Position aller bekannten Objekte, die es derzeit im Erdorbit gibt. Orange sind aktive Satelliten, hellblau inaktive Satelliten, violett Raketenteile, grau Trümmer/Schrott, magenta unklare Herkunft
Eine Simulation allen vorhandenen Weltraumschrotts. Bildrechte: AstriaGraph / University of Texas

Raumfahrt Slalom im Weltall – Wie der wachsende Weltraumschrott zur Herausforderung der Raumfahrt wird

01. August 2023, 16:55 Uhr

Bereits jetzt gibt es mehr Objekte im erdnahen Orbit, als beobachtet werden können. Mögliche Kollisionen können bisher nur kurzfristig vorherbestimmt werden. Ausweichmanöver erfolgen daher meist erst auf den letzten Drücker. Ein Forschungsteam der TU Darmstadt hat eine Methode entwickelt, bei der mögliche Zusammenstöße frühzeitiger erkannt werden.

Die Anzahl von Objekten im erdnahen Orbit wächst. Derzeit befinden sich etwa 8.000 einsatzfähige Satelliten im Erdorbit – allein 2.400 davon wurden im Jahr 2022 gestartet. Diese Objekte können gut beobachtet und nachverfolgt werden. Zwar kann es vorkommen, dass einige dieser Satelliten auf Kollisionskurs fliegen. Jedoch kann dies wenige Wochen im Voraus berechnet werden, so dass entsprechende Ausweichmanöver darauf erfolgen können. 

Weniger leicht ist es mit dem immer weiter anwachsenden Weltraumschrott. Zwar lassen sich mithilfe von Weltraumsensoren etwa 22.000 Objekte – mit den funktionsfähigen Satelliten sind es 30.000 Objekte – verfolgen. Doch da draußen gibt es weitaus mehr Schrott, der einfach nicht nachverfolgt werden kann. Die europäische Raumfahrtbehörde Esa vermutet, dass sich mindestens 29.000 Schrottteile im Erdorbit befinden, die größer als zehn Zentimeter sind. Diese sind gut erkennbar. Je kleiner die Teile werden, desto schwerer wird es, diese zu beobachten und zu erfassen. Im Erdorbit sollen sich 670.000 Schrottteile befinden, die zwischen einem und zehn Zentimeter groß sind und mehr als 170 Millionen Teile von Weltraummüll, die kleiner als ein Millimeter sind.  

Position aller bekannten Objekte, die es derzeit in der niedrigen Erdumlaufbahn gibt. Orange sind aktive Satelliten, hellblau inaktive Satelliten, grau Trümmer/Schrott. Stand: 9. März 2023
Position aller bekannten Objekte, die es derzeit in der niedrigen Erdumlaufbahn gibt. Orange sind aktive Satelliten, hellblau inaktive Satelliten, grau Trümmer/Schrott. Stand: 9. März 2023 Bildrechte: AstriaGraph / University of Texas

Damit es zu keiner Kollision kommt und damit zu einer möglichen Kettenreaktion von Kollisionen – denn jeder Zusammenstoß erzeugt neue Schrottteile, die mit mehreren zehntausend Kilometern pro Stunde durchs All rasen (bei einem Sturmgewehr erreicht eine Kugel eine Geschwindigkeit von etwa 3.600 Kilometern pro Stunde) – müssen neue Methoden für die Kollisionsvermeidung erprobt werden. Die Technische Universität Darmstadt hat gemeinsam mit der Esa an einem neuen Algorithmus zur Vorhersage von Bahnüberschneidungen gearbeitet.

Zur Kollisionsvermeidung werden Positionsdaten benötigt

Satelliten und Objekte im Weltraum werden laut Reinhold Bertrand "vom Boden aus mit leistungsfähigen Radaren und optischen Teleskopen überwacht". Er ist verantwortlich für die Forschung und Entwicklung im Space Safety Programm (engl. Weltraumsicherheitsprogramm) der Esa und Kooperationsprofessor an der TU Darmstadt. 

"Funktionsfähige Satelliten verfügen darüber hinaus auch meist über bordgebundene Sensoren zur Positionsbestimmung und können daher noch genauere Positionsdaten zur Erde liefern. Für jedes Objekt lässt sich so aus den Beobachtungsdaten die aktuelle Umlaufbahn bestimmen", erklärt der Wissenschaftler in einer Pressemitteilung der TU Darmstadt. Anhand dieser Positionsdaten können dann rechnerische Prognosen über die Satellitenposition in bis zu zwei Wochen getroffen werden. 

Diese Prognosen werden für die einzelnen Satelliten getroffen. Anschließend wird geschaut, ob sich die Bahnen an einem bestimmten Zeitpunkt kreuzen und ob es zu einem Zusammenstoß kommen kann. Je näher die mögliche Kollision bevorsteht, desto genauer lassen sich die Daten bestimmen.

Prof. Dr. Carsten Drebenstedt 1 min
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Weltraumschrott ist ein gutes Baumaterial auf dem Mond, sagt Prof. Carsten Drebenstedt von der TU Freiberg

MDR KULTUR - Das Radio Do 03.02.2022 12:19Uhr 01:06 min

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Bei 8.000 aktiven Satelliten eine Menge Aufwand. Doch innerhalb der nächsten Jahre sollen noch viel mehr künstliche Objekte ins Weltall befördert werden. Alleine die Satellitenflotte Starlink vom privaten Raumfahrtunternehmen SpaceX soll irgendwann aus 12.000 kleinen Satelliten bestehen. Und das ist nur ein Unternehmen von vielen (Amazon mit Kuiper, OneWeb, etc.). Zum Glück verfügen die Starlink-Satelliten über einen Algorithmus, der Ausweichkorrekturen durchführt, falls ein möglicher Zusammenstoß beispielsweise mit Weltraumschrott bevorsteht. Die amerikanische Raumfahrtbehörde Nasa testet gerade ein ähnliches Modell mit ihren vier kleinen Schwarm-Cubesat-Raumsonden Starling.

Doch bei größeren und älteren Satelliten laufen die Ausweichmanöver noch manuell ab. "Befindet sich ein Satellit auf Kollisionskurs mit einem anderen Satelliten oder Objekt, erfolgt eine Kollisionswarnung an den Satelliten-Betreiber, der dann ein Ausweichmanöver einleiten kann", heißt es in der Pressemitteilung. Die Vorlaufzeit beträgt jedoch nur ein bis zwei Tage. Manchmal sind es nur wenige Stunden, in denen reagiert werden kann. 

Paarweise Überwachung führt nicht zur Verbesserung

Das alles funktioniert aber nur, wenn ein aktiver Satellit betroffen ist. Anders sieht es bei zwei Trümmerteilen auf Kollisionskurs aus. Das gilt zum Beispiel für ausrangierte Satelliten, Klemmen, Hülsen, Bolzen oder Schrottteile von bereits kollidierten Objekten. Es können aber auch ganz kuriose Dinge sein, wie Handschuhe und Werkzeuge, die ein Raumfahrender beim Außenbordeinsatz verloren hat. Es wurde aber auch schon eine Zahnbürste im Erdorbit gesichtet. Momentan lässt sich eine Kollision von solchem Space Debris (Weltraummüll- oder -schrott) noch nicht verhindern. 

Derzeit werden die Umlaufbahnen der beobachtbaren Objekte noch paarweise miteinander verglichen (die all-on-all-Methode). Dies führt zu einer quadratischen Anzahl an Satellitenpaaren. Nacheinander können dann die Kollisionsrisiken bestimmt werden. Durch die anwachsende Anzahl an Satelliten und damit auch an bevorstehenden Schrottteilen, haben die Forschenden in Darmstadt eine neue Methode entwickelt.

"Wir standen vor zwei Herausforderungen: Zum einen wollten wir die Positionen der Objekte für einen deutlich längeren Zeitraum simulieren, nicht nur für ein bis zwei Wochen wie bisher. Zum anderen wollten wir eine größere Anzahl von Objekten berücksichtigen", erklärt Felix Wolf, der Leiter des Fachgebiets in Darmstadt. Dafür haben sie einen neuen und effizienteren Algorithmus entworfen, mit dem sie auch die quadratische Anzahl von Vergleichen und einen quadratischen Arbeits- und Rechenaufwand vermieden.  

Das Forschungsteam nutzte räumliche Datenstrukturen und Parallelisierungsmethoden, um mögliche Zusammenstöße zu identifizieren. Dies wird auch gitterbasierte Variante genannt. Statt einzelne Satelliten zu betrachten und die Kollisionsrisiken nacheinander auszuschließen, werden Zellen – also kleine Bereiche am Erdorbit – betrachtet. Dadurch werden die Objekte nur innerhalb der Zelle und der direkt umliegenden Nachbarzelle miteinander verglichen.

Im nächsten Schritt wurde eine hybride Methode angewandt. Die gitterbasierte Variante wurde mit der klassischen Variante kombiniert. Dadurch ließen sich die Vorhersagen von drohenden Kollisionen deutlich beschleunigen. Außerdem können dadurch "die Bewegung von mehr als einer Million Objekte in der Erdumlaufbahn" simuliert und überwacht werden, heißt es in der Pressemitteilung. Die einzige Herausforderung ist hierbei noch der Speicherverbrauch bei den Berechnungen – doch dieser lässt sich durch eine höhere Rechenleistung beheben. Die neue Methode wird bereits von der Esa getestet, die sich übrigens für ein internationales Verkehrsmanagementsystem im Weltraum ausspricht. Wenn eine entsprechende Organisation dafür gegründet wird, sollte die bereitgestellte Rechenleistung kein Problem sein.

Weltraumschrott vermeiden oder doch erst beseitigen? 

Eine weitere Methode, die zur Vermeidung von Kollisionen führen kann, wurde von den Forschenden zwar nicht erfasst. Dafür wird sie besonders von der Esa verfolgt. Diese möchte nämlich marktführend in der Beseitigung von Weltraumschrott sein. Dafür investiert sie in Firmen wie Clear Space aus der Schweiz. Dieses möchte mit einem Satelliten Schrottteile mittels Greifarm einfangen und diese anschließend in der Erdatmosphäre verglühen lassen. Ab 2026 will sie ihr System zur Beseitigung von Space Debris testen.  

Es werden aber auch andere Methoden wie der Einsatz von Fangnetzen (wie bei der Fischerei) oder Harpunen durchdacht. Mit dem österreichischen Kleinsatellit Adler-1 wird zudem ein neuer Sensor zur Erfassung von Weltraumschrott getestet. Europa wird in Zukunft somit die Müllabfuhr für den Weltraum sein, besonders für den erdnahen Orbit. Bis dahin sollten die Messmethoden von der TU Darmstadt, aber auch die von anderen Instituten bei der Erfassung der Objekte im erdnahen Orbit eine Verbesserung bei der Vermeidung von Zusammenstößen im All sein.

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