Schäden durch Klimawandel Extremwetter: Wann wird das Haus unversicherbar?
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27. September 2024, 14:39 Uhr
Wer nicht mitgezählt haben sollte: Allein im ersten Halbjahr 2024 haben drei Hochwasserlagen Deutschland heimgesucht – in allen Himmelsrichtungen. Eine vierte hat uns knapp verschont. Bilanz: 2,4 Milliarden Euro versicherte Schäden. Angesichts des Klimawandels werden solche Situationen nicht weniger. Wie lange können Versicherungen noch einspringen? Und was muss sich ändern? So viel sei gesagt: Beim Status quo kann’s wohl nicht bleiben.
- Trotz steigender Naturgefahren, sind noch immer nur etwas mehr als die Hälfte der Wohngebäude gegen Elementarschäden versichert
- Versicherungsprämien könnten in Zukunft zu teuer werden
- Die deutschen Versicherer fordern keine Pflichtversicherung – sondern ein anderes Modell und einen Baustopp in Hochwassergebieten
Man lernt ja nie aus. Es gibt also tatsächlich genormte Hagelkörner. Und zwar aus destilliertem Eis, so richtig fette Brummer mit fünf Zentimetern Durchmesser – eieiei. Aber auch kleinere, so wie das, was im Glas landet, wenn man sich einen Drink on the rocks bestellt. Der genormte Hagel landet allerdings woanders. Auf Dachziegeln oder sonstigen Baumaterialien, die unter Beschuss einer Hagelkanone stehen.
Hagelkanone. Nun, auch das gibt’s. Und sie gehört zum Berufsalltag von Martin Jordi. Der Bauingenieur leitet den Bereich Naturgefahrenprävention bei den kantonalen Gebäudeversicherungen in der Schweiz. Er und sein Team sind damit beschäftigt, dass Gebäudeschäden durch Naturgefahren nicht zunehmen. Und dazu gehören eben genormte Hagelkugeln und eine Hagelmaschine.
Eine etwas unnahbare Apparatur, die über einer Charge Dachziegeln hängt, die einem regelrecht leidtun können, angesichts des etwas bedrohlichen Laserstrahls, der da auf sie gerichtet ist. Und dem Wissen, was da gleich kommt. Kracks – wieder ein Norm-Hagel auf den Ziegel geknallt und in zig Eiskristalle zerlegt. Aber die Dachbedeckung bleibt standhaft: "Wenn er das aushält, hat er einen sogenannten Hagelwiderstand von HW5", sagt Jordi. "In der Schweiz gibt es ein Hagelregister, da werden dann diese Bauteile gelistet."
Eine durchaus praktische Sache. So lässt sich ein Bauteil auswählen, das einen entsprechend großen Hagelwiderstand für den gewünschten Standort hat. Das Hagelrisiko ist in den Alpen noch mal höher als im Flachland. Und die Schäden nehmen zu: "Das ist einerseits der Klimawandel, andererseits aber auch die veränderten Bauweisen. Wir bauen heute viel besser gedämmt", sagt Jordi. Hagelschäden als Klimafolge leuchtet soweit ein, aber Hagelschäden durch Klimaschutz? "Das ist gut, das braucht weniger Energie, hat aber den Nachteil, dass die Gebäudehülle weicher wird. Nicht per se verletzlicher, aber man muss schauen, was man für Produkte nimmt."
In der Schweiz sind Gebäudeversicherungen in den meisten Kantonen verpflichtend. Teil des Systems ist aber auch eine umfangreiche Prävention, der Bereich, in dem Martin Jordi arbeitet. Ein gutes Modell für Deutschland?
Ortswechsel, Berlin. Auch Alexander Küsel ist hinsichtlich Naturgefahren präventiv unterwegs, allerdings beim Gesamtverband der deutschen Versicherer. Küsels freundlich-redselige Art sollte nicht darüber hinwegtäuschen, dass er sich eigentlich große Sorgen macht. "Das ist keine gute Entwicklung. Wir eilen von Temperaturrekord zu Temperaturrekord." Und als würde ihm der Klimawandel als solcher nicht schon genug Sorgenfalten bescheren, ist da noch die Versicherungswirtschaft, in der er seine Brötchen verdient. "Also ohne Prävention könnte es allein durch den Klimawandel zu einer Verdopplung der Wohngebäudeversicherungsprämien kommen." Die Inflationsrate ist da erst gar nicht eingerechnet. "Wir sehen die Beispiele im Ausland. In Florida kann man Stürme nicht mehr versichern. In Kalifornien sind es die Feuerereignisse. Und wenn dann niemand mehr die Prämien bezahlen kann, dann wird es echt schwierig."
Versicherungen steht nicht der Sinn nach Extremwetter-Prämien
Das gilt auch für Versicherungen, denen es schlussendlich an den Kragen geht, wenn niemand mehr Verträge abschließt, die sich andererseits aber auch schlecht unter Wert verkaufen lassen. Immerhin sei es so, dass der Sektor zeitweilige Jahrhundertkatastrophen wie im Ahrtal 2021 stemmen könne, sofern es eben nicht mehr Katastrophen werden – und danach sieht es gerade nicht aus. Dass auf Versicherungen schwierige Zeiten zukommen könnten, ist genauso wenig neu wie die grundlegenden Erkenntnisse zum Klimawandel. Bereits 1997 legte eine Studie im Fachblatt Natural Hazards nahe, dass sich klimawandelbedingte Naturkatastrophen auf die – in diesem Fall kanadische – Versicherungswirtschaft auswirken können.
Wir fordern seit Jahren einen Baustopp von Gebäuden in Überschwemmungsgebieten.
Zumindest bekommen die Versicherer eine zutiefst menschliche Marotte immer dann mit voller Breitseite zu spüren, wenn es irgendwo zu spät war. So wie im erwähnten Flut-Sommer 2021, als die Nachfragen nach Versicherungsschutz über einem Vielfachen dessen lagen, was normal ist. Insgesamt ist zumindest ein wachsender Trend zu beobachten: Zu Beginn der Nullerjahre waren nur 19 Prozent der bundesdeutschen Wohngebäude gegen Elementarschäden versichert. Inzwischen sind es 54. Wenn es nach Alexander Küsel geht, steigt die Nachfrage aber viel zu langsam. "Wir wollen ja ein großes Versicherungskollektiv schaffen, dass sozusagen viel Beitrag reinkommt, dass ausreichend Kapital im Sammelbecken vorhanden ist, was dann in dem Moment eben auch ausgegeben werden kann."
Allein mehr Versicherungsverträge reichen Küsel aber nicht – wir erinnern uns: Er arbeitet im Bereich Prävention und nicht im Außendienst. "Wir fordern seit Jahren einen Baustopp von Gebäuden in Überschwemmungsgebieten." 2.000 Häuser würden jedes Jahr in solchen Gebieten hinzukommen. Und nun ist es auch nicht gerade so, dass Menschen aus Fehlern lernen würden: Von der Ahrtalkatastrophe waren 9.000 Häuser betroffen. "Nur bei 34 hat man sich entschieden, diese nicht an Ort und Stelle wieder aufzubauen." Und: "Wenn ich das so flapsig formulieren darf, die Versicherungswirtschaft klebt ein Preisschild auf das Risiko." Das Spiel mit dem Feuer – oder in dem Fall dem Wasser – hat also seinen Preis.
Beim Blick in die Schweiz ist Alexander Küsel voll des Lobes. Und zwar, weil das System dort nicht nur aus einer Pflichtversicherung besteht. So gebe es auch strenge Regeln im Baurecht. "Man weiß in der Schweiz sehr genau, dass gute und angepasste Prävention notwendig ist, damit der Versicherungsschutz für alle auch bezahlbar wird."
Jeder in Prävention investierte Euro spare sechs Euro an Schäden, sagt Alexander Küsel und verweist auf entsprechende Untersuchungen aus Amerika. In Deutschland halte man sich viel zu sehr mit der Frage einer Pflichtversicherung auf. Dabei ist es die gar nicht, was die Versicherungswirtschaft fordert. Im Fokus steht stattdessen ein Drei-Säulen-Modell aus Klimafolgenanpassung, Versicherung und einer Risikobeteiligung zwischen Versicherern und Staat bei extremen Naturkatastrophen. Klimafolgenanpassung bedeutet, die Möglichkeit bereitzustellen, Naturgefahren abzuschätzen und danach zu handeln. Das Naturgefahrenportal des Bundes steht immerhin in den Startlöchern und wird derzeit vom DWD aufgebaut. Außerdem müssten die Regelwerke zu Schutzmaßnahmen entsprechend angepasst und Prävention ausreichend finanziert werden. Beim Versicherungsschutz wünscht sich Küsel eine Widerspruchslösung. Die kann man mit der derzeit im Bundestag diskutierten Widerspruchslösung zur Organspende vergleichen. Sprich: Gebäudeeigentümerinnen und -eigentümer werden über einen Versicherungsschutz umfassend informiert und sollten sie sich nicht aktiv dagegen entscheiden, tritt dieser in Kraft.
Gebäudeschutz bei Extremwetter: An das Klima anpassen – und umbauen
Und derweil? Nun, es könne helfen, in Hochwassergebieten mit dem Wasser zu leben. Die Art und Weise, wie Gebäude an der Mosel errichtet werden, nennt Alexander Küsel hier als positives Beispiel. Da können die Keller auch mal volllaufen, weil sich dort weder Hauselektrik noch Heizung befinden und die Räume gekachelt sind. Auch druckwasserdichte Fenster und Türen sind empfehlenswert, eine kleine fünf Zentimeter hohe Brüstung um den Kellereingang hilft schon, dass aus moderaten Katastrophen keine großen werden. Und auf dem Dach eben Ziegel und Photovoltaikanlagen verbauen, die Hagelkanonen und Normhagelkugeln aus der Schweiz standhalten.
Wer wissen will, wie’s um die aktuelle Bausubstanz steht, sollte sich gut mit Martin Jordi stellen. Der hat schließlich auch Zugriff auf mobile Hagelsimulationsgerätschaften. Zum Beispiel eine, die wie eine Armbrust aussieht, was die Vorsorge fast schon zu einer lässigen Angelegenheit macht. Prävention, das ist für ihn die Motivation, jeden Morgen aufzustehen, sagt er. "Dass wir das Prämienniveau nach Möglichkeit halten können und auch die Versicherungsleistungen, indem wir eben versuchen, gewisse Schäden zu verhindern." Das ist schließlich auch weitaus billiger als Schäden zu beseitigen. Denn die zahlen am Ende alle gemeinsam: Die Versicherungsnehmenden. Und die Steuerzahlenden.
Dieses Thema im Programm: MDR KULTUR - Das Radio | MDR KULTUR am Nachmittag | 27. September 2024 | 17:40 Uhr
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