Richard Welz und Saori Kaneko 7 min
Bildrechte: MDR/Karl Weber

Alltägliche Strahlung Wo Radioaktivität in Mitteldeutschland zu finden ist

23. Oktober 2024, 13:24 Uhr

Wir alle tragen radioaktive Substanzen in uns, das lässt sich nicht verhindern. Aber wenn man weiß, wo ionisierende Strahlung im Alltag vorkommt, kann man zumindest die Menge möglichst gering halten. Und man ist gewappnet vor Schockanrufen, die mit der Gefahr vor Radioaktivität Menschen betrügen wollen.

Mann mit Brille und Kopfhörern vor einem Mikrofon
Bildrechte: Robert Rönsch

Viele verbinden mit Radioaktivität vor allem Atomkraftwerke und medizinische Anwendungen wie die Strahlentherapie gegen Krebs. Aber tatsächlich sind wir im Alltag fast ständig mit ionisierender Strahlung (zu der Radioaktivität gehört) konfrontiert – wenn auch meist in geringen Dosen. Die Strahlung, der wir ausgesetzt sind, lässt sich in drei Gruppen einteilen: die terrestrische, die kosmische und die "interne" Strahlung, zum Beispiel in Nahrungsmitteln.

Terrestrische Strahlung – hauptsächlich durch Radon

Die Erdkruste enthält natürliche radioaktive Elemente wie Uran, Thorium und deren Zerfallsprodukte, die ständig Strahlung abgeben. Diese terrestrische Strahlung kommt aus Böden, Gesteinen und Baumaterialien. Radon ist eine der größten natürlichen Strahlenquellen. Es ist ein radioaktives Edelgas, das durch den Zerfall von Uran im Boden entsteht. In großen Teilen der Mittelgebirge von Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen kommt Radon besonders häufig vor, tritt aus dem Gestein aus und sammelt sich dann, weil es schwerer als normale Luft ist, in der Bodenluft.

Radon-222 in Bodenluft

Grundlage für Radon-Karte
Bildrechte: Google / MDR Wissen
Grundlage für Radon-Karte
Bildrechte: Google / MDR Wissen
Radon-222 in Bodenluft
Bildrechte: Bundesamt für Strahlenschutz / Google / MDR Wissen
Alle (2) Bilder anzeigen

Wenn man als Mensch einer hohen Menge Radon ausgesetzt ist, steigt das Gesundheitsrisiko. Das radioaktive Gas gilt nach dem Zigarettenrauch als häufigster Auslöser von Lungenkrebs. Früher erkrankten vor allem Bergleute daran. Aber auch in schlecht belüfteten Häusern, besonders in Kellern und Erdgeschossen, kann Radon in recht hohen Konzentrationen vorkommen und gefährlich sein.

Radon in Wohnräumen

Das Bundesamt für Strahlenschutz (BfS) hat für Deutschlands Gemeinden geschätzte Durchschnittswerte veröffentlicht, wie hoch die Radon-Konzentration in Wohnräumen ist. Demnach ist die Bevölkerung in Deutschland im Jahresmittel in Wohnräumen einer Radon-Konzentration von durchschnittlich rund 65 Becquerel pro Kubikmeter ausgesetzt. Becquerel ist die Einheit der Aktivität von radioaktiven Substanzen und gibt an, wie viele Atomkerne im Mittel pro Sekunde radioaktiv zerfallen. Pro 100 Becquerel pro Kubikmeter Raumluft langjähriger Radon-Konzentration erhöht sich das Lungenkrebsrisiko laut BfS um etwa 16 Prozent.

Aber knapp zwei Millionen Menschen in Deutschland sind Nach Angaben des Bundesamtes einer Radon-Konzentration in Wohnräumen ausgesetzt, die sogar über 300 Becquerel pro Kubikmeter liegt. Vor allem sind das natürlich Gebiete in Mittelgebirgen. Aber auch die Gebäudestruktur spielt eine Rolle. Als Faustregel gilt: Je höher man im Haus wohnt, desto geringer ist die Radon-Gefahr. Deshalb ist die geschätzte durchschnittliche Radon-Konzentration in Städten mit vielen hohen Häusern nicht so groß wie im ländlichen Raum, wo ein Großteil der Menschen seine Wohnräume relativ niedrig über dem Erdboden hat.

Radonvorsorgegebiete

Die oben bereits erwähnten 300 Becquerel je Kubikmeter sind beim Radon ein Referenzwert im deutschen Strahlenschutz. Im Unterschied zu einem Grenzwert, der nicht überschritten werden darf, dient dieser Referenzwert gemäß Strahlenschutzgesetz "als Maßstab für die Prüfung der Angemessenheit von Maßnahmen".

Eine solche Maßnahme ist die Festlegung von Radonvorsorgegebieten. Dort gelten seit 2021 Regelungen zum Schutz vor Radon, die über die bundesweit gültigen Vorschriften an anderen Orten hinausgehen. Die einzelnen Bundesländer waren und sind durch dieses Gesetz verpflichtet, Gebiete als Radon-Vorsorgegebiete auszuweisen, in denen in Gebäuden der Referenzwert von 300 Becquerel pro Kubikmeter in der Raumluft überdurchschnittlich häufig überschritten wird (auf mindestens 75 Prozent der Fläche einer Verwaltungseinheit bzw. in mindestens zehn Prozent der Gebäude), was wiederum mittels wissenschaftlicher Methoden nachgewiesen werden muss.

In diesen Gebieten gelten dann besondere Anforderungen bei Bau- und Sanierungsarbeiten von Häusern und auch am Arbeitsplatz, damit Menschen nicht lange einer hohen Radon-Konzentration ausgesetzt sind.

Becquerel steht für das Gefahrenpotenzial – Sievert für die tatsächlichen Auswirkungen auf den Menschen

Außer der Einheit Becquerel, die nur angibt, wie aktiv eine radioaktive Substanz ist, gibt es noch eine wichtige Einheit in der Strahlung. Auch sie ist nach einem Wissenschaftler benannt und heißt Sievert. Beim Sievert steht nicht nur die radioaktive Substanz im Blickpunkt, sondern ihre Auswirkung auf den Menschen. In Sievert gibt man die sogenannte Äquivalentdosis an. Mit ihr kann man also in Zahlen das Risiko ausdrücken, zu erkranken, weil man Strahlung ausgesetzt war.

Darin fließen Wichtungsfaktoren ein, um welche Art von Strahlen es sich handelt (zum Beispiel Alpha-, Gamma- oder Röntgenstrahlen) und über welchen Teil des Körpergewebes man damit in Kontakt kam (zum Beispiel Haut oder Lunge). Je gefährlicher die Strahlen oder der Übertragungsweg, desto höher ist der Wichtungsfaktor und damit auch der Wert in Sievert. Ein Sievert ist allerdings schon ein sehr hoher Wert. Deshalb wird bei alltäglichen Strahlungen meist in Millisievert (mSv, ein Tausendstel Sievert) oder gar in Mikrosievert (µSv, ein Millionstel Sievert) gerechnet.

Zur Einordnung: Laut Bundesamt für Strahlenschutz kommt jeder Mensch in Deutschland jährlich auf eine effektive Dosis ionisierender Strahlung von durchschnittlich 2,1 Millisievert. Je nach Wohnort, Ernährungs- und Lebensgewohnheiten reiche sie aber im Einzelfall von 1 Millisievert bis zu 10 Millisievert.

Kosmische Strahlung – Vielflieger bekommen am meisten davon ab

Die kosmische Strahlung stammt von der Sonne und anderen Sternen und erreicht die Erde ständig in Form hochenergetischer Teilchen. Beim Eintritt in die Erdatmosphäre kollidieren diese Teilchen mit Luftmolekülen, was wiederum sekundäre Strahlung erzeugt. Diese ist auf Meeresniveau relativ gering, nimmt jedoch mit steigender Höhe deutlich zu, da die Atmosphäre weniger dichte Luftschichten aufweist, um die Strahlung abzuschwächen.

Schon auf Meereshöhe nimmt ein Mensch alljährlich etwa 0,3 Millisievert aus dieser Strahlung auf. Im Hochgebirge und bei Flügen noch einmal mehr. Das Ausmaß der zusätzlichen Exposition hängt dabei von der Dauer des Aufenthalts, der Höhe und auch der Sonnenaktivität ab. Je größer die Sonnenaktivität ist, desto geringer ist die Höhenstrahlung und umgekehrt.

Passagierflugzeug fliegt in die Sonne
Bildrechte: imago/Action Pictures

Für Gelegenheitsflieger, zum Beispiel in den Urlaub, sei die zusätzliche Exposition durch Höhenstrahlung durch das Fliegen sehr gering und gesundheitlich unbedenklich, so das BfS, das gelte auch für Schwangere und Kleinkinder. So beträgt die Dosis bei einem Flug von Frankfurt nach Gran Canaria beispielsweise 10 bis 18 Mikrosievert, also 0,01 bis 0,018 Millisievert. Bei einem Langstreckenflug, zum Beispiel nach San Francisco oder Tokio, können aber auch 0,045 bis 0,11 Millisievert erreicht werden. Sprich: Bei "zweimal Tokio und zurück" kann man schon mehr Höhenstrahlung ausgesetzt sein als in einem ganzen Jahr auf Meeresspiegelniveau.

Fliegendes Personal oder berufliche "Vielfliegende" können also "vor allem wenn sie häufig Langstrecken auf den nördlichen Polrouten fliegen, Strahlendosen erhalten, die durchaus vergleichbar sind mit Dosiswerten in Berufsgruppen, die ionisierende Strahlung einsetzen oder mit radioaktiven Quellen umgehen", so das BfS. Das Strahlenschutzgesetz sehe deshalb für das fliegende Personal die gleiche rechtlich abgesicherte Strahlenschutzüberwachung vor wie für alle anderen Personen, die beruflich einer Strahlenexposition ausgesetzt sind. Es gibt auch einen Grenzwert für solche Berufsgruppen. Er beträgt bei Erwachsenen 20 Millisievert pro Jahr, also umgerechnet etwa 200 bis 400 Langstreckenflüge.

"Interne" Strahlung – in allen natürlichen Nahrungsmitteln

Nicht lange ist es her, da warnte das Bundesamt für Strahlenschutz vor dem Verzehr von Paranüssen. Vor allem Kinder, Schwangere und stillende Mütter sollten möglichst darauf verzichten. Zugegeben, Paranüsse sind ein Extrembeispiel, sie enthalten Radium, weil sie zum Teil auf stark radiumhaltigem Boden in Südamerika wachsen. Täglich zwei Paranüsse – und man nimmt laut BfS übers Jahr hinweg eine Strahlendosis von 0,16 Millisievert zu sich.

Aber prinzipiell steckt in allen natürlichen Lebensmitteln Radioaktivität. Mal mehr wie bei den Paranüssen, mal weniger. In pflanzlichen Lebensmitteln, weil die Pflanzen die terrestrische Strahlung der Erde aufnehmen. In tierischen, weil die Tiere sich von Pflanzen ernähren (oder von pflanzenfressenden Tieren). Und auch im Trinkwasser und vor allem im Mineralwasser, das oft aus tieferen Erdschichten stammt. Radioaktivität ist also ein fester Bestandteil der Nahrungskette. Und so nimmt der Durchschnittsmensch in Deutschland jedes Jahr eine Strahlendosis von etwa 0,3 Millisievert allein durch die Nahrung zu sich. Zur Erinnerung: mit zwei Paranüssen täglich würde man diese Dosis etwa veranderthalbfachen.

Zu den radioaktiven Substanzen in Lebensmitteln gehört auch das Radionuklid Kalium-40, das von Natur aus in Kalium und damit in vielen Nahrungsmitteln enthalten ist. Dieses stellt eine kleine Besonderheit dar. Kalium ist für den menschlichen Körper unverzichtbar, weshalb der Kaliumgehalt vom Körper automatisch in sehr engen Grenzen reguliert wird, was dazu führt, dass auch der Gehalt von Kalium-40 mitreguliert wird. Von diesem radioaktiven Stoff kann man also gar nicht "zu viel" oder "möglichst wenig" im Körper haben, sondern es ist immer annähernd gleich viel vorhanden.

Tschernobyl hat in Pilzen und Wildtieren immer noch Auswirkungen

Eine Karte Deutschlands die die Bodenkontamination angibt
Ermittelte Bodenkontamination in Deutschland durch Caesium-137 nach dem Reaktorunglück von Tschernobyl 1986 Bildrechte: Bundesamt für Strahlenschutz

Neben den natürlichen radioaktiven Stoffen in der Nahrung wie Kalium-40 und Produkten der Uran-Radium-Zerfallsreihe sowie der Thorium-Zerfallsreihe spielt auch ein künstliches Radionuklid eine Rolle in deutscher Nahrung, nämlich Caesium-137. Dieses ist seit der Reaktorkatastrophe von Tschernobyl (ukrainisch Tschornobyl) vorhanden, allerdings nicht überall in Deutschland, sondern vor allem in mehreren Landstrichen Bayerns.

Noch immer lassen sich in manchen dort gesammelten Speisepilzen (zum Beispiel Maronen-Röhrlingen) und in erlegten Tieren (vor allem Wildschweinen, die mehr "Bodennahrung" zu sich nehmen als Hirsche und Rehe) erhöhte Werte nachweisen. Das liegt an der Halbwertzeit von Caesium-137, die ziemlich genau 30 Jahre beträgt. Das heißt, im Jahr 2016 (30 Jahre nach der Katastrophe) war noch halb so viel Caesium-137 vorhanden wie zu Beginn, im Jahr 2046 wird sich diese Hälfte noch einmal halbiert haben und so weiter.

Die Tendenz ist also abnehmend, die "Belastung wird mittelfristig zurückgehen", wie es das Bundesamt für Strahlenschutz formuliert, aber noch immer kommt es vor, dass Pilze oder Wildbret aus den betroffenen Gebieten eine Caesium-137-Aktivität von mehr als 1.000 Becquerel pro Kilogramm aufweisen. Dazu eine praktische Beispielrechnung: Wenn man ein Kilogramm Pilze mit 2.000 Becquerel pro Kilogramm zu sich nimmt, entspricht das bei Erwachsenen einer Strahlendosis von etwa 0,025 Millisievert. Wer seine persönliche Strahlendosis verringern möchte, sollte deshalb laut BfS "in den höher belasteten Gebieten Deutschlands auf den übermäßigen Genuss selbst erlegten Wildes und selbst gesammelter Pilze verzichten".

Radioaktive Überbleibsel in technischen Geräten

Bis in die Mitte des 20. Jahrhunderts wurden Leuchtfarben, die Radium-226 enthielten, in Uhren, Kompassen und anderen Geräten verwendet, um die Ziffern und Zeiger im Dunkeln sichtbar zu machen. Radium ist ein Alphastrahler und zerfällt unter Aussendung von Gammastrahlen. Diese Praxis wurde aufgrund der Gesundheitsgefahren eingestellt, da es bei den Angestellten, die mit Radiumfarben arbeiteten, zu schweren Erkrankungen kam. Aber auch heute noch können solche Gegenstände in Sammlungen oder als Erbstücke auftauchen. Solche alten Uhren oder Kompasse, die Radium enthalten, sollten nicht geöffnet oder zerlegt werden, da dabei radioaktives Material freigesetzt werden könnte.

In der Vergangenheit wurde außerdem Uran verwendet, um Glas und Keramik eine leuchtende gelb-grüne Farbe zu verleihen. Dieses sogenannte "Uranglas" oder "Vaselineglas" kann auch heute noch in Antiquitätengeschäften oder auf Flohmärkten gefunden werden. Unter UV-Licht leuchtet es intensiv grün. Diese Gegenstände geben geringe Mengen an Gammastrahlen ab. Obwohl die Strahlung messbar ist, ist sie in der Regel zu gering, um ein gesundheitliches Risiko darzustellen, es sei denn, die Gegenstände werden in großer Zahl gesammelt oder in der Nähe von Lebensmitteln gelagert.

Und auch in einigen Rauchmeldern, genauer gesagt den Ionisationsrauchmeldern, die vor allem in Nordamerika und Australien weit verbreitet sind, ist Radioaktivität enthalten, nämlich geringe Mengen von Americium-241. Dieses Isotop emittiert Alphastrahlung, die von einer kleinen Kammer im Rauchmelder genutzt wird, um die Luft zu ionisieren. Wenn Rauch in die Kammer gelangt, wird der Ionisationsprozess gestört, was den Alarm auslöst. Die Menge an Americium-241 in einem Rauchmelder ist zwar sehr gering und stellt normalerweise kein Risiko für die Gesundheit dar, weil die Alphastrahlung die Kammer des Rauchmelders nicht verlassen kann. Aber wegen des Entsorgungsproblems wird weltweit inzwischen vermehrt auf optische Rauchmelder gesetzt, die ohne radioaktives Material auskommen, vor allem in Europa.

Achtung, diese Radioaktivität ist ein Fake

Mit diesem Wissen ausgestattet, sollten Sie in der Lage sein, die neueste Betrügermasche zu durchschauen, vor der die Polizei in Halle/S. warnt. Auf einen derartigen Schockanruf ist eine hochbetagte Frau im Stadtteil Trotha hereingefallen.

Die 81-Jährige wurde demnach von einem vermeintlichen Polizisten angerufen. Der falsche Beamte erklärte ihr, dass ihre Wohnung verstrahlt und radioaktiv verseucht ist. Der Mann forderte sie auf, ihre Wertsachen in ein Behältnis zu legen. Die Polizei würde das dann abholen, um es in Sicherheit zu bringen. Das tat die Frau. Sie übergab nach Polizeiangaben einem Mann an der Wohnungstür Geld im fünfstelligen Bereich und Schmuck. Die Polizei wies darauf hin, seltsam anmutende Anrufe sofort zu beenden und zu melden.

Dieses Thema im Programm: MDR SACHSEN-ANHALT | 23. Oktober 2024 | 09:30 Uhr

404 Not Found

Not Found

The requested URL /api/v1/talk/includes/html/a6527c26-3758-47c3-b79a-033494ff7c68 was not found on this server.

Mehr zum Thema