhung der Bedarfsätze für Essen, Trinken und Heizen, der Elternfreibeträge sowie der Wohnkostenpauschale. Auch brauche es mehr Investitionen in die Wohninfrastruktur der Städte. Gerade die Wohnkostenpauschale sei jedoch mit derzeit 380 Euro viel zu niedrig angesetzt, meint Butterwegge. "Wenn sie allerdings in München oder Stuttgart ein Zimmer mieten wollen, dann müssen sie mit Kosten von 600 Euro aufwärts rechnen. Das deckt die Mietkostenpauschale im Bafög nicht ab."

Deutsches Studierendenwerk fürchtet steigenden Zahl von Studienabbrechern

Aufgrund der hohen Armutsquote und der steigenden finanziellen Belastung befürchtet das Deutsche Studierendenwerk nun eine steigende Zahl von Studienabbrechern. "Das Budget der Studierenden ist seit je her auf Kante genäht. Wenn zusätzliche Belastungen reinschlagen, dann droht diese Naht zu reisen.", sagt Anbuhl.

Bereits während der Covid-19-Pandemie sowie anschließend durch die starke Inflation habe man gesehen, dass viele Studierende ihr Studium aus finanziellen Gründen abbrechen mussten, meint Butterwegge. "Es kann nicht im Sinne der Gesellschaft sein, dass junge Menschen, die eigentlich das Zeug dazu haben, einen akademischen Abschluss zu machen, aus finanziellen Gründen nicht in der Lage sind, ein Studium abzuschließen."

Dieses Thema im Programm: MDR AKTUELL | Das Nachrichtenradio | 12. Oktober 2024 | 06:30 Uhr

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