Stoffkreisläufe unter Druck Unsichtbare Unbekannte: Die Bedeutung der Mikroorganismen für das Klima
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01. Februar 2025, 01:02 Uhr
Der Einfluss des Klimawandels auf große Lebewesen wie Mensch und Tier ist schon schwer zu fassen. Noch viel schwieriger ist es, eine Idee davon zu bekommen, wie Kleinstlebewesen auf die Veränderungen reagieren. Und das, obwohl Mikroorganismen eine zentrale Rolle in unseren Stoffkreisläufen spielen und damit auch für alles Leben auf dem Planeten. Was wissen wir also darüber, wie die Kleinsten auf die Veränderungen beim Klima reagieren?
Mit dem menschlichen Auge sind die Kleinstlebewesen nicht zu sehen. Es ist eine ganze eigene Welt, die uns da visuell verborgen bleibt und doch sind wir eng mit ihr verbunden und auf sie angewiesen. Allein in unserem Körper leben schon zahllose Mikroorganismen, die wir brauchen, um gesund zu sein – rund 500 Bakterienarten sind es allein im Darm. Und genauso braucht auch unser Planet die Mikroorganismen, um gesund zu bleiben. In einem Fingerhut Boden stecken 50.000 Bakterienarten. Zum Vergleich: Als Krankheitserreger kennen wir gerade einmal rund 1.000 verschiedene Arten.
Mikroorganismen spielen aber vor allem eine entscheidende Rolle für die Stoffkreisläufe auf unserem Planeten, sie sind essenziell für den Stickstoff-, Kohlenstoff-, Phosphor- und Schwefelkreislauf. Sie zersetzen organisches Material und sorgen dafür, dass unser Boden fruchtbar bleibt. Kurzum: Wir brauchen die unsichtbaren Lebewesen, um selbst zu überleben. Doch natürlich werden auch sie von den sich verändernden Klimabedingungen beeinflusst. Wie genau und mit welchen Folgen, das ist weitgehend unbekannt. Sicher sind sich Fachleute aber darüber: Das ist ein Problem, das mehr Aufmerksamkeit braucht.
Klima-Killer Methan und Lachgas
In einem Gramm Erde leben rund 100 Milliarden Mikroorganismen. Würde es sie nicht mehr geben, gäbe es also keinen Abbau von organischer Substanz, keine Mineralisierung und auf absehbare Zeit auch kein Pflanzenwachstum mehr. Doch ausgerechnet der komplexe Lebensraum Boden reagiert sensibel auf äußere Einflüsse wie Trockenheit oder Temperaturanstieg. Aber auch in den Meeren sind die Kleinsten in der Mehrheit: Sie bilden rund 90 Prozent der Biomasse in den heutigen Ozeanen (Phytoplankton). Mikroorganismen beeinflussen also allein schon durch ihre schiere Masse das Klima.
Sie spielen auch deshalb eine entscheidende Rolle, weil sie Treibhausgase ausscheiden oder konsumieren können. Eines dieser Gase ist Methan – das zweitwichtigste Treibhausgas nach CO2. Mikrobiologin Nadine Präg von der Universität Innsbruck hat sich mit dem Wechselspiel zwischen Methan produzierenden Mikroorganismen und Methan konsumierenden beschäftigt. "Dieses dynamische Zusammenspiel ist besonders relevant im Hinblick auf die Klimaveränderungen und wie Temperaturänderungen den Methankreislauf im Boden beeinflussen können", sagt sie. Konkret seien die beteiligten Organismen sogenannte Archaeen.
Wir haben praktisch spezielle Gruppen von Mikroorganismen, die eine ganz tragende Rolle für den Ausstoß von Treibhausgasen spielen.
"Die Methan-produzierenden Archaeen fühlen sich in sauerstoffarmen, verdichteten Böden sehr wohl. Typische Habitate, die diese Bedingungen bieten und wo Methan in großen Mengen produziert wird, sind Feuchtgebiete, Reisfelder und auch Wiederkäuer. Methan kann aber auch von bestimmten Mikroorganismen aufgenommen und verstoffwechselt werden, was sie zur einzigen biologischen Senke für Methan macht." Die bräuchten aber Sauerstoff, um ihre Funktion zu erfüllen und fühlten sich deshalb in lockerem Waldboden wohl. Damit sitzen sie in den oberen Bodenschichten, während die Methan-produzierenden Archaeen in tieferen Schichten sind. Das heißt, die einen oxidieren das Methan der anderen und bremsen somit die Freisetzung des Treibhausgases. "Die Balance zwischen diesen beiden Mikroorganismengruppen ist daher entscheidend für die Regulierung des Methankreislaufs im Hinblick auf den Klimawandel“, erklärt Mikrobiologin Präg.
Auch der wissenschaftliche Direktor der Deutschen Sammlung von Mikroorganismen und Zellkulturen (DSMZ), Jörg Overmann, weist auf die große Bedeutung der Kleinstlebewesen auf die Methanproduktion hin. Schätzungsweise würde bis zu 90 Prozent des Methans von Archaeen produziert, sagt er. Wenn die Klimaerwärmung sie irgendwie beeinflusse, habe das sofort Auswirkungen auf die Methanfreisetzung – ein Treibhausgas, das immerhin 25-mal so stark sei wie Kohlendioxid (CO2).
Noch größer sei aber das Problem mit dem Distickstoffoxid – auch Lachgas genannt. Das ist dem Umweltbundesamt zufolge ein Treibhausgas, das rund 265-mal so klimaschädlich ist wie CO2. Eine Hauptquelle für Lachgas seien stickstoffhaltige Düngemittel in der Landwirtschaft und die Tierhaltung. Und hier kommen die Mikroorganismen wieder ins Spiel, denn sie sind zentral für den Stickstoffkreislauf im Boden, erklärt Overmann. "Wenn zu viel Stickstoffverbindungen – insbesondere Nitrat und Ammonium – ins Grundwasser gelangen, kommt es dort dann zur Denitrifikation", erklärt er. Bei der Denitrifikation wird Nitrat zurück in gasförmigen Stickstoff umgewandelt.
Und nicht zuletzt spielen Mikroorganismen auch eine Schlüsselrolle im Kohlenstoffkreislauf, indem sie organisches Material abbauen und dabei Kohlendioxid freisetzen. Einige Mikroben, wie Cyanobakterien und Mikroalgen, betreiben Photosynthese und binden dabei CO₂, wodurch sie zur Kohlenstoffspeicherung beitragen.
Der unbekannte Faktor
Aber was passiert nun genau mit den Mikroorganismen, wenn sich das Klima erwärmt? Um das besser abschätzen zu können, müssen wir noch mehr über die Mikroorganismen erfahren, heißt aus der Mikrobiologie. Was wir alles noch nicht wissen über die Mikroorganismen und ihre Reaktion auf die Klimaerwärmung, lasse sich nämlich schwer abschätzen, sagt DSMZ-Experte Overmann. Was unbekannt sei, sei das Ausmaß der Diversität. "Wir haben 0,01 Prozent oder weniger der vorhandenen Prokaryoten – also Archaeen und Bakterien – bisher einigermaßen verstanden."
Anders sei das bei den Stoffwechselwegen der Kleinstlebewesen, so Overmann. "Da gibt es nicht so viele Hinweise, dass sich da noch ein ganz abstruser Stoffwechselweg verbirgt, der noch gar nicht von der Forschung erfasst worden ist." Die große Unbekannte sei eher die Regulation dieser Stoffwechselwege. "Das heißt, unter welchen Bedingungen läuft etwas ab? Da ist, glaube ich, unsere größte Wissenslücke. Nicht prinzipiell die ganzen Stoffwechselwege, sondern, wann sie wie genau funktionieren."
Und dann gebe es ja noch die Frage, was sich hinsichtlich der Zusammensetzung verändere. Etwa beim Boden, sagt Overmann. Untersuchungen zeigten, dass sich die Zusammensetzung im Boden in Dürreperioden massiv ändere und die Diversität zurückgehe. "Aber was es bedeutet, was die Konsequenz für die Bodenfruchtbarkeit ist, für den Verlust von Stickstoff aus dem Boden, für die Umsetzung von Nährstoffen und dann damit auch für das Wachstum der Pflanzen dort und wie schnell der Boden sich wieder erholen kann nach so einer drastischen Veränderung, das ist noch nicht klar aus meiner Sicht und da ist noch großer Forschungsbedarf."
Eine Chance für mehr Resilienz?
So groß die unbekannten Risiken durch Mikroorganismen im Klimawandel auch sind, so sehr können sie auch dabei helfen, die Auswirkungen zu verringern. Denn in die kleinsten Erdbewohner stecken Forschende auch viel Hoffnung, um den Planeten klimaresilienter zu machen.
Studien zeigen nämlich auch, erklärt Mikrobiologe Overmann, dass sie zum Beispiel Pflanzen dabei helfen können, sich besser gegen Wassermangel zu wehren bzw. sich nach Abklingen einer Dürreperiode wieder zu erholen. Eine Untersuchung an Mais habe ergeben, dass die genetisch selbe Sorte mithilfe einer Kombination von 17 Bakterien an ihrer Wurzel nicht nur schneller wachsen konnte, sondern sie bei Trockenheit auch weniger schnell verwelkt ist und sich länger wieder erholen konnte als die Pflanzen ohne die bakterielle Unterstützung. Auch in Indien habe er zum Beispiel ganz ähnliche Experimente im Freiland besucht, bei denen die Effekte von Dürre oder Versalzung abgeschwächt werden sollen, erzählt Overmann. "Angepasste Pflanzen werden dann mit besonders hilfreichen Bakterien versehen, die das Pflanzenwachstum dann auch unter Extrembedingungen besser fördern können." Da gebe es also ein riesiges Potential. "Das Problem ist, das systematisch zu erforschen und anzuwenden", bilanziert der Experte.
Ein Ansatz, an dem unter anderem an der Universität Stuttgart geforscht wird, sind Mikroorganismen, die CO2 zum Wachstum brauchen. Sie binden das Gas nämlich als Biomasse – ganz ähnlich also wie Pflanzen, nur weitaus effizienter. Forschende arbeiten also daran, ihnen möglichst gute Bedingungen zu verschaffen, damit sie viel Biomasse bilden können. Doch auch in vielen anderen Forschungsbereichen wie etwa der Material- und Speicherforschung setzt man Hoffnungen in die Hilfe der Mikroorganismen, um klimafreundliche Fortschritte zu erzielen.
Mehr Aufmerksamkeit, mehr Forschung
Die Mikroorganismen sind unverzichtbar für die Existenz von Leben auf der Erde. Dennoch kommen sie in den aktuellen Debatten über den menschgemachten Klimawandel kaum vor. Doch um zu verstehen, wie der Klimawandel funktioniert, müsse die Rolle der Mikroorganismen mitbetrachtet werden, fordern Forschende auf dem Gebiet seit Jahren. Das gilt für den gesellschaftlichen und den politischen Diskurs, aber auch für die Wissenschaft. Denn auch bei der Erforschung der veränderten mikrobiellen Aktivität in Permafrostböden, Wäldern und Meeren sehen Fachleute Handlungsbedarf. Diese Faktoren seien bei den aktuellen Klimamodellen nicht ausreichend berücksichtigt.
Dieses Thema im Programm: MDR KULTUR - Das Radio | 31. Januar 2025 | 18:10 Uhr
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