Erneuerbare Energien Die Windkraft-Welt von morgen: Wenn der Drachen das Elektroauto lädt
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09. Mai 2023, 12:56 Uhr
So viele Ideen, so viele Möglichkeiten, die Kraft des Windes zu nutzen. Vielleicht werden nicht alle umgesetzt. Aber Stadt und Land werden sich in Zukunft ziemlich sicher optisch verändern, auch wegen der Windkraft.
Wird es eines Tages diese Welt geben, wo Energie nur noch aus erneuerbaren Quellen kommt, also hauptsächlich von Sonne und Wind? Kann man das schaffen? Wenn ja, dann sieht sie vermutlich ganz schön anders aus als jetzt, unsere Welt. Aber gerade, was den Wind angeht, gibt es momentan so viel Bewegung auf dem Ideenmarkt, dass man sich eine Vorstellung machen kann, wie es "übermorgen" zugehen wird. Dazu nehmen wir einfach mal an, die derzeitigen Ideen, Forschungen und Pilotprojekte verlaufen positiv, sind also umsetzbar und sinnvoll. Dann wird sich zukünftig einiges ändern.
Energieparks mit mehreren Etagen
Entwickler aus Sachsen wollen eine 380 Meter hohe Windkraftanlage bauen. Die Planungen dafür schreiten immer weiter voran. Erster greifbarer Schritt ist ein fast 300 Meter hoher Messturm, der in Schipkau, einem ehemaligen Tagebau-Gebiet im südlichen Brandenburg aufgestellt wurde. Fürs erste wird der Turm nur der Windmessung dienen. Aber wenn dabei das herauskommt, was allgemein erwartet wird, nämlich, dass in so großer Höhe in Summe deutlich mehr Wind weht, der geerntet werden kann, dann sollen schnell auch Windräder mit etwa 300 Metern Gesamthöhe folgen. Sie wären dann doppelt so hoch wie die verbreitetsten Anlagen in Deutschland. Die Gesamthöhe setzt sich dabei aus der Nabenhöhe und der Länge eines Rotorblatts zusammen.
Auftraggeber des Projekts in Schipkau ist die Gicon-Gruppe. Deren Geschäftsführer Jochen Großmann erklärte gegenüber dem RBB einen weiteren Vorteil der Riesenwindräder. Für sie bräuchte man nicht unbedingt neue Flächen, sie würden in bestehenden Windparks als "zweite Etage" nachgerüstet werden. Dadurch könnten deutschlandweit potenziell bis zu 4.000 Anlagen allein dort entstehen, "und später sogenannte Hybridkraftwerke, wo man drei Etagen Solar, Wind und Höhenwind installieren könnte und zu einem wesentlich höheren Flächenertrag käme, als das heute der Fall ist", so Großmann.
Zäune erzeugen Energie
Es wird vermutlich in nicht allzu ferner Zukunft der Punkt kommen, wo man bei jeglichem Bauvorhaben auch an die Energiegewinnung des Bauwerks denkt. Und damit sind nicht nur Häuser gemeint, die dann immer Dächer und vielleicht auch Fassaden mit Solarzellen haben würden. Nein, auch neue Zäune und andere "Absperrungen" werden Energie erzeugen. Genau so etwas entwickelt gerade das polnische Unternehmen "Vind Panel". Es sind mehrere aufrecht stehende Windturbinen, die man in nahezu beliebiger Menge nebeneinander anordnet. Auf ihrer Homepage schreiben die Entwickler: "Wir wollen ein hochgradig skalierbares System von Windturbinen bauen, das mit niedrigen Windgeschwindigkeiten wirtschaftlich umgehen kann und Tag und Nacht Energie produziert, zu jeder Zeit des Jahres, buchstäblich überall, zu einem erschwinglichen Preis."
Hauptvorteil gegenüber anderen kleinen Windanlagen soll die Effizienz bei niedriger Windstärke sein, wie sie in bewohnten Gebieten nun mal üblich ist.
Noch in diesem Jahr soll das Produkt in Polen auf den Markt kommen, später auch EU-weit. Die Panels könnten dann zum Beispiel als Grundstückszaun oder Terassenbegrenzung dienen – oder noch größer gedacht – entlang von Autobahnen aufgestellt werden. Bleiben wir für eine Beispielrechnung beim Grundstückszaun. Stellen wir uns eine durchschnittliche vierköpfige Familie in einem Einfamilienhaus vor. Sie verbraucht etwa 4.000 Kilowattstunden Strom im Jahr. Wenn die Familie die Grenzen ihres 1.000 Quadratmeter großen Grundstücks vollständig mit so einem Zaun absteckt, dann erzeugt sie viel mehr Energie, als sie selbst verbraucht. Laut Entwicklern erzeugt ein Zaun dieser Länge bis zu 40 Kilowatt. Bei dieser Leistung müsste der Zaun dann nur etwa 100 Stunden lang "laufen", und die Familie hätte für ein ganzes Jahr Strom. Der überschüssige Strom könnte dann zum Beispiel ins Netz eingespeist werden.
Ungenutztes kriegt einen Nutzen
So wie man bei Neubauten immer den Energieaspekt im Hinterkopf haben wird, wird man auch bei Anlagen, die nur zu bestimmten Zeitpunkten betrieben werden, über eine Umwidmung zugunsten der Energiegewinnung nachdenken. Das ist nicht einmal nur Zukunftsmusik, das geschieht schon in Österreich. Das StartUp BergWind hat es sich zur Aufgabe gemacht, Gondeln, Sessel- und Schlepplifte, die eigentlich nur im Winter in Betrieb sind, zur Stromerzeugung zu nutzen.
Dazu werden an den Stellen des Drahtseils, wo sonst die Gondeln oder Bügel eingehängt sind, kleine Windräder oder Solarpanele angebracht, die dann mit dem Drahtseil so in Stellung gefahren werden, dass sie möglichst viel Wind oder Sonne erwischen. Wie viel Strom auf diese Art in Wintertourismus-Regionen erzeugt werden kann, wird man sehen müssen. Auf jeden Fall dürfte es aber gut fürs Image dieser Regionen sein, wenn sie nicht nur drei Monate Winterspaß, sondern auch neun Monate Energieerzeugung bieten.
Drachen erzeugen Energie
Gut möglich, dass man in Zukunft viel mehr Drachen am Himmel sehen wird. Die werden dann allerdings nicht von Kindern gehalten, sondern von einer transportablen Maschine, die Strom erzeugt. Das Konzept wurde bereits erprobt, zum Beispiel von der Kleinmachnower Firma EnerKite, und funktioniert folgendermaßen: Die Halteseile des Drachens sind in einer Trommel aufgewickelt. Wenn der Wind am Drachen zerrt, wickelt sich die Trommel ab, diese mechanische Rotationsenergie wandelt ein Generator in elektrische Energie um. Wenn der Drachen dann umgekehrt wieder heruntergezogen wird, ist nur ein kleiner Teil des Stroms nötig. Es entsteht ein deutlicher Stromüberschuss, der in der Anlage selbst gespeichert wird.
Denkbar sind in Zukunft mehrere Einsatzgebiete, deren Vorteil vor allem in der Dezentralität liegt. Inseln und abgelegene Gebiete könnten sich zum Beispiel per Drachen mit Strom versorgen. In Katastrophengebieten könnten solche Drachen schnell Strom bereitstellen. Und auf dem Land sind Tankstellen für E-Autos denkbar, die von so einem Drachen mit Strom gespeist werden.
Weiterentwicklung von Vertikalläufern
Vertikalläufer, deren Drehachse nach oben zeigt, haben Vor- und Nachteile. Vorteile sind, dass sie auf die meisten Menschen optisch weitaus angenehmer wirken als Horizontalläufer, wie man sie zum Beispiel von den großen Windrädern kennt. Deshalb sind Vertikalläufer vor allem bei privaten Käufern beliebt.
Und man muss sie nicht nach dem Wind ausrichten. Der Wind darf von jeder Seite kommen.
Sie haben aber eben auch den Nachteil, dass sie nicht so effizient sind wie Horizontalläufer. Und so ist es derzeit sehr oft rechnerisch noch nicht sinnvoll, sich so ein kleines Windkraftwerk zuzulegen, vor allem nicht in Regionen wie dem mitteldeutschen Flachland, wo die Windstärke übers Jahr deutlich geringer ist als zum Beispiel in den Küstenregionen oder im Gebirge. Von dicht bebauten Städten ganz zu schweigen, wo Winde oft so verwirbelt werden, dass kaum noch etwas an der Anlage ankommt.
Der Markt für solche Anlagen ist wegen ihrer optischen Beliebtheit aber da. Und entsprechend viele Neu- und Weiterentwicklungen gibt es in Forschung und Industrie. Die Prognose, dass Vertikalläufer in naher Zukunft Teile der Landschaft und vielleicht auch von Städten prägen werden, dürfte erlaubt sein.
Wie sieht sie also aus, die Welt in naher Zukunft? Große kräftige Windräder in unbewohnten Regionen. Kleinere Vertikalläufer in bewohnten Gebieten und sogar eingearbeitet in Zäune und Geländer. Und die nächste E-Tankstelle erkennt man daran, dass über ihr ein Drachen kreist. Vielleicht so in etwa.
(rr)
Dieses Thema im Programm: MDR AKTUELL | 04. Mai 2023 | 07:50 Uhr
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