Spielende Kinder mit Drachen
Drachen und Strom. In diesem Bild bedeutet diese Kombination eher Gefahr. Aber in Zukunft könnten Drachen ihren Teil zum erneuerbaren Energie-Mix beisteuern. Bildrechte: imago/teutopress

Flugwindkraftanlagen Drachen, die Strom erzeugen

21. November 2022, 14:51 Uhr

Ein einzelner Flugdrachen könnte ein ganzes Dorf mit Strom versorgen, ohne die Landschaft so stark zu prägen wie ein Windrad. Eine Idee mit Zukunft?

Es gibt sicher nicht die eine Patentlösung für zukünftige Arten der Energiegewinnung. Nur eines dürfte allen klar sein: die Energie muss aus erneuerbaren Quellen stammen. Herkömmliche Windkraftanlagen sind ein Teil davon, bringen aber mehrere Probleme mit sich. Sie können bzw. dürfen nur auf einem kleinen Bruchteil der Fläche im Land aufgestellt werden. Sie benötigen viel Beton, Stahl und Abstand. Sie sind gebunden an ihren Standort. Sie erreichen die hohen Luftschichten mit den noch stärkeren Winden nicht. (Es sei denn, sie werden noch größer als derzeit.)

Rotation des Strom erzeugenden Drachens von EnerKite
Flugverlauf des Drachens: Erst bringt ihn ein rotierender Mast auf die nötige Höhe, dann fliegt er acht-förmige Kringel nach oben, während derer der Strom erzeugt wird. Schließlich wird der Drachen wieder etwas nach unten gezogen und die acht-förmigen Kringel beginnen von neuem. Bildrechte: EnerKite GmbH

All diese Probleme sieht ein Unternehmen aus Kleinmachnow bei Berlin bei seiner Art von Windkraftanlage nicht. Die Firma EnerKite setzt auf den Drachen (englisch "kite") bei der Stromerzeugung. Das Prinzip in Kurzform: Die Halteseile des Drachens sind in einer Trommel aufgewickelt. Wenn der Wind am Drachen zerrt, wickelt sich die Trommel ab, diese mechanische Rotationsenergie wandelt ein Generator in elektrische Energie um. Wenn der Drachen dann umgekehrt wieder heruntergezogen wird, ist nur ein kleiner Teil des Stroms nötig. Es entsteht ein deutlicher Stromüberschuss, der in der Anlage selbst gespeichert wird.

Die verschiedenen Phasen sind auch in einem Video vom sogenannten technischen Konzeptbeweis (englisch "proof of concept") zu sehen. Es beginnt mit dem Rotationsstart. Dann folgt eine Übergangsphase, bis der Drachen in Position zum "Ernten" ist. Diese Erntephase besteht dann aus mehreren acht-förmigen Schleifen, in dieser Zeit wird die Energie gewonnen. An passender Stelle mit wenig "Gegenwind" erfolgt die Rückholphase, woraufhin die nächste Erntephase starten kann, es sei denn, der Drachen muss ganz heruntergeholt werden, dann kommt es zur Landephase. Ziel ist natürlich, so wenige Starts und Landungen wie möglich zu haben und den Drachen so oft wie möglich in die Erntephase zu schicken. Im Video werden die Phasen erst kurz schematisch und dann ausführlich im Realbild gezeigt.

Ein Drachen zur Windkraftgewinnung der Firma EnerKite beim Testflug 3 min
Bildrechte: EnerKite GmbH
3 min

Do 17.11.2022 15:33Uhr 02:47 min

https://www.mdr.de/wissen/videos/video-enerkite-proof-of-concept-100.html

Rechte: MITTELDEUTSCHER RUNDFUNK

Video

Das erste marktreife Modell von EnerKite soll eine Leistung von 200 Kilowatt haben, was natürlich nicht mit großen Windrädern vergleichbar ist. Dafür sollen andere Vorteile überwiegen: Der Drachen gelangt auch in starke Winde in bis zu 300 Metern Höhe, ist wegen seiner Ultraleichtbauweise im Gegensatz zu großen Windrädern aber auch bei niedrigen Windstärken einsatzbereit. Er kann mit Hilfe des rotierenden Mastes sogar dann gestartet werden, wenn am Boden Windstille herrscht. Und die gesamte Anlage passt in einen herkömmlichen Transport-Container, kann also bei Bedarf auch per Lkw an einen anderen Standort umgesetzt werden.

Langes Tüfteln

Am Beispiel von EnerKite sieht man allerdings auch, dass solche Ideen nicht von heute auf morgen umgesetzt werden können. Hinter dem recht schnell erklärten Prinzip steckt eine Menge Technologie, denn alles muss am Ende automatisch ablaufen, ohne dass irgendein Techniker ein Knöpfchen drückt. Dazu bedarf es zum Beispiel mehrerer Sensoren am Drachen und einer ausgeklügelten Software in der Steuerungseinheit.

Außerdem müssen die aerodynamischen Eigenschaften des Ultraleicht-Drachens möglichst perfekt sein. Hierbei hilft die große Erfahrung des technischen Leiters Christian Gebhardt beim Drachenbau, er selbst war einst Weltmeister im Speed-Kiting.
Und was die Materialien für Drachen, Seile und Steuerungseinheit angeht, sind geringes Gewicht, aber große Robustheit gefordert. Da steckt eine Menge Wissenschaft drin, weshalb EnerKite eine Kooperation mit der BTU Cottbus-Senftenberg und dem Fraunhofer PYCO (Polymermaterialien und Composite) eingegangen ist.

Die Entwicklung dauert nun schon mehrere Jahre, aber es zeichnen sich Erfolge ab. Mit Hilfe von Fördergeldern, Investitionen und eines Crowdfundings soll es nun an die Produktion eines Prototypen gehen. "Unser Businessmodell wurde für schlüssig befunden, die Konstruktionszeichnungen für den Prototypen liegen bereit, die Produktionshalle in Brandenburg ist gefunden und der Pilotbetrieb mit Kunden ist geplant", heißt es bei EnerKite.
Gleichzeitig laufen aber auch noch die Suche nach weiteren Investoren und ein Crowdfunding auf der Plattform "Funder Nation".

Dörfer, Inseln, Tankstellen

Momentan seien die stockenden Lieferketten das größte Problem, erzählte uns EnerKite-Geschäftsführer Florian Breipohl, deshalb seien Zukunftspläne schwierig zu datieren. Aber nach jetzigem Stand soll der Prototyp im Jahr 2023 fertig sein. Dann wird er 2024 nochmal durch einen anderen Mast verbessert. Und 2025, so das derzeitige Ziel, könnte der Betrieb bei den ersten Pilotkunden aufgenommen werden. Wenn das alles klappt, soll 2026 oder 2027 die Markteinführung mit Serienreife kommen.

Denkbar sind in dieser Zukunft dann mehrere Einsatzgebiete, deren Vorteil vor allem in der Dezentralität liegt. Inseln und abgelegene Gebiete könnten sich zum Beispiel per Drachen mit Strom versorgen. Auch kleine Dörfer und Kommunen könnten sich so unabhängig vom Stromnetz machen. Und auf dem Land sind dann Tankstellen für E-Autos denkbar, die vom Drachen mit Strom gespeist werden.

An diesen Beispielen sieht man, dass es bei so einer Art von Windkraftwerk nicht um flächendeckende Abdeckung geht, sondern um eine Ergänzung zu anderen Energiequellen. Andererseits sollen 200 Kilowatt Nennleistung auch noch nicht das Ende der Fahnenstange sein. Nächstes Ziel ist ein Drachen, der ein Megawatt liefern kann. Irgendwann sind laut EnerKite auch vier Megawatt denkbar, was den Leistungsvergleich mit großen Windrädern nicht mehr zu scheuen bräuchte – bei deutlich niedrigeren Kosten. Die Firma aus Kleinmachnow spricht von drei Cent pro Kilowattstunde, die ihr Drachenstrom in der zukünftigen Megawatt-Klasse nur noch kosten würde.

(rr)

Mehr Technik gegen den Klimawandel