Naturkatastrophen und Klima Gummistiefel statt Ursachen? Parteien sprechen auch nach Extremwetter nicht öfter vom Klimawandel
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13. Juni 2024, 16:02 Uhr
Wären die Extremwetterereignisse in diesem Frühjahr nicht ein geeigneter Zeitpunkt für die Politik, auf die Folgen des menschengemachten Klimawandels hinzuweisen? Eine neue Untersuchung legt nahe: Parteien verzichten lieber darauf, etwa nach einer Flut Klimathemen auf die Agenda zu heben. Wohl auch aus taktischen Gründen.
- Eine Untersuchung zeigt, dass Parteien nach Naturkatastrophen in Pressemitteilungen nicht verstärkt zu Klima- und Umweltthemen kommunizieren
- Die Politisierung des Klimawandels ist ein Problem
- Fachleute sehen hier trotzdem eine verpasste Chance, was aber nicht mit fehlendem Problembewusstsein gleichzusetzen ist
Es mag überraschen, aber die Gummistiefelpolitik ist nicht nur eine neckische Metapher. Sie wird auch gelebt, zuletzt im Süden der Republik: Ein bayerischer Ministerpräsident und ein Bundeskanzler haben sich jüngst für ein zeitloses schwarzes Modell entschieden und schreiten damit im Gleichschritt voran in Richtung Hochwasserkatastrophengebiet der vergangenen Wochen. Die Personen links und rechts tragen hingegen gewöhnliche Schnürschuhe. Gummistiefelpolitik ist eine politische Disziplin und generiert Volksnähe dort, wo angesichts einer Krisensituation Anzugtragende ein offenbar missglücktes Bild abgeben würden.
Diese Form der politischen Anteilnahme ist jahrzehntealt und ganz offensichtlich attraktiver als Krisenkommunikation zu den Ursachen einer Flutkatastrophe. Klar, Empathie ist grundsätzlich nie eine schlechte Idee und Menschen, die gerade ihr Hab und Gut verloren haben, verdienen in erster Linie Lösungen für die augenblickliche Krisensituation. Die Gummistiefelpolitik passt aber auch zu dem, was eine aktuelle Studie im Fachblatt Nature Climate Change herausgefunden hat.
Extremwetter und Klimawandel: Für Parteien hat Anteilnahme Vorrang
"Gerade in der Folge von Extremwetterereignissen könnten allzu viele Verweise auf Klimaschutz auch den Eindruck erwecken, man wolle die Geschehnisse 'politisieren', solange Klimaschutz eben als etwas 'Parteiliches' gilt, ao dass sich die meisten Parteien damit eher zurückhalten könnten." Das sagt Benjamin Krämer, Kommunikationswissenschaftler an der Uni München. Seine Einschätzung mit Blick auf das vorliegende Papier: "Die Parteien gehen wohl nicht zu Unrecht davon aus, dass von ihnen erst einmal konkrete Hilfsmaßnahmen und auch symbolische Anteilnahme erwartet werden."
In der Untersuchung wurden insgesamt 260.000 Pressemitteilungen von 68 Parteien aus neun Ländern dahingehend untersucht, inwieweit Klima und Umwelt nach Extremwetterereignissen thematisiert wurden. Der Untersuchungszeitraum fällt mit 2010 bis 2020 in das letzte Drittel des "neuen Klimamittels" und damit in die Zeit jüngster klimatischer Veränderungen, endet allerdings vor der Flutkatastrophe in Rheinland-Pfalz und Nordrhein-Westfalen im Juli 2021. Zur Einschränkung gehört auch: Parteien kommunizieren logischerweise nicht nur über Pressemitteilungen. Sie seien aber ein wichtiger Indikator für die politische Agenda, weil sie Nachrichtenmedien dazu bringen sollen, über ein Thema zu berichten, von dem eine Partei profitieren könnte, sagt Marcus Maurer, der an der Uni Mainz zu politischer Kommunikation forscht.
Kommunikation der Ursachen von Extremwetter: Nicht anderen Parteien in die Karten spielen
Das Ergebnis der Untersuchung ist erstaunlich, aber irgendwie auch nicht: Eine systematische Zunahme von Umwelt- und Klimathemen in den Presseaussendungen der Parteien ist nicht aufgetreten – zumindest nicht mehr als vorher. Es wurde also ein sogenannter Nicht-Effekt nachgewiesen. Das muss man erstmal schaffen. Das Ergebnis steht im Gegensatz zu Untersuchungen, die zeigen, dass Menschen nach Extremwetterereignissen sensibler auf Umweltfragen reagieren, wenn auch nur kurzzeitig. Kleine Ausnahme: Bei grünen Parteien konnten die Forschenden einen leichten Anstieg verzeichnen, allerdings ebenfalls nicht von langer Dauer.
Solange Klimaschutz als grünes Thema gilt, können Parteien vermuten, dass es einer grünen Partei nutzt.
"Beim Thema Klimawandel profitieren die Grünen, weil sie bei diesem Thema seit Langem für am kompetentesten gehalten werden", so Marcus Maurer von der Uni Mainz. "Prinzipiell haben also vor allem die Grünen ein Interesse daran, dass über dieses Thema berichtet wird." Und genau das könnte auch der Grund sein, warum andere Parteien ein Extremwetter eben nicht zum Anlass nehmen, über die Ursachen zu sprechen, sagt Benjamin Krämer von der Uni München: "Solange Klimaschutz als 'grünes' Thema gilt, können Parteien vermuten – nach der Forschungslage vielleicht nicht ganz zu Unrecht –, dass es vor allem einer etwaigen grünen Partei nutzt."
Politisierung von Klimaschutz ist ein Problem
Ob sich eine Partei nach einer Extremwetterkatastrophe dazu entschließt, deren Ursachen auf die Agenda zu heben, ist also keine Frage der Folgerichtigkeit, sondern eine der parteipolitischen Logik. Und nichts Neues: "Wenn ich mich für Klimaschutz positioniere, nützt mir eine Flut. Wenn ich mich gegen Migration positioniere, dann nützt mir beispielsweise ein islamistischer Terroranschlag", so Marcus Maurer von der Uni Mainz.
Gerade für den Klimaschutz ist die Politisierung aber ein Problem. Als neben der Biodiversitätskrise fundamentalste Krise der Menschheit ist Klima nicht einfach nur ein Stichpunkt im Parteiprogramm, sondern steht grundsätzlich über allem, weil es schlichtweg auch um alles geht. "Ich glaube, der beste Weg, den Klimawandel zu kommunizieren, besteht darin, ihn von anderen Themen zu entkoppeln, so dass wir als Gesellschaft dem Kampf gegen den Klimawandel Vorrang einräumen können", resümiert Joris Lammers, Psychologe an der Kölner Uni.
Verpasste Chance nach Extremwetter
Das ist, mit Verlaub, leichter gesagt, als umgesetzt. Lammers verweist auf den Frosch im kochenden Wasser, der zwar aus dem Kessel hüpft, wenn der schon hundert Grad hat. Aber nichts unternimmt, wenn die Wassertemperatur um ihn herum nur langsam ansteigt. Menschen würden sich von der Sorglosigkeit der trägen Masse beeinflussen lassen und den langsamen Wandel nicht wahrnehmen. "Gleichzeitig zeigen klassische Erkenntnisse, dass eine Gruppe – selbst eine Minderheit –, die konsequent auf ein Problem hinweist, die Meinung ändern kann." Lammers spricht in dieser Hinsicht von einer verpassten Chance durch die Parteien – aber die verhalten sich eben, wie die Menschen selbst, oft nicht rational.
Deshalb dürfte es freilich schwer werden, den Klimawandel von politischen Machtspielen und Kulturkämpfen zu entkoppeln. Benjamin Krämer von der Uni München plädiert dafür, mehr noch die süßen Früchte des Klimaschutzes zu servieren. Er sagt, positive Gegenerzählungen gegen die Geschichten von Populistinnen und Populisten rund um elitäre Verbote und Erziehungsmaßnahmen könnten helfen. "Diese Gegenerzählungen könnten idealerweise konkrete Klimaschutzmaßnahmen nicht nur als effizient, sondern auch als sozial gerecht, befreiend oder als Zugewinn von Lebensqualität darstellen."
Marcus Maurer von der Uni Mainz wünscht sich neben den jetzt vorliegenden Daten noch einen Blick auf den, wie er sagt, etwas zeitgemäßeren Indikator Social Media. Aus Sicht der Parteien plädiert er insgesamt für eine "kommunikativ gute Mitte": statt Panik eben die Kommunikation von Lösungen, Schritt für Schritt. "Und man muss akzeptieren, dass Menschen manchmal andere Dinge wichtiger finden. Es passieren ja täglich auch andere Ereignisse als Naturkatastrophen, die auch Reaktionen in Politik und Bevölkerung erfordern."
mit Unterstützung des Science Media Centers
Dieses Thema im Programm: MDR KULTUR - Das Radio | MDR KULTUR am Nachmittag | 14. Juni 2024 | 16:10 Uhr
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