Energiewende Entwickler aus Sachsen wollen 380 Meter hohe Windkraftanlage bauen
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02. Mai 2023, 17:06 Uhr
Warum nicht einfach ein Windrad viel höher bauen, um viel mehr und stetigere Winde abzufassen? Das hat sich ein Senior-Ingenieur aus Sachsen gedacht und eine völlig neue Statik entwickelt. Sein Windrad soll jetzt mit Geld vom Bundesforschungsministerium gebaut werden. Der Prototyp wird dann das höchste Windrad der Welt sein.
- Der Klimaschutz und der Krieg in der Ukraine erfordern dringender denn je effiziente erneuerbare Energien. Bis 50 Prozent des verbrauchten Stroms sollen bis zum Jahr 2025 in Deutschland aus erneuerbaren Energien stammen.
- Das Problem bisheriger Windkraft: Hohe Abhängigkeit vom Wind, der nah am Boden stark variiert. Höhenwinde hingegen machen die "Windernte" viel ertragreicher, sie sind stärker und konstanter. Wegen der hohen Biegungskräfte in der Höhe konnten Windräder mit der bisherigen Statik jedoch nur bis etwa 130 Meter gebaut werden.
- Der Entwurf des Seniors mit dem Turm als Dreibeinkonstruktion erlaubt Windräder über 300 Meter. Damit können viel mehr Wind geerntet und Energie gewonnen werden.
Die Geschichte von Horst Bendix klingt ein wenig wie ein Wunder. Den Ingenieur treibt auch im Ruhestand weiter das Erkenntnisinteresse. Mit jetzt viel mehr Zeit tüftelt der ehemalige Forschungschef des Leipziger Schwermaschinenbauers Kirow an einer neuen Konstruktion für Windräder. Das Ziel: Die Windräder doppelt bis dreifach so hoch zu bauen, um viel effizienter Energie mit Höhenwinden zu gewinnen. Seinen Entwurf bringt der damals 90-Jährige zur Bundesagentur für Sprunginnovationen (Sprind) nach Leipzig. Und hat Erfolg: Zwei Prototypen der 380 Meter hohen Windräder sollen gebaut werden, erklärt Projektleiter Julius Keil von Sprind auf Anfrage von MDR WISSEN. Jetzt hofft der mittlerweile 93-Jährige, die Umsetzung seiner Innovation noch erleben zu dürfen. Seine Höhenwindanlage ist mittlerweile patentiert. Bendix war schon mit insgesamt 60 Neu- und Weiterentwicklungen international erfolgreich.
So hoch, wie weltweit kein anderes Windrad
"Die aktuell höchste Windenergieanlage ist etwa 240 Meter hoch und hat eine Nabenhöhe von etwa 175 Metern. Das ist schon sehr hoch, aber wir wollen höher", erklärt Keil. "Derzeit setzen wir auf eine Nabenhöhe von etwa 300 Metern und eine Gesamthöhe bis zur Rotorspitze von etwa 380 Metern." Die Ausschreibungen für zwei Forschungsanlagen liefen bereits.
"Die erste Ausschreibung ist fast abgeschlossen, in der zweiten Ausschreibung befinden wir uns aktuell in der Sichtung und Bewertung der Angebote", so Keil. Um das Hochwindrad in die Realität umzusetzen, habe man die beventum GmbH, eine hundertprozentige Tochter der Sprind gegründet. Beide würden durch das Bundesforschungsministerium finanziert. Mittlerweile stünden 80 Millionen Euro Darlehen zur Verfügung. Die höchste Windenergieanlage der Welt stehe aktuell in Gaildorf bei Stuttgart. Die Prototypen aus Leipzig wären höher und somit die weltweit höchsten Windräder.
Bau soll zeitnah beginnen
Die Prototypen sollen zeitnah, schon Beginn des nächsten Jahres in die Bauphase gehen. "Sowie wir die notwendigen Baugenehmigungen haben, geht es los", sagte Projektleiter Keil. "Wenn es alles so läuft, wie aktuell geplant, haben wir in zweieinhalb Jahren die erste Anlage."
Riesiger Sprung für Energiewende
Die Entwickler der bundesdeutschen Innovationsagentur sehen ein riesiges Potenzial in der Entwicklung von Höhenwindanlagen. "Das Windrad von Horst Bendix ist eine Vision die wir aber erreichen wollen. Zunächst gilt es aber, Anlagen in diese neue Höhe zu bringen", erklärte Keil. "Wenn uns das gelingt, schaffen wir einen riesigen Sprung für Standorte in Deutschland, für die Energiewende und eben auch für den Vorsprung Europas für erneuerbare Energien."
Das Windrad von Horst Bendix ist eine Vision die wir aber erreichen wollen.
Stärkere und konstante Winde in hohen Luftschichten
Horst Bendix erklärte MDR WISSEN bereits vergangenes Jahr den Vorteil seines Modells: "Man kommt dadurch in Höhen über 200 Meter. Der Nutzen ist ein höherer Energieertrag." Aus seiner Sicht "pures Geld", denn in den höheren Luftschichten wehen die Winde stärker und konstanter. Diese Höhenwinde will Horst Bendix mit seiner Anlage nutzen.
Wie funktioniert das Riesenwindrad?
Doch wie funktioniert das Riesenwindrad? Horst Bendix hat den klassischen Aufbau einfach umgekrempelt. Die Windkraftanlage von heute besteht aus einem Turm, auf dem befindet sich eine drehbare Gondel mit der Rotornabe, auf der die Rotorblätter sitzen. In der Gondel ist der Stromgenerator eingebaut und die ganze Anlage steht auf einem kräftigen Fundament. Doch solche Anlagen haben mit einem schweren Problem zu kämpfen: Den Biegekräften.
Enorme Kräfte in der Höhe
"An der Windenergieanlage wirkt der Wind auf den Rotor mit einer erheblichen Kraft, mit vielen Tonnen. Der Turm biegt sich dadurch durch und muss dieser Biegung widerstehen und verlangt ein großes Widerstandsmoment über dem Boden", erklärte der Senior-Ingenieur Bendix. "Je höher der Turm, umso stärker sind also auch die Biegekräfte. Dadurch wächst das Risiko für Instabilität sowie für Schäden in der Materialstruktur."
Dreibein-Konstruktion stützt Statik
Horst Bendix ersetzt bei seiner Anlage den Turm durch eine Dreibein-Konstruktion, die aus einer vertikalen Säule und zwei Stützsäulen besteht. Und eine andere Neuerung kommt hinzu: Der Generator befindet sich nicht mehr oben in der Gondel, sondern es lagern gleich mehrere unten am Fuß der Anlage. Über ein Riemensystem wird die Windenergie von oben nach unten zu diesen Generatoren geleitet.
Drei Konzepte für Höhenwindräder
Diesen Entwurf von Bendix und zwei Variationen haben die Entwickler von Leipzig geprüft. "Wir validierten zum einen die Turmkonstruktion von Professor Bendix, zum anderen einen teleskopierbaren Stahlgitterturm und einen Stahlgitter-Hybridturm", erklärte Keil. "Hierzu haben wir jeweils eine umfangreiche dynamische Simulation beauftragt und vielversprechende Ergebnisse erhalten, dass eine Windenergieanlage in solchen Höhen technisch möglich ist."
Trotz aller Euphorie auch Risiko
Bei aller Euphorie sehen die Entwickler aus Leipzig das Projekt jedoch realistisch. "Wir sehen durchaus das Risiko, die Forschungsanlage wieder zurückbauen zu müssen." Wegen des hohen Risikos sei auch kein Unternehmen bereit, "einfach so" eine solche Entwicklung aus dem Boden zu stampfen. Zumal die Windbranche aktuell finanziell ohnehin zu kämpfen habe. Doch man sei zuversichtlich, die erste Ausschreibung sei fast abgeschlossen. Wenn das Vergabeverfahren final besiegelt sei, könne auch verraten werden, wo der Prototyp – also das weltweit erste Riesenwindrad – in Deutschland gebaut wird.
Wo könnten Riesenwindräder stehen?
So viel lassen die Entwickler über mögliche Standorte jedoch blicken. "Wir haben eine Vielzahl an Standortangeboten, aus unterschiedlichen Gemeinden der Republik", sagt Keil. "Ein hohes Potential sehen wir für ehemalige Tagebaugebiete und für eine zweite Ebene in existierenden Windparks. So erschließen wir mit dem neuen Windrad Schwachwindregionen, wo vorher eine wirtschaftliche Windenergienutzung nicht möglich war."
Ein hohes Potential sehen wir für ehemalige Tagebaugebiete und für eine zweite Ebene in existierenden Windparks.
Neuartige Windenergieanlagen
Laut Keil will die beventum GmbH neuartige Windenergieanlagen erforschen, um die wirtschaftliche Effizienz der Windenergieanlagen zu steigern. Die Entwicklung soll über die Höhenwindanlagen hinausgehen und sowohl mittlere Windräder für Dächer von Gewerbehallen als auch preisgünstige Miniwindräder für Ein-und Mehrfamilienhäuser einschließen. Ziel sei es, Windenergie so regional und unkompliziert wie möglich zu gestalten, damit die Windenergie endlich Fahrt aufnehme. Die tatsächlichen Stromentstehungskosten sollten spürbar reduziert werden. "Wir wollen neue Standorte in Deutschland ermöglichen und existierende stärker nutzbar machen", erklärte Keil.
Mittlere Windräder in Gewerbegebieten geplant
Laut der Entwickler arbeite man auch intensiv an preisgünstigen Anlagen für kleine und mittlere Windräder und habe bereits Standorte in Industrie- und Gewerbegebieten "mit rechtlich geringen Hürden gefunden". Ein erster Prototyp für eine kleine Windenergie-Anlage soll noch im November präsentiert werden. "Wir wollen Konzepttechnologien ausprobieren, wie beispielsweise eine Anlage mit untenliegendem Generator. Dazu arbeiten wir mit unterschiedlichen Partnern an ersten Lösungen. Bis spätestens Februar 2023 werden wir auch die erste Forschungssystem-Windenergieanlage mit untenliegendem Generator auf einem Dach installieren."
* Anmerkung: Aus gesundheitlichen Gründen konnten wir aktuell nicht mit dem 93-jährigen Horst Bendix sprechen. Wir wünschen ihm und seiner Frau jedoch alles Gute!
(tom/fas)