Ein kleiner Junge steckt seinen Finger in ein Honigglas 1 min
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Zucker-Studie Schon im Mutterleib und als Kleinkind werden die Weichen für Diabetes und Bluthochdruck im Alter gestellt

03. November 2024, 13:36 Uhr

Eine bislang einzigartige sogenannte "natürliche" Studie kommt zu dem Schluss, dass deutlich weniger Zucker in den "ersten 1.000 Tagen" eines Menschen mit einem deutlich geringeren Risiko im Alter einhergeht, Diabetes und Bluthochdruck zu bekommen. Möglich wurde die Untersuchung, weil ein Teil der heute älteren Menschen im Vereinigten Königreich noch in Zeiten der Zucker-Rationierung geboren wurde.

Mann mit Brille und Kopfhörern vor einem Mikrofon
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1953 endete die Rationierung von Zucker und Süßigkeiten im Vereinigten Königreich, die zuvor fast durchgängig seit den Kriegsjahren bestanden hatte. Auf einen Schlag konnten die Menschen wieder so viel Süßes kaufen und zu sich nehmen, wie sie wollten und bezahlen konnten. Der Pro-Kopf-Zuckerverbrauch verdoppelte sich quasi über Nacht. Damals waren viele glückliche Gesichter zu sehen, vor allem bei Kindern. Und tatsächlich sind diese damaligen Kinder, die die Zeit der Rationierung gerade noch erlebt haben, auch heute noch in gewisser Weise "glücklicher" als die etwas später geborenen. Denn unter den "Rationierungskindern" waren im höheren Alter deutlich weniger Typ-2-Diabetes- und Bluthochdruck-Patienten als unter ihren etwas jüngeren Landsleuten, die keinerlei Rationierung zu spüren hatten.

Zu diesem Schluss kommen jedenfalls drei Foscherinnen und Forscher (Tadeja Gracner, Claire Boone, Paul Gertler) aus den USA und Kanada, die nicht einmal Mediziner, sondern Wirtschaftswissenschaftler sind. Aber Mediziner müssen sie auch nicht sein, denn alle für die Studie notwendigen Patienten-Daten von mehr als 60.000 Britinnen und Briten, die zwischen Oktober 1951 und März 1956 geboren wurden, waren bereits vorhanden, in der UK Biobank. Sie mussten nur noch ausgewertet werden.

Die ersten 1.000 Tage nach der Zeugung

Betrachtet wurden die sogenannten ersten 1.000 Tage in einem Menschenleben, womit die Zeit von der Zeugung bis zum zweiten Geburtstag gemeint ist. Die Forschungsgruppe unterteilte die Probanden in Gruppen, je nachdem, wie lange sie die Zuckerrationierung "erlebt" hatten: nur im Mutterleib oder im Mutterleib und den ersten Lebensmonaten (in sechsmonatiger Abstufung, bis hin zu 24 Monaten). Diese Gruppen mit Rationierungserfahrung wurden dann den ersten Gruppen gegenübergestellt, die erst nach Ende der Rationierung gezeugt und geboren wurden. Anschließend wurde alles noch so angeglichen, dass verschiedene Geschlechter, Wohnorte, Ethnien und einiges mehr wahrheitsgemäß repräsentiert war und daraus eine Schätzung erstellt.

Und die Ergebnisse sind recht Aufsehen erregend. Wer im Mutterleib und den ersten zwei Lebensjahren von der Zuckerrationierung betroffen war (also durchschnittlich halb so viel Zucker zu sich genommen hatte wie die Vergleichsgruppe), hatte als über-60-jähriger Mensch durchschnittlich ein um reichlich 20 Prozent niedrigeres Risiko für Bluthochdruck und sogar ein um mehr als 35 Prozent niedrigeres Risiko für Diabetes.

Und auch eine gewisse Stetigkeit konnte die Forschungsgruppe nachweisen: Je kürzer die Zeit, die jemand von der Zuckerrationierung betroffen war, umso höher war sein späteres Krankheitsrisiko. Dennoch hatten auch diejenigen, die die Rationierung nur im Mutterleib "erlebt" hatten, immer noch Vorteile gegenüber den noch später Geborenen ohne Rationierung. Die folgende Grafik zeigt das Risiko der verschiedenen Rationierungsgruppen im Vergleich zur Kontrollgruppe ganz rechts (Referenzwert 100 Prozent).

Typ-2-Diabetes und Bluthochdruck traten bei den Kindern, die der Rationierung in den ersten zwei Lebensjahren ausgesetzt waren, nicht nur deutlich seltener auf, sondern auch deutlich später im Leben, nämlich um vier (Diabetes) beziehungsweise zwei Jahre (Bluthochdruck). Auch da waren sogar noch Kinder im Vorteil, die von der Rationierung nur im Mutterleib betroffen waren.

"Diese Erkenntnisse sind überhaupt nicht überraschend", findet Rachel Lippert vom Deutschen Institut für Ernährungsforschung (DIfE) in Potsdam-Rehbrücke. Eine erhöhte Blutzuckerkonzentration der Mutter in der frühen Entwicklung stehe in deutlichem Zusammenhang mit Veränderungen des Gleichgewichts zwischen Glukose- und Insulinspiegel des Kindes im späteren Leben, so Lippert.

Sind die Ergebnisse frei von Zweifeln?

20 bis 35 Prozent weniger Risiko, zwei bis vier Jahre späteres Auftreten – das sind Werte, die aufhorchen lassen. Kann es sein, dass gar nicht der Zucker allein zu den Ergebnissen geführt hat? Stefan Kabisch, Studienarzt in der Klinik für Endokrinologie und Stoffwechselmedizin am Deutschen Zentrum für Diabetesforschung (DZD) an der Charité Berlin, befürchtet, dass es so sein könnte. "Überraschend ist die Größenordnung des Effekts, die dem Zuckerkonsum vor, in und nach der Schwangerschaft durch diese Analyse zugesprochen wird", sagt er. "Für Beobachtungsstudien ist eine Überschätzung eines Effekts nicht ungewöhnlich. Andere parallel verlaufende Lebensstilfaktoren (auf individueller und gesamtgesellschaftlicher Ebene) tragen gleichsinnig zu Gesundheitsrisiken bei, lassen sich aber bei einer solchen Studie nicht sauber abtrennen."

Immerhin haben die Studienautoren auch untersucht, wie sich im Beobachtungstzeitraum um 1953 der Verbrauch von anderen potenziell Diabetes- und Bluthochdruck fördernden Lebensmitteln entwickelt hat – aber konnten da außer bei Zucker, Süßigkeiten und gezuckerten Früchten keine übermäßigen Änderungen feststellen. Dennoch ist Stefan Kabisch skeptisch, was die Höhe der ermittelten Werte beim Risiko und verzögerten Auftreten betrifft. "Beide Aussagen sind zu deutlich, um allein an der Zuckerexposition rund um die Geburt zu liegen, so plausibel die Analyse auch ist", meint er. Prinzipiell lobt er die neue Arbeit trotzdem: "Die neuen Ergebnisse dieser großen Beobachtungsstudie passen insgesamt zum bisherigen Wissensstand."

Nachrichten

Ein Kind bei der Blutzuckermessung 23 min
Bildrechte: imago/PA Images

MDR AKTUELL Fr 29.10.2021 15:55Uhr 22:30 min

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WHO-Empfehlung: Nicht mehr als 50 Gramm Zucker pro Tag

Zur Einordnung der Zahlen: In Zeiten der Zuckerrationierung nahmen die Menschen im Vereinigten Königreich pro Kopf täglich etwa 40 Gramm freien zugesetzten Zucker zu sich. Mit Ende der Rationierung verdoppelte sich das schlagartig auf etwa 80 Gramm. Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) empfiehlt, dass man nicht mehr als 50 Gramm täglich zu sich nehmen sollte. Tatsächlich liegen wir in Deutschland aber bei etwa 90 Gramm.

Davon wieder "runter" zu kommen, ist einfacher gesagt als getan. "Zucker bedient unser Belohnungssystem ähnlich wie es klassische Suchtmittel tun", erklärt Stefan Kabisch. "Zu viele Lebensmittel enthalten künstlich zugesetzten Zucker, obwohl es technisch vermeidbar wäre. Das prägt unsere Geschmacksvorlieben selbst bei Produkten, die natürlicherweise gar keinen Zucker enthalten, etwa Wurstprodukte oder herzhafte Fertigmahlzeiten."

Und weil diese zuckerreichen Produkte in der Regel preiswerter als gesunde Speisen und Getränke sind, sei gerade für Menschen mit geringem Einkommen der Umstieg auf eine gesündere, zuckerarme Ernährung besonders schwierig, so Kabisch. Einen verlässlichen Grenzwert für unbedenklichen Zuckerkonsum hinsichtlich der langfristigen Stoffwechselrisiken gibt es nicht, sagt der Mediziner, aber: "Da Zucker kein essenzieller Nährstoff ist, ist die Empfehlung 'so wenig wie möglich' am ehesten praxistauglich."

Dieses Thema im Programm: MDR SACHSEN-ANHALT | 21. August 2024 | 14:03 Uhr

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