Wissenschaftlerin Dr. Imogen Napper schaut in den Nachthimmel. Sie befürchtet immer mehr Weltraummüll, wenn nicht aktiv gegengesteuert wird.
Wissenschaftlerin Dr. Imogen Napper sieht Parallelen zwischen Weltraumschrott und Plastikmüll in den Meeren. Sie sagt: "Wenn wir berücksichtigen, was wir von den Meeren gelernt haben, können wir die gleichen Fehler vermeiden und gemeinsam daran arbeiten, eine Tragödie im Weltraum zu verhindern." Dafür sei ein globales Abkommen nötig. Bildrechte: Eleanor Burfitt, Universität Plymouth

Satelliten & Co. Wissenschaftler fordern weltweite Anstrengungen zur Beseitigung von Weltraummüll

09. März 2023, 20:06 Uhr

Immer mehr Satelliten, immer mehr Weltraumschrott. Internationale Wissenschaftler haben einen rechtsverbindlichen Vertrag gefordert, der sicherstellt, dass die Erdumlaufbahn nicht irreparabel zugemüllt wird.

Die genauen Zahlen schwanken je nach Quelle, aber die Größenordnung ist klar. Mehr als 7.000 aktive Satelliten gibt es laut der Europäischen Raumfahrtbehörde Esa derzeit in verschiedenen Erdumlaufbahnen, andere Quellen sprechen gar schon von 9.000. Und bis 2030 werden es nach aktuellen Plänen der Hersteller wahrscheinlich mehr als 60.000 sein.

Position aller bekannten Objekte, die es derzeit in der niedrigen Erdumlaufbahn gibt. Orange sind aktive Satelliten, hellblau inaktive Satelliten, grau Trümmer/Schrott. Stand: 9. März 2023
Position aller bekannten Objekte, die es derzeit in der Erdnahen Umlaufbahn gibt. Orange sind aktive Satelliten, hellblau inaktive Satelliten, grau Trümmer/Schrott. Stand: 9. März 2023 Bildrechte: AstriaGraph / University of Texas

Nun ist das All zwar (vermutlich) unendlich groß, der Platz in sinnvoller Satelliten-Entfernung um die Erde herum aber ganz und gar nicht. Man nehme nur die sogenannte Erdnahe Umlaufbahn (englisch Low Earth Orbit, LEO) in 200 bis 2.000 Kilometern Höhe. Hier schwirren die allermeisten Satelliten herum, mehrere Tausend. Dazu kommen die Satelliten, die schon ihren Geist aufgegeben, also den Betrieb eingestellt haben, das sind noch einmal mindestens mehrere Hundert, wahrscheinlich auch ein paar Tausend.

Aktive Satelliten kann man gezielt positionieren und damit kontrollieren. Anders ist das bei den inaktiven und beim Weltraummüll, also zum Beispiel Raketen-Überbleibseln oder Trümmerteilen. Dieser Müll oder Schrott fliegt unkontrolliert durchs All und vermehrt sich ständig. Denn bei jedem Zusammenstoß zweier Teile entstehen wieder mehrere neue, die wegen der Schwerelosigkeit aber nichts an Geschwindigkeit verlieren, wodurch sich die Wahrscheinlichkeit neuer Kollisionen mit gleichen Auswirkungen wieder erhöht. Zwar werden die Trümmer bei Kollisionen kleiner, aber bei einer Fluggeschwindigkeit von bis zu 56.000 Kilometern pro Stunde können auch Kleinteile erheblichen Schaden anrichten. Diesen Teufelskreis bei Weltraumkollisionen nennt man Kessler-Effekt.

Rechtsverbindlicher Vertrag gefordert

All das muss besser werden, fordern nun viele Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, die sich zusammengeschlossen haben, um mit kräftigerer Stimme zu sprechen und dadurch vielleicht bei Entscheidungsträgern gehört zu werden. Sie berufen sich dabei auf das kürzlich nach langem Ringen unterzeichnete Abkommen zum Schutz der Weltmeere.

Weltmeere und Weltall, wie passt das zusammen? Die Analogie am besten erklären kann Prof. Richard Thompson von der Universität im englischen Plymouth. Er hat als einer der ersten schon vor 20 Jahren vor der Plastik-Verschmutzung der Weltmeere gewarnt und will nun beim Thema Weltraummüll nicht wieder so lange warten müssen, bis etwas Rechtsverbindliches zum Schutz des Gebietes unterschrieben wird. "Wir waren uns des Problems der Plastikverschmutzung schon vor einem Jahrzehnt bewusst, und wenn wir damals gehandelt hätten, wäre die Menge an Plastik in unseren Ozeanen vielleicht nur halb so groß wie heute", sagt Thompson. "In Zukunft müssen wir eine viel proaktivere Haltung einnehmen, um die Zukunft unseres Planeten zu sichern. Aus den Fehlern, die wir in unseren Ozeanen gemacht haben, können wir viel lernen, was auch für die Ansammlung von Müll im Weltraum von Bedeutung ist."

Millionen Teile

Position aller bekannten Objekte, die es derzeit im Erdorbit gibt. Orange sind aktive Satelliten, hellblau inaktive Satelliten, violett Raketenteile, grau Trümmer/Schrott, magenta unklare Herkunft
Position aller bekannten Objekte, die es derzeit in Erdumlaufbahnen gibt. Orange sind aktive Satelliten, hellblau inaktive Satelliten, violett Raketenteile, grau Trümmer/Schrott, magenta unklare Herkunft Bildrechte: AstriaGraph / University of Texas

Bekannt und als Weltraummüll katalogisiert sind derzeit laut Esa etwa 32.000 Teile im Weltraum. Das klingt schon viel, ist aber fast nichts verglichen mit den geschätzten Zahlen, die sich aus wissenschaftlichen Modellrechnungen ergeben. Laut denen gibt es allein 36.500 Schrottteile, die größer als zehn Zentimeter sind, außerdem eine Million Kleinteile zwischen einem und zehn Zentimetern und dann sage und schreibe 130 Millionen Kleinstteile unter einem Zentimeter, die wegen ihrer hohen Geschwindigkeit natürlich trotzdem Schaden anrichten. Außerdem nimmt die Zahl der Satelliten nicht linear zu, sondern eher exponentiell.

60.000 sollen es bis 2030 sein, und jeder einzelne hat ja auch einen Sinn, meist einen, der der Menschheit nützt. Für umso wichtiger halten es die Wissenschaftler deshalb, nicht erst irgendwann für Ordnung im All zu sorgen, sondern jetzt. Sie erkennen an, dass eine Reihe von Konzernen und Ländern schon damit begonnen haben, auf die Nachhaltigkeit von Satelliten zu achten. Das müsse aber jetzt und in Zukunft für alle Länder und Firmen gelten, die die Erdumlaufbahn nutzen wollen.

Anreize, Verantwortung zu übernehmen

In schriftlichen Vereinbarungen müsse festgehalten werden, dass Satellitenhersteller und -nutzer ab dem Zeitpunkt des Starts die volle Verantwortung für ihre Geräte und auch eventuelle Trümmerteile tragen. Anreize dafür könne man zum Beispiel mit Geld schaffen.

"Die Menschheit muss jetzt die Verantwortung für ihr Verhalten im Weltraum übernehmen, nicht erst später", sagt Melissa Quinn, Leiterin des Weltraumbahnhofs Cornwall. "Ich fordere alle Verantwortlichen auf, diesen nächsten Schritt zur Kenntnis zu nehmen und seine Bedeutung zu erkennen."

Links/Studien

Der Artikel mit den Forderungen der Wissenschaftler ist in der Fachzeitschrift Science erschienen.

(rr)

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