Weltraumschrott Abstürzende Raketenteile sind eine potenziell tödliche Gefahr
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11. Juli 2022, 17:38 Uhr
Was nach oben fliegt, kommt auch wieder herunter. Und die Schwerkraft macht auch vor abfallenden Raketenteilen nicht halt, die nach dem Start nicht in der Atmosphäre verglühen. Die fallen dann häufig ins Meer, könnten aber auch bewohnte Gebiete oder Flugzeuge treffen und Menschen töten. Dieses Risiko galt bisher immer als vernachlässigbar, doch ein kanadisches Forschungsteam hat jetzt nachgerechnet und sagt: Das Risiko ist gar nicht so gering und besonders betroffen sind Regionen in Äquatornähe.
Im Mai 2020 ist ein 18 Tonnen schweres Teil einer chinesischen Langer Marsch 5B-Rakete unkontrolliert aus dem Orbit wieder in die Atmosphäre eingetreten. Doch dort ist nicht alles verglüht: Trümmer des Raketenkörpers stürzten auf die Erde und schlugen in zwei Dörfer in der Elfenbeinküste ein – darunter auch ein 12 Meter langes Rohr. Mehrere Gebäude wurden beschädigt, aber dass bei solch einem Einschlag bisher noch niemand getötet wurde, sei eher Zufall, bilanziert ein Forschungsteam der University of British Columbia in Vancouver.
Das zeigen weitere Vorfälle: Ein Jahr später ist wieder ein ähnlich schweres Teil einer Langer Marsch-Rakete, die ein Modul der Raumstation Tiangong in eine erdnahe Umlaufbahn gebracht hatte, unkontrolliert wieder in die Erdatmosphäre eingetreten. Die Trümmer stürzten dieses Mal in den Indischen Ozean. Diese zwei abgestürzten Raketenteile seien die schwersten seit der sowjetischen Raumstation Saljut-7 im Jahr 1991 gewesen. Aber sie waren keinesfalls die einzigen Teile. Im Jahr 2016 zum Beispiel seien zwei kühlschrankgroße Treibstofftanks einer SpaceX-Rakete in Indonesien eingeschlagen, im vergangenen Jahr dann unter anderem im US-Bundesstaat Washington.
Zwar sei China weltweit dafür kritisiert worden, die Wiedereintrittsrisiken nicht richtig abgeschätzt zu haben, aber andere Raumfahrtstaaten inklusive den USA träfen ganz ähnliche Entscheidungen in Bezug auf unkontrollierte Wiedereintritte, schreiben die Forschenden. Es gebe bisher keinen internationalen Konsens darüber, auf welchem Niveau hier ein akzeptables Risiko liege.
Raketenstufen verglühen nicht komplett
Das Problem entsteht durch die Konstruktion von Raketen, erläutern die Forschenden. Einige Raketen hätten "Booster", die während des Starts suborbital abgeworfen würden und noch mit einiger Präzision im Ozean landeten. Doch dann haben alle Raketen auch einen "Kern" und eine "erste Stufe", die entweder suborbital und orbital abgeworfen werden. Wenn die sogenannte Kernstufe eine Umlaufbahn erreiche, dann werde sie entweder im Orbit aufgegeben – so wie bei den chinesischen Langer Marsch 5B-Raketen aus unserem Beispiel – oder aber sie wird mithilfe eines kontrollierten Wiedereintritt auf den Erdboden zurückgebracht.
Wenn die Raketenstufe in einer Zone "zurückgelassen" wird, die auf ihrer Laufbahn am nächsten zur Erde ist, dann verringert der Gaswiderstand dem Forschungsteam zufolge allmählich seine Höhe und führt schließlich dazu, dass das Teil unkontrolliert wieder in die Atmosphäre eintritt. Notwendig sei das aber keinesfalls: Für einen kontrollierten Wiedereintritt aus dem Orbit könnte man die Raketenstufe mithilfe eines Motors in abgelegene Bereiche des Ozeans oder eine kaum besiedelte Region ablenken. Die Technik dafür sei bereits entwickelt und vorhanden, heißt es in der Analyse.
Und dann hätten die meisten Raketen noch eine oder mehrere "obere Stufen", in denen unter anderem die Nutzlast – also zum Beispiel ein Satellit – transportiert wird. Diese würden nur selten kontrolliert zur Erde zurückgebracht und meist (60 Prozent im Jahr 2020) im Orbit zurückgelassen. Auf genau diese "Raketenkörper" habe sich das Forschungsteam in seiner Analyse konzentriert. Die Raketenteile blieben über Tage, Monate oder sogar Jahre im Orbit und stellten auch eine Gefahr für Satelliten dar, mit denen sie kollidieren können. Aber sie zerfallen teilweise auch in kleinere, aber immer noch zerstörerische Teile Weltraumschrott. Und wenn größere Teile auf die Erde herunterfallen, überstehen Bruchstücke durchaus die Hitze des atmosphärischen Wiedereintritts. Die sind dem Forschungsteam zufolge potenziell tödlich und ein ernsthaftes Risiko an Land, auf See und für Menschen in Flugzeugen.
Größte Gefahr in Äquatornähe
Um das Risiko genauer zu beziffern haben die Forschenden sich in ihrer Analyse auf öffentlich einsehbare Daten über Satelliten und ihre Trägerraketen bezogen. Sie haben dabei die Daten von mehr als 1.500 Raketenkörpern aus den vergangenen 30 Jahren (Mai 1992 - Mai 2022) analysiert. Das Ergebnis: Wenn der Schrott eines Raketenkörpers, der auf die Erde fällt, eine Fläche von 10 Quadratmetern treffe, dann habe die Wahrscheinlichkeit, dass es eins oder mehrere Todesopfer gibt, bei 14 Prozent gelegen. Obwohl so ein Ereignis nicht eingetreten sei oder gemeldet wurde, so die Forschenden, zeige die Berechnung, dass das eingegangene Risiko alles andere als vernachlässigbar war.
Und das Team hat eine zweite interessante Erkenntnis: Die größten Gewichte konzentrierten sich demnach in der Nähe des Äquators. Dementsprechend gebe es hier auch viele der unkontrollierten Wiedereintritte der Raketenkörper. Insgesamt sei das Risiko, von Raketen-Teilen getroffen zu werden, in den südlichen Staaten der Welt deutlich größer als in den großen Raumfahrstraßen. Auf den Breitengraden von Jakarta, Dhaka, Mexiko-Stadt, Bogotá und Lagos sei ein Einschlag mindestens drei Mal so wahrscheinlich wie auf denen von Washington DC, New York, Peking und Moskau, so das Forschungsteam. Der Nasa zufolge lebt außerdem etwa 80 Prozent der Weltbevölkerung in Bedingungen, die keinen oder nur schlechten Schutz gegen herabfallende Trümmerteile bieten. Das kanadische Forschungsteam kritisiert deshalb, dass die großen Raumfahrtnationen das Risiko überproportional auf die Bevölkerung im globalen Süden abwälzten.
Kontrollierter Wiedereintritt löst das Problem
Die Situation müsste aber gar nicht so sein, wie sie ist, bilanzieren die Forschenden. Sie argumentieren, dass Verbesserungen an der Technologie und dem Missionsdesign die meisten dieser unkontrollierten Wiedereintritte verhindern könnten. Die Raumfahrt-Staaten und die privaten Unternehmen zögerten aber, weil sie die damit verbundenen Kosten scheuten. Deshalb sollten die Regierungen der Länder, deren Bevölkerung gefährdet ist, Druck machen – zum Beispiel im Rahmen der Vereinten Nationen, wo sie in der Überzahl sind. So müsse der Druck erhöht werden, damit die Politik den kontrollierten Wiedereintritt von Raketen anordnet, sinnvolle Konsequenzen für die Nichteinhaltung schafft und so die Risiken für alle beseitigt werden. Die Zahl der Raketenstarts wird künftig wohl weiter zunehmen, viele staatliche und private Akteure haben ambitionierte Pläne, und damit steigt dann auch das Risiko, dass Raketenteile Menschen töten könnten. Umso wichtiger sei jetzt ein kollektives Handeln der Weltgemeinschaft, um das zu ändern, mahnt das Forschungsteam.
(kie)
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