MDRfragt Großes Unverständnis für Verzögerung bei Endlagersuche
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15. August 2024, 03:00 Uhr
Eine neue Regierungsstudie zeigt, dass die Suche nach einem Endlager für radioaktive Abfälle erst 2074 zu einem Ergebnis kommen könnte. Für den Großteil der MDRfragt-Gemeinschaft ist der Export von Atommüll dennoch keine Option. Zeitgleich wünschen sich Viele eine Rückkehr zur Atomenergie.
- Knapp drei Viertel der Befragten befürworten das Exportverbot für Atommüll.
- Jeder Zweite fordert ein Mitspracherecht der Anwohner bei der Suche nach Endlagerstätten.
- Für die Reaktivierung stillgelegter Atomkraftwerke sprechen sich zwei Drittel der Befragten aus.
Die langwierige Suche nach einer Endlagerstätte für Atommüll stößt bei vielen MDRfragt-Teilnehmerinnen und -Teilnehmern auf Unverständnis. Eigentlich sollte die Suche nach einem Endlager für radioaktive Abfälle in Deutschland bis 2031 zu einem Ergebnis kommen. So sah es das "Standortauswahl-Gesetz" zumindest vor. Eine neue, vom Bundesamt für die Sicherheit der nuklearen Entsorgung (BASE) beim Öko-Institut in Auftrag gegebene Studie, zeigt jedoch, dass sich die Suche noch bis 2074 verzögern könnte.
Denise (39) aus Mittelsachsen ist der Meinung: "Ohne Standort für ein Endlager hätten die Atomkraftwerke damals gar nicht erst errichtet werden dürfen. Stichwort: fehlendes Gesamtkonzept". Dem schließt sich Lisa (33) aus Erfurt an und kommentiert: "Es ist nicht besonders klug, Methoden anzuwenden, wenn man die Konsequenzen nicht annehmbar bereinigen kann. Hier hat die Weitsicht gefehlt!" MDRfragt-Mitglied Hans-Jürgen (74) empfindet das unerträglich und schreibt: "Wie immer will keiner bei dieser Frage Verantwortung übernehmen."
Ich fürchte, dass das Problem in gewohnter Weise unseren Enkeln und Urenkeln überlassen wird.
Einige haben kein Verständnis für die Dauer der Suche. So findet es Manfred (73) aus dem Salzlandkreis "unfassbar, eine Entscheidung um sage und schreibe 50 Jahre zu verschieben und somit auf zwei weitere Generationen zu verlagern". Werner (75) aus Suhl sieht das ähnlich und fürchtet, dass "das Problem in gewohnter Weise unseren Enkeln und Urenkeln überlassen wird".
Christian (64) aus dem Landkreis Meißen meint, "man sollte die betroffenen Regionen so finanziell fördern, dass sich alle darum drängeln". Er vermutet, dass die Suche nach einem Endlager dann schneller zu einem Ergebnis kommen könnte. Sein Namensvetter aus dem Vogtlandkreis (40) denkt wiederum, dass uns "nichts anderes übrig bleiben wird, als den Müll weiter zwischen zu lagern und auf zukünftige Lösungen zu hoffen". Jürgen (44) aus dem Weimarer Land vertraut dabei den Behörden, "weil für Endlager in Deutschland hohe Standards gelten".
Drei Viertel für Atommüll-Exportverbot
Trotz möglicher Verzögerung, kommt der Export von Atommüll für den Großteil der MDRfragt-Teilnehmerinnen und -Teilnehmer nicht infrage. So zeigt das Stimmungsbild beim Meinungsbarometer MDRfragt: Knapp drei Viertel der rund 20.000 Befragten halten das Exportverbot für Atommüll für richtig. Ein Fünftel ist jedoch anderer Ansicht.
Mehrheit fordert Mitspracherecht der Anwohner
Um die Standortsuche für ein Atommüll-Endlager zu beschleunigen, sollte die Zahl der betreffenden Regionen laut dem Öko-Institut eingegrenzt werden, um die übrigen Standorte intensiver untersuchen zu können.
Ginge es nach den Befragten, sollten neben Wissenschaft und Forschung auch die Anwohner der betreffenden Regionen und die allgemeine Öffentlichkeit ein Mitspracherecht bei der Suche nach der Endlagerstätte haben. Sowohl die Wirtschaft und Industrie als auch die Politik stehen hierbei hingegen weniger im Fokus.
Geteilte Sicherheitsbedenken
Doch was wäre, wenn vor der eigenen Haustür tatsächlich ein Atommüll-Endlager entsteht? Wird das eigene Sicherheitsgefühl dadurch beeinträchtigt? Bei den Befragten ist die Meinung darüber gespalten. Während knapp die Hälfte davon ausgeht, dass eine Endlagerstätte in unmittelbarer Nähe das eigene Sicherheitsgefühl nicht beeinträchtigen würde, denkt ein fast gleich großer Teil, dass dies durchaus der Fall sein könnte.
Hierbei gehen die Antworten je nach Geschlecht der Befragten jedoch deutlich auseinander. So sind die Frauen viel häufiger als die Männer der Ansicht, dass ein Atommüll-Endlager in der Region ihr persönliches Sicherheitsgefühl beeinträchtigen könnte.
In den Kommentaren nennen die MDRfragt-Mitglieder unterschiedliche Gründe, warum ihr Sicherheitsgefühl durch ein mögliches Atommüll-Endlager in ihrer Umgebung vermutlich nicht beeinträchtigt werden würde. Jeanny (55) aus der Börde schreibt beispielsweise: "Ich bin schon besorgt, aber ich habe die Hoffnung, dass Wissenschaftler da doch noch eine Lösung entwickeln, wie der Müll sicher beseitigt werden kann." Michael aus Jena (78) setzt eine "fachliche Prüfung und Bestätigung der Lagerstätte durch zuständige Fachleute voraus" und vertraut darauf.
Nach mir die Sintflut?
Stellvertretend für Viele fragt sich auch Anett (53) aus dem Saalekreis: "Was ist denn überhaupt heute sicher?" Andere wiederum schreiben offen und ehrlich, dass sie sich kaum Gedanken darüber machen, weil sie das Thema vermutlich nicht mehr betreffen wird. So kommentiert zum Beispiel Hannes (65) aus Halle (Saale): "Mein heftiger Protest wäre sicher aber eh diese Entscheidung getroffen wird, bin ich nicht mehr auf dieser Welt."
Christine (60) aus dem Harz fasst diese Einstellung kritisch zusammen und kommentiert: "Nach uns die Sintflut?"
Jeder Zweite hält Atomausstieg für falsch
Die langwierige Suche nach Endlagerstätten lässt viele Befragte jedoch nicht grundsätzlich an der Atomenergie zweifeln. So halten etwa zwei Drittel den Atomausstieg in Deutschland für falsch. Knapp ein Drittel denkt hingegen, dass dies der richtige Weg war.
Vergleicht man die Antworten je nach Altersgruppe der Befragten, zeigen sich mitunter deutliche Unterschiede. So hält bei den jüngsten Befragten nur eine knappe Mehrheit den Atomausstieg für falsch. Bei den ältesten Befragten teilen knapp drei Viertel diese Einschätzung.
Durch die Kommentare der Befragten wird deutlich, dass nicht alle, die den Atomausstieg für falsch halten, diesen grundsätzlich ablehnen. Aus Sicht einiger kam die Abschaltung lediglich zum falschen Zeitpunkt.
Kam der Atomausstieg zu früh?
So schreibt Bettina (54) aus Saalfeld-Rudolstadt zum Beispiel: "Solange die Alternativen aus den Erneuerbaren nicht wirklich alternativ und bezahlbar sind, solange halte ich das Abschalten für falsch bzw. vorschnell. Prinzipiell und auf lange Sicht gesehen ist es jedoch der richtige Weg. Allerdings erscheint es unlogisch, in Deutschland abzuschalten und in den Nachbarländern wird weiter munter Atomstrom produziert." Holger (66) aus Magdeburg schließt sich dem an. Der Magdeburger kommentiert: "Der Zeitpunkt ist falsch gewählt, aber grundsätzlich ist der Ausstieg richtig."
Der Zeitpunkt ist vielleicht falsch gewählt, aber grundsätzlich ist der Ausstieg richtig.
MDRfragt-Mitglied Karl-Heinz (79) ist der Meinung, der Atomausstieg "hätte später erfolgen sollen, wenn zu 100 Prozent feststeht, dass die volle Versorgungssicherheit durch Ökostrom gewährleistet ist". Analog dazu kommentiert auch Peter (72) aus dem Ilm-Kreis: "Man hätte die Atomkraftwerke erst dann abschalten sollen, wenn ihre Lebensdauer erreicht ist und nicht vorher. Ich schmeiße doch auch kein modernes Auto weg, wenn es funktioniert."
Atomstrom in Europa
In der Tat wird ein Teil des Stroms in einigen Nachbarländern Deutschlands noch immer in Atomkraftwerken produziert. Ende 2023 gab die spanische Regierung jedoch bekannt, ebenfalls aus der Atomkraft aussteigen zu wollen. In Italien wurde das letzte Atomkraftwerk bereits 1990 stillgelegt.
In den Kommentaren wird auch immer wieder die Kritik laut, dass in Deutschland kein Atomstrom mehr produziert aber zu hohen Preisen aus Frankreich importiert wird. Tatsächlich importierte Deutschland 2023 mehr Strom, als es exportierte. Der dabei importierte Anteil an Atomstrom ist jedoch vergleichsweise gering.
Was spricht für den Ausstieg aus der Kernenergie?
Für andere wiederum kam der Ausstieg aus der Atomenergie genau richtig. MDRfragt-Mitglied Jennifer (30) aus Gera schreibt beispielsweise: "Der Atomausstieg war der einzig richtige Weg. Es handelt sich weder um eine verlässliche, sichere, saubere oder gar günstige Art der Energiegewinnung." Auch Thomas (70) aus Halle (Saale) findet: "Nach zwei Katastrophen und zahllosen Störfällen war der Ausstieg notwendig und sinnvoll."
Nach zwei Katastrophen und zahllosen Störfällen war der Ausstieg notwendig und sinnvoll.
Anja (44) aus der Börde fragt sich zudem, "wie widersprüchlich und widersinnig es ist, einerseits neue Atomkraftwerke bauen zu wollen und andererseits nicht mal ein Endlager für den daraus entstehenden Müll zu haben". Stefan (50) aus dem Salzlandkreis sieht das ähnlich und fragt: "Wir wissen für die nächsten 50 Jahre nicht, wo dieser hoch gefährliche Müll endgelagert werden soll und es gibt Menschen, die für Atomkraftwerke sind?" Aus Stefans Sicht erscheint das "absurd, ignorant, ich-bezogen oder schlichtweg dumm".
Viel Zuspruch für Reaktivierung von Atomkraftwerken
Tatsächlich kommt in der Politik immer wieder die Diskussion auf, stillgelegte Atomkraftwerke zu reaktivieren. Zwei Drittel der MDRfragt-Teilnehmerinnen und -Teilnehmer würden eine solche Reaktivierung befürworten. Knapp ein Drittel lehnt das hingegen ab.
Geteilte Meinung zum Neubau von Atomkraftwerken
Und wie steht es um den hypothetischen Neubau von Atomkraftwerken? Zuletzt hatte der Spitzenkandidat für die AfD in Sachsen, Jörg Urban, vorgeschlagen, in alten Braunkohleregionen wie der Lausitz, neue Atomkraftwerke zu bauen.
Dieser Vorschlag erhält deutlich weniger Zuspruch. Während sich zwei Drittel der Befragten für die Reaktivierung von Atomkraftwerken aussprechen, befürworten nur 50 Prozent deren Naubau. Mit Blick auf Mitteldeutschland sind es mit 46 Prozent noch etwas weniger.
Auch hier variieren die Antworten je nach Geschlecht der Befragten erneut. Während die deutliche Mehrheit der Männer den Bau neuer Atomkraftwerke in Mitteldeutschland befürwortet, stößt diese Idee bei den Frauen mehrheitlich auf Ablehnung.
Redaktioneller Hinweis: Wir hatten in einer früheren Version des Artikels die Aussage getroffen, dass Deutschland mehr Strom exportiert, als es importiert. Diese Aussage trifft jedoch nicht für das Jahr 2023 zu. Der Hinweis im Artikel wurde entsprechend korrigiert.
Über diese Befragung
Die Befragung vom 9. bis 12. August 2024 stand unter der Überschrift: "Nach dem Atomausstieg: Wohin mit dem Müll?".
Bei MDRfragt können sich alle anmelden und beteiligen, die mindestens 16 Jahre alt sind und in Sachsen, Sachsen-Anhalt oder Thüringen wohnen, denn: Wir wollen die Vielfalt der Argumente kennenlernen und abbilden. Die Kommentare der Befragten erlauben, die Gründe für die jeweiligen Positionen und das Meinungsspektrum sichtbar zu machen.
Da sich jede und jeder beteiligen kann, der möchte, sind die Ergebnisse von MDRfragt nicht repräsentativ. Bei dieser Befragung haben sich 19.792 Menschen aus Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen online mit ihrer Meinung eingebracht.
Die Ergebnisse von MDRfragt werden nach wissenschaftlichen Kriterien anhand verschiedener soziodemografischer Merkmale wie Alter, Geschlecht oder Bildungsgrad gewichtet, um sie an die tatsächliche Verteilung in der mitteldeutschen Bevölkerung anzupassen. Damit wird die Aussagekraft der Ergebnisse erhöht und es ergibt sich ein valides und einordnendes Stimmungsbild aus Mitteldeutschland.
MDRfragt wird zudem wissenschaftlich beraten und begleitet, beispielsweise durch regelmäßige Validitätstests. Mehr zur Methodik von MDRfragt finden Sie am Ende des Artikels.
Dieses Thema im Programm: MDR FERNSEHEN | MDR AKTUELL | 16. August 2024 | 21:45 Uhr