Luftaufnahme: Traktor fährt über Feld und verspritzt aus langen Stangen links und rechts Flüssigkeit auf Feld. Sojapflanzenanbau bis zum Horizont, warme, idyllische Lichtstimmung durch späte Sonne 8 min
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Pestizide "Es hätte die Landwirtschaft zukunftsfähig gemacht und biologische Vielfalt entlastet"

23. November 2023, 17:38 Uhr

Die EU Kommission wollte den Einsatz von Pestiziden in der Landwirtschaft verringern. Das Parlament aber stimmte gegen einen entsprechenden Entwurf. Warum votierten die Abgeordneten für die Chemie auf dem Acker und wie geht es weiter?

Landwirte wollen Schädlinge von den Feldern fernhalten und setzen deswegen Pestizide ein. Umweltschützer dagegen sehen die Natur und die Artenvielfalt in Gefahr und würden Pflanzenschutzmittel am liebsten ganz verbieten. Nun hat das EU-Parlament eine richtungsweisende Entscheidung getroffen und erklärt, dass der Einsatz von Pestiziden, von Pflanzenschutzmitteln auf Äckern, auf Grünstreifen, vorerst nicht verringert werden müsse. Sie hat damit einen entsprechenden Gesetzesvorschlag der EU-Kommission gekippt.

Was das nun bedeutet und wie es in der Sache weitergehen könnte, dazu hat Jörn Johann Wogram mit MDR KULTUR gesprochen. Wogram ist Fachgebietsleiter für Pflanzenschutzmittel beim Umweltbundesamt in Dessau-Roßlau

Frage: Die Zweifel sind aber offenbar sehr groß gewesen bei den Parlamentariern. Das zeigt das Abstimmungsergebnis von rund 300 Stimmen gegen 200 Stimmen. Warum waren die Zweifel zu groß an dieser EU? Kommissionsvorlage

Wogram: Ja, man muss sich dafür die Entwicklung während dieser Verhandlung anschauen. Am Ende war es ja die grüne Fraktion, die ihre Zustimmung für den Entwurf verweigert hat, und zwar deshalb, weil im Lauf der Verhandlungen der Entwurf so weit ausgehöhlt wurde, dass man eigentlich sagen muss, der hätte eigentlich keinen Vorteil mehr gebracht. Und deshalb ist dieser Entwurf dann am Ende nicht durch das Parlament gekommen. Und deshalb wird es vorerst wohl auch keine solche Verordnung geben. Der ursprünglich von der Kommission vorgelegte Entwurf hatte ja sehr ambitionierte Ziele. Und dem hätte das Parlament möglicherweise auch zugestimmt.

Frage: 50 Prozent weniger Pflanzenschutzmittel bis zum Jahr 2030, war das zu ambitioniert?

Wogram: Das war auf keinen Fall zu ambitioniert. Eine solche Senkung wäre möglich. Allerdings muss man sehen, dass die Landwirtschaft in der EU sehr stark ausgerichtet ist auf die Verwendung von Pestiziden. Man kann sagen, die Landwirtschaft ist wirklich sehr stark abhängig davon. Und um diese Abhängigkeit zu überwinden, hätte man den Pflanzenbau schon sehr stark umbauen müssen. Man hätte den Landwirten die Möglichkeit geben müssen, stärker auf vorbeugende, anstatt auf chemische Maßnahmen zu setzen. Und das ist natürlich aufwendig.

Im Kern hat die Verordnung vorgesehen, dass die Mitgliedstaaten, also die Regierungen der Mitgliedstaaten, die landwirtschaftlichen Betriebe überhaupt erst einmal in die Lage versetzen, stärker auf Pestizide verzichten zu können.

Allerdings ist es auch unbedingt nötig, um die Landwirtschaft selbst zukunftsfähig zu machen. Denn es ist mal gesagt worden von Felix Prinz zu Löwenstein, dem Vorsitzenden des Bundes der ökologischen Lebensmittelwirtschaft: "Wir werden uns auf Dauer ökologisch ernähren oder gar nicht." Damit ist gemeint, eine Landwirtschaft muss am Ende die ökologische Tragfähigkeit der Erde beachten. Und ein System, das auf Dauer die Lebensgrundlagen zerstört, kann natürlich uns auf Dauer auch nicht ernähren. Und deshalb ist dieser Veränderungsdruck auch jetzt, nach der Ablehnung dieser Verordnung auch die Landwirtschaft immer noch da.

Frage: Ja, aber andererseits hindert ja niemand den Landwirt daran, alternative Formen der Unkrautvernichtung zu suchen, beziehungsweise ganz darauf zu verzichten. Genügt denn dieses Ansinnen? Oder braucht es tatsächlich gesetzlich geregelte Reduktion von Pestiziden, auch auf die Gefahr hin, dass man so einen Betrieb in den Ruin treibt?

Wogram: Nein! Der Verordnungsentwurf hat ja gerade vorgesehen, dass die landwirtschaftlichen Betriebe dabei unterstützt werden, ihre Abhängigkeit von Pestiziden zu überwinden. Die Verpflichtung, die Verwendung von Pestiziden auf die Hälfte bis 2030 runterzubringen, das war ja das ursprüngliche Ansinnen. Diese Verpflichtung richtet sich ja nicht an die einzelnen landwirtschaftlichen Betriebe, sondern an die Mitgliedstaaten.

Im Kern hat die Verordnung vorgesehen, dass die Mitgliedstaaten, also die Regierungen der Mitgliedstaaten, die landwirtschaftlichen Betriebe überhaupt erst einmal in die Lage versetzen, stärker auf Pestizide verzichten zu können. Und damit hätte man dann dieses Reduktionsziel erreicht. Das hätte man mit staatlichen Förderungen gemacht, mit einem unabhängigen Beratungsangebot und weiteren Maßnahmen.

Derzeit ist die Verwendung von Pestiziden maßgeblich mit dafür verantwortlich, dass wir in den Agrarlandschaften einen sehr starken Artenschwund erleben.

Frage: Nun scheint der Umweltschutz in der EU nicht so hoch angesiedelt zu sein, wenn man diese Entscheidung zugrunde legt. Das trifft auch für die jüngste zu, die weitere Zulassung von Glyphosat, dem Unkrautvernichtungsmittel. Warum ist das denn so schwer, die Interessen der Natur und der Landwirtschaft zusammenzubringen?

Wogram: Speziell im Bereich der Pestizide muss man natürlich zunächst mal sagen, das liegt an einem sehr starken Zielkonflikt. Einerseits möchte man Mittel einsetzen und großflächig auf 50 Prozent unserer Landesfläche ausbringen. Das ist nämlich der Bereich, der landwirtschaftlich genutzt wird. Die Mittel sind ja dafür gemacht, Lebewesen zu schädigen. Sie sollen natürlich nur die Schadorganismen wie zum Beispiel schädliche Insekten oder Schadkräuter oder schädliche Pilze schädigen und in die Schranken weisen. Aber das gelingt eben nur sehr eingeschränkt, weil die Auswirkungen dieser Mittel sich überhaupt nicht auf die Schadorganismen beschränken, sondern meistens eben auch sehr viele andere Tiere und Pflanzen und Pilzarten gleich mit schädigen.

Deswegen haben wir also sehr starke Nebenwirkungen der Pestizide. Und deshalb gibt es überhaupt erst mal die Notwendigkeit, die Verwendung von Pestiziden auch wirklich stark zu reduzieren gegenüber dem Status quo. Denn derzeit ist die Verwendung von Pestiziden maßgeblich mit dafür verantwortlich, dass wir in den Agrarlandschaften einen sehr starken Artenschwund erleben, Insekten, Feldvögeln und so weiter.

Frage: Sie haben auch Einblicke natürlich in die politischen Abläufe. Was wurde jetzt helfen, um allen auch gerecht zu werden? Also dem Umweltschützer, dem Landwirt, der Ernährungssicherheit, den Verbrauchern? Braucht es für diese Wende, die Umstellung schlicht noch mehr finanzielle Anreize? Sind mehr Fördergelder der Weg?

Wogram: Es braucht unbedingt stärkere finanzielle Anreize. Am Ende verwenden Bauern Pflanzenschutzmittel ja nicht, weil ihnen die Chemie grundsätzlich näher am Herzen liegen würde. Sondern sie verwenden sie, weil es normalerweise die wirtschaftlichere, also sprich preiswertere Alternative ist, zu allen anderen Optionen. Und wenn man dieses System umstellen und stärker auf die nicht chemischen Maßnahmen setzen möchte, dann braucht diese Umstellung, brauchen die Betriebe, denen diese Umstellung zugemutet wird, unbedingt eine finanzielle Unterstützung. Man muss sich jetzt also genau diese Betriebsökonomie angucken, herausfinden, wie viel teurer ist eine nicht-chemische Vorbeugemaßnahme gegenüber der Anwendung des Pestizids. Und genau da muss ein Förderprogramm von staatlicher Seite auch ansetzen.

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