Altersforschung Länger leben: Versuchen Sie einfach, zehn Sekunden auf einem Bein zu stehen
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31. Oktober 2024, 16:07 Uhr
Wer auf einem Bein stehen kann, lebt länger. Schon zehn Sekunden entscheiden. Das Gleichgewicht zu halten, macht uns aber im Alter auch geistig fit. Wie man das am besten trainiert, erforschen Wissenschaftler in Magdeburg.
Wann haben Sie das letzte Mal auf einem Bein gestanden? Und wenn ja, wie lange haben Sie es geschafft? Was nach einem Kinderspiel klingt, ist in Wirklichkeit todernst, im wahrsten Sinne des Wortes. Denn es gibt einen Zusammenhang. Wer es nicht schafft, zehn Sekunden lang auf einem Bein zu stehen, hat ein fast doppelt so hohes Risiko, in den nächsten zehn Jahren zu sterben – verglichen mit Menschen, die zehn Sekunden durchhalten. Das hat der brasilianische Altersforscher Claudio Gil Araújo bereits vor zwei Jahren entdeckt. In diesem Jahr hat er mit einer neuen Studie nachgelegt. Sie zeigt, welchen Zusammenhang es zwischen unserer Flexibilität und dem gesunden, langen Leben gibt.
Es lohn sich also, fit zu bleiben. Und das gilt nicht nur für den Körper, sondern auch für den Geist. Den Zusammenhang untersuchen Sportwissenschaftler an der Otto-von-Guericke-Universität Magdeburg. Bereits die ersten Zwischenergebnisse ihrer aktuellen Studie, die noch bis Ende 2024 laufen soll, zeigen: Gezielte Trainingsprogramme können neuronale Ressourcen des alternden Gehirns stimulieren.
Können wir die Leistungsgrenzen unseres Gehirns verschieben?
"Unser Gehirn hat zwar natürliche Leistungsgrenzen, was das Gedächtnis, unsere Aufmerksamkeit und Sensomotorik angeht, aber durch Training können wir diese Grenzen in Teilen verschieben", erklärt Marco Taubert. Er ist Professor am Lehrstuhl Trainingswissenschaft, Schwerpunkt Kognition und Bewegung der Uni Magdeburg und Leiter der Studie. Gute Aufmerksamkeit und Sensomotorik können im Alter überlebenswichtig sein. Das hatte bereits Araújo in seiner Studie festgestellt. Fast 700.000 Personen sterben jedes Jahr weltweit an Stürzen, viele davon ältere Menschen. Einer der Gründe ist das "Defizit in der Gleichgewichtsleistung", wie es Taubert beschreibt.
Trainieren Sie Ihr Gehirn
90 Teilnehmerinnen und Teilnehmer zwischen 60 und 75 Jahren absolvierten für die Forschung in Magdeburg wöchentlich ein Gleichgewichtstraining mit unterschiedlichen Aufgabenanforderungen. "Es ist bereits bekannt, dass Gleichgewichtstraining Veränderungen in der Gehirnstruktur und -funktion hervorrufen kann", erzählt Prof. Marco Taubert. "Wir wollten aber überprüfen, ob ein auf den aktuellen Leistungsstand der Person angepasstes Gleichgewichtstraining das Gehirn besonders schnell oder stark zu strukturellen Veränderungen anregen kann."
Ein besonderes Testgerät sorgt dafür, dass die Forscher das individuell feststellen können, ein sogenanntes Stabilometer. Das Gerät besteht aus einer quadratischen Platte, die frei aufgehängt ist (siehe Video). "Mithilfe von Gewichten unter dem Gerät kann lässt sich die die Übungsstärke für jeden einzeln genau einstellen", so Taubert, denn die Voraussetzungen seien bei jedem Probanden anders. Er vergleicht das mit einem Fahrradergometer. Nehmen sie als Ziel eine Pulsfrequenz von 150. Einer schafft das mit einem Energieeinsatz von 100 Watt, der andere braucht 200."
Bereits die ersten Auswertungen der Daten von 30 Versuchspersonen zeigen: Unter- aber auch Überforderung beim Training bringen weniger Effekte für die motorischen Leistungen. Die Gleichgewichtsaufgaben müssen also optimal abgestimmt sein. Und sie sollen auch in Alltagsübungen überführt werden, die man ohne teure Spezialgeräte aus der Wissenschaft wie den Stabilometer ausführen kann, so Taubert. Am nächsten komme dem das Laufen auf einer Slackline. Aber ihm ist auch klar, dass das Balancieren auf einem Spanngurt nicht für jedermann geeignet ist.
Die Ergebnisse der Hauptuntersuchung an 60 Versuchspersonen würden aktuell noch ausgewertet. Sie sollen Aufschluss darüber geben, wie sich das optimierte Gleichgewichtstraining auf die Gehirnstruktur und -funktion auswirkt. Die Forscher erhoffen sich einen Transfereffekt, sowohl körperlich als auch geistig: Wenn ich diese Gleichgewichtsübungen kann, wo hilft mir das dann noch? "Wenn wir die Anpassungsprozesse in unserem Gehirn besser verstehen", so Taubert, "können wir langfristig maßgeschneiderte Trainingsprogramme entwickeln, die unser Gehirn ein Leben lang unterstützen und damit unsere Gesundheit und Lebensqualität erhalten oder verbessern."
Seit 15 Jahren arbeiten die Forscher in der Uni Magdeburg bereits am Thema Gleichgewicht. Viele der Studie sind bereits veröffentlicht worden. Immer wieder geht es dabei um Veränderungen im Gehirn, aber auch um bessere Trainingseffekte im Hochleistungssport. Ob die aktuelle Untersuchung zur Veröffentlichung in einer Fachzeitschrift angenommen wird, ist derzeit noch offen, so Sportwissenschaftler Taubert. Die Ergebnisse werden dennoch ihren Weg in die Öffentlichkeit finden. Die Forscher planen, sie im Juli 2025 auf dem European College of Sport Science in Glasgow vorzustellen, dem größten Kongress für Sportwissenschaften in Europa.
Links/Studien
Das Forschungsprojekt ist Teil eines Sonderforschungsbereiches SFB 1436: Neuronale Ressourcen der Kognition. Mehr als 40 Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler untersuchen am Standort Magdeburg und darüber hinaus in insgesamt 22 Einzelprojekten, welches Potenzial das menschliche Gehirn hat und welche neurobiologischen Prozesse es daran hindern, es auszuschöpfen.
Die Studie von Claudio Gil Araújo "Successful 10-second one-legged stance performance predicts survival in middle-aged and older individuals" erschien 2022 im British Journal of Sportsmedicine.
Die Studie Assoziationen zwischen Wortgedächtnis und einbeiniger Gleichgewichtsleistung erschien im Dezember 2020 im Magazin Experimentelle Gerontologie.
Prospektiver Zusammenhang zwischen Gleichgewicht im Stehen und kognitiver Funktion bei chinesischen Erwachsenen mittleren und höheren Alters, ist im September 2022 in Frontiers in Psychology erschienen.
gp
Dieses Thema im Programm: ARD Audio | 22. März 2024 | 15:02 Uhr
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