Elektromobilität Verbrenneraus 2025: Wie Norwegen es fast geschafft hat
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30. Dezember 2024, 11:48 Uhr
Vor sieben Jahren hat sich Norwegens Regierung ein großes Ziel gesetzt: Bis 2025 sollten alle neu verkauften Autos emissionsfrei sein, also vollelektrisch oder wasserstoffbetrieben. Ganz erreicht wird es nun nicht, aber Norwegen ist sehr nah dran. Wie hat das Land das geschafft, welchen Einfluss hatte der Staat dabei und können auch wir etwas daraus lernen?
Eigentlich ist Norwegen kein Elektroautoland: Bergige Landschaften treffen auf lange unbesiedelte Strecken mit wenig Infrastruktur. Im Winter gibt es viel Schnee und Eis, der den Verbrauch in die Höhe treibt. Entsprechend groß war die Skepsis als die norwegische Regierung 2017 in ihrem Nationalen Transportplan (2018-2027) das Ziel festlegte, dass alle neu verkauften Pkw bis 2025 emissionsfrei sein sollen. Jetzt, kurz vor dem Zieljahr, liegt der Anteil bei immerhin knapp über 88 Prozent. Für die norwegische Regierung ist das ein großer Erfolg, ebenso wie für Nils Sødal vom norwegischen Automobilverband NAF. Denn als das Ziel festgelegt wurde, lag der Anteil bei gerade einmal 20 Prozent und damit knapp 5 Prozent über dem Wert, den Deutschland gerade hat. Wie also hat Norwegen den Sprung geschafft?
Von Null auf 90: Wie Norwegen zum Elektroautoland wurde
Zunächst einmal sind die Grundbedingungen andere als in Ländern wie etwa Deutschland, erklärt Nils Sødal. Der Strom beispielsweise ist in Norwegen schon immer günstig und durch die zahlreichen Wasserkraftwerke auch weitestgehend grün. Gestiegene Preis wie zuletzt im Dezember fängt der Staat derzeit mit einer Stromstütze ab. Er selbst zahle etwa 500 norwegische Kronen (derzeit knapp 42 Euro) für zwei Autos im Monat. Auch das Fahrmuster sei ein anderes: "Wir Norweger fahren im Allgemeinen nicht sehr weit. Das andere ist, dass wir mit relativ ruhigen Geschwindigkeiten fahren. Es gibt nicht so viele Autobahnen in Norwegen." Lange Strecken für beispielsweise Geschäftsreisen zu fahren, sei eher unüblich.
Ein dritter wichtiger Punkt ist die Automobilindustrie oder im Falle Norwegens die fehlende Automobilindustrie, denn das habe laut Nils Sødal zwei Konsequenzen: Zum einen gäbe es keine Interessen, die berücksichtigt oder beschützt werden müssten. Zum anderen habe Norwegen dadurch – anders als in Ländern mit eigener Autoindustrie – generell hohe Autosteuern:
Mit hohen Steuern hast du viel mehr Spielraum, um die Leute dazu zu bringen, das zu kaufen, was du möchtest, dass sie kaufen.
Ein wichtiger Punkt, denn die norwegische Regierung hat vor allem auf Anreize gesetzt, um das gewünschte Ziel zu erreichen. Diese Anreize sind für Nils Sødal ausschlaggebend dafür, warum auch die Menschen in Norwegen ihr Verhalten geändert haben. Das war zu Beginn nicht unbedingt absehbar.
Der Geldbeutel entscheidet: Wie staatliche Anreize die Kaufentscheidung beeinflussten
Bevor Elektroautos zum Alltag der Norweger gehörten, war die Skepsis groß. Die Argumente klangen dabei ähnlich wie jene, die auch in Deutschland immer wieder zu hören sind – etwa, dass Elektroautos nicht umweltfreundlich seien, dass es nicht genug Strom für alle gäbe oder dass die Reichweite nicht ausreiche. "Es gab sehr viele verschiedene Meinungen, aber grundsätzlich gibt es eine Skepsis gegenüber allem Neuen. Das liegt ein bisschen in uns Menschen“, so Nils Sødal. Einen Wandel gab es ihm zufolge nicht durch ein Umdenken oder eine besonders umweltbewusste Einstellung der Menschen, sondern vor allem durch ökonomische Anreize, die der Staat und die Kommunen breit eingesetzt hatten, um eine Umstellung zu erwirken. Darunter waren Steuervergünstigungen beim Kauf, keine Mautgebühren, kostenloses Parken, kostenlose Fährfahrten oder das Recht, die Busspur zu nutzen.
Mittlerweile sind – mit dem enormen Anstieg des Elektroautoanteils – einige der Anreize wieder zurückgenommen worden, um, wie das norwegische Verkehrsministerium auf unsere Anfrage mitteilt, nicht die Wettbewerbsfähigkeit des öffentlichen Nahverkehrs zu schwächen, den Anteil von Autos in den Städten zu verringern und zunehmend fehlende Einnahmen wieder auszugleichen. Laut Nils Sødal sei der Sprung aber ohnehin geschafft, auch wenn es selbst mit den Vorteilen viele Jahre gebraucht habe:
Es zeigt sich, dass diejenigen, die ein Elektroauto gekauft haben, fast alle nicht mehr zurückwollen.
93 Prozent der E-Auto-Besitzer seien laut einer Umfrage zufrieden damit, Elektroautofahrer zu sein, erklärt auch das norwegische Verkehrsministerium, 86 Prozent würden erneut ein Elektroauto wählen. Für Rafael Laguna von der Bundesagentur für Sprunginnovationen (SPRIND) in Leipzig, hat Norwegen damit eine gleichnamige Innovation vollzogen, also eine, die das Leben der Norweger in ein vorher und ein nachher einteilt – sowohl in Hinblick auf den Ausbau der Erneuerbaren Energien, also auch im Hinblick auf das Auto, dessen Ausstattung, Bau und Fahrweise selbst. Eine Innovation, die maßgeblich durch das Handeln des Staates zustande gekommen ist. Sind staatliche Maßnahmen also der Schlüssel?
Ein Rezept für Deutschland: Sind staatliche Maßnahmen die entscheidene Zutat?
Auch Rafael Laguna verweist auf die unterschiedlichen Ausgangspunkte. So müsse ein Staat wie Norwegen für so eine disruptive Innovation "nicht die eigene Automobilindustrie kannibalisieren", sei in Sachen Energie schon "gut unterwegs" und könne sich auch leisten, entsprechend Anreize zu schaffen. Allerdings sei es prinzipiell wichtig, dass ein Staat eine Strategie habe und klar zeige, wo er hin wolle. Nur so könne auch klar benannt werden, welche Maßnahmen ergriffen werden müssen: "Die Maßnahmen sollten immer so sein, dass man die Wirtschaft aktiviert. Also der Staat ist nicht der bessere Innovator oder der bessere Unternehmer. Das Gegenteil ist der Fall. Aber der Staat muss Marktversagen, das heißt, wenn der Markt noch nicht reagiert, auflösen."
Also der Staat ist nicht der bessere Innovator oder der bessere Unternehmer.
Mit einem entsprechenden Plan, wisse man genau, wo der Markt versagt und wie lange man eingreifen müsse. Nur so könnten in der Wirtschaft dann auch die passenden Reaktionen auf und Investitionen in die entsprechenden Produkte, die Infrastruktur und die Services entstehen: "Das macht Norwegen fantastisch."
Dabei sei es auch wichtig, ein positives Bild der Zukunft zu zeichnen. In Deutschland sage man viel zu selten: Ist das nicht toll, wenn wir da hinkämen. In Sachen Elektromobilität wolle man beispielsweise den positiven Umwelteffekt. Dafür brauche es aber neben den Autos selbst auch eine geänderte Energieerzeugung. Und dann sei auch sehr schnell klar, wo investiert werden müsse. "Das fängt bei der Wissenschaft an, die wir ja staatlich finanzieren, und hört eben für den Staat bei der Wirtschaftsförderung auf, die man klug und im Wettbewerb machen muss, damit die klugen, die die besten Lösungen bieten, da auch wirklich durchkommen." Wenn man es so schaffe, Konsens über eine Strategie zu schaffen, sei nicht nur der Föderalismus kein Problem, sondern überlebe das auch mehrere Legislaturen. Denn um so etwas umzusetzen, "muss man dabei bleiben, auch manchmal über ein Jahrzehnt. Das sehen wir nicht so häufig, dass es überhaupt so eine Strategie gibt."
Trotzdem: Dass es Potenzial gibt, sieht Rafael Laguna in seiner Agentur immer wieder: Vom weltweit höchsten Windrad, über laserbasierte Kernfusion, Lösungen zu Langzeit-Batteriespeicherung mit konfliktfreien und voll recycelbaren Materialien, über Alzheimer und Krebswirkstoffe unterstütze die SPRIND bereits viele Projekte in Deutschland mit enormem Sprungpotenzial.
Wir sagen von uns selber immer: 'Wir sind die Schokoladenfabrik, weil jeden Tag kommen zehn neue Pralinen rein, die wir uns angucken können.' Es ist einfach fantastisch. Also das macht einen auch zum Optimisten, was man da sieht.
Und so ist vielleicht das der eigentliche Schlüssel: Nicht die Maßnahmen selbst, sondern der Optimismus, der die Maßnahmen über lange Strecken wirksam bleiben lässt. In Norwegen etwa gab es die erste Steuererleichterung für Elektroautos schon 1991. Seitdem ist die norwegische Regierung nicht nur dabei geblieben, sondern hat sich auch große Ziele gesetzt, an die sonst keiner glauben wollte. Wirklich ausgezahlt hat sich das erst jetzt.
Dieses Thema im Programm: MDR KULTUR - Das Radio | 23. Dezember 2024 | 13:20 Uhr
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