Internationaler Tag des Versuchstieres Warum die Forschung weiter auf Tierversuche setzt
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24. April 2025, 14:43 Uhr
Ob es um Medikamente gegen Brustkrebs geht, um jährlich millionenfach eingesetzte Narkosemittel oder um Impfstoffe gegen Corona: Sie alle wurden mit Hilfe von Tierversuchen entwickelt. Doch die biomedizinische Forschung ohne Tiere entwickelt sich weiter, neue Hightech-Methoden kommen hinzu – was Forderungen lauter werden lässt, auf Tierversuche zu verzichten. Doch ist ein Ausstieg aus der Forschung mit Tieren überhaupt vorstellbar?
Mehr als eine Million Mäuse, Fische, Kaninchen oder auch Affen werden jedes Jahr in Versuchen eingesetzt. Ist das noch zeitgemäß? "Forschung arbeitet zwangsläufig mit Modellen, so auch die biomedizinische Forschung", erläutert Stefan Hippenstiel, Professor für Infektiologie und Pneumologie an der Charité in Berlin. In der Humanmedizin könne man bestimmte Dinge aus ethischen und praktischen Gründen nicht untersuchen – und greife deswegen zum Tiermodell.
Zwar gebe es Alternativen wie Computer-Simulationen und 3D-Zellkulturen. Aber wenn es um das Zusammenspiel im Körper gehe, etwa die Erforschung von Nerven- oder Immunsystem, dann stießen diese an Grenzen. Deswegen seien dafür Tierversuche nötig, ergänzt Roman Stilling von der Initiative "Tierversuche verstehen".
Gaby Neumann vom Verein "Ärzte ohne Tierversuche" hält dagegen: "Tierversuche sind eine sehr veraltete Methode." Die Forschung tue sich schwer mit neuen Methoden, weil Tierversuche eine lange Tradition hätten und junge Forschende kaum in tierversuchsfreien Verfahren ausgebildet würden.
Sinkende Zahl an Versuchstieren in Deutschland
Die Zahl der eingesetzten Tiere in Deutschland sinkt laut dem Bundesinstitut für Risikobewertung seit einigen Jahren. 2023 waren es rund 2,13 Millionen Wirbeltiere und Kopffüßer. Mit Abstand am häufigsten wurden Mäuse (1,64 Millionen), aber auch Zebrafische (142.000), Kaninchen (68.000), Haushühner (14.000) und Schweine (11.000) eingesetzt.
Auch Affen werden verwendet, aber deutlich seltener. Vor allem handelte es sich dabei um Javaneraffen (1.479), Marmosetten und Tamarine (159) sowie Rhesusaffen (87). Menschenaffen – also Schimpansen, Bonobos, Gorillas und Orang-Utans – werden in der Europäischen Union nicht für Tierversuche gezüchtet oder gehalten. Laut Roman Stilling von der Initiative "Tierversuche verstehen" dürften Versuche an Menschenaffen weltweit eingestellt worden sein.
Wofür werden Versuchstiere eingesetzt?
Die meisten Tiere werden für die Grundlagenforschung und angewandte Forschung genutzt, andere für Qualitätskontrolle und Giftigkeitsprüfungen. Das geht aus dem aktuellen "Kompass Tierversuche" hervor. So wurden beispielsweise auch die Sicherheit und Wirksamkeit der ersten mRNA-Impfstoffe in Europa gegen das Coronavirus an Tieren überprüft.
Warum vor allem Mäuse für Versuche verwendet werden, hat vor allem praktische Gründe. Ihre Haltung ist nicht so aufwendig wie die von Großtieren – sie sind günstig und gut zu handhaben. Außerdem pflanzen sie sich sehr schnell fort. Hinzu kommt die Gewohnheit: Weil schon so lange an Mäusen geforscht wird, haben Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler viele Daten und viele molekulare Werkzeuge für diese Forschung. Und nicht zuletzt: Man fand früh heraus, wie man Mäuse genetisch manipulieren kann.
Mit Abstand häufigster Versuchszweck bei Affen ist, neue Arzneimittelkandidaten zu testen, ehe sie erstmals Menschen gegeben werden. Dabei geht es vor allem um mögliche Nebenwirkungen bei wiederholter Gabe sowie um mögliche Schäden während der Entwicklung eines Kindes im Mutterleib.
Kaninchen wurden bisher eingesetzt, um etwa zu testen, ob Arzneimittel mit Substanzen verunreinigt sind, die Fieber auslösen können.
Nicht überall sind Tierversuche erlaubt
Doch es gibt bereits Bereiche, in denen Tierversuche verboten sind, etwa bei der Entwicklung von Kosmetika und Waschmittel. "Die Leitidee ist: Wir wollen kein Tierleid für Luxus", so Roman Stilling. Aber: Im Zuge des Arbeitsschutzes könnten trotzdem Tierversuche angeordnet werden.
Ebenso unzulässig ist es, Tiere zu verwenden, um Waffen und Munition herzustellen und zu erproben. Das Gleiche gilt für Tabakerzeugnisse. Doch um die Gefahren, die davon ausgehen, zu erforschen, finden laut Gaby Neumann vom Verein "Ärzte ohne Tierversuche" noch Tierversuche statt. So müssten beispielsweise Tiere bei Rauchversuchen stundenlang Zigarettenrauch einatmen.
Geht es nicht auch ganz ohne Tierversuche?
2010 hatte die EU das Ziel ausgewiesen, Tierversuche schrittweise und letztlich vollständig zu ersetzen. Einen Ausstiegsplan gibt es aber nicht. Viele Forschende und Forschungseinrichtungen argumentieren, Tierversuche sollten erst dann durch tierversuchsfreie Methoden abgelöst werden, wenn es wissenschaftlich möglich ist. In einem aktuellen Schritt werden etwa bestimmte Medikamententests, die sogenannten Kaninchen-Pyrogentests, zum 1. Juli 2025 komplett durch tierfreie Alternativen ersetzt.
Auch die Europäische Bürgerinitiative (EBI), die mehr als 1,2 Millionen Unterschriften sammelte, forderte unter anderem einen Masterplan zum Ausstieg aus Tierversuchen mit konkreten Zielvorgaben. Die EU-Kommission antwortete, sie habe in den vergangenen 20 Jahren mehr als eine Milliarde Euro in die Entwicklung, Validierung und Einführung von Alternativen zu Tierversuchen investiert.
Doch was wäre, wenn Deutschland eigenständig ein Verbot beschließen würde? Die zuständige Kommission der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) erklärte 2022 in einem Thesenpapier: "Ein grundsätzliches Verbot von Tierversuchen bewirkt nicht gleichzeitig das Ende der Notwendigkeit von Tierversuchen." Dann seien Forschende in Deutschland von der biomedizinischen Forschung in anderen Ländern abhängig – und dort habe man keinen Einfluss darauf, wie es den Versuchstieren geht.
Tierversuchsfreie Alternativen bieten enormes Potenzial
Tierversuchsfreie Methoden gewinnen an Bedeutung, darunter Organ-Chips, Zellkulturen und computergestützte Modelle. "Zum Beispiel verwenden wir eine Alternativmethode aus künstlichen menschlichen Herzmuskelzellen", sagt Charité-Forscher Stefan Hippenstiel. "Damit kann man untersuchen, wie sich Medikamente auf Herzmuskelzellen auswirken. Aber die Methode ist völlig ungeeignet, um zu zeigen, wie sich eine mitwachsende Herzklappe verhält." Dazu sei ein Großtier nötig, das leben und wachsen müsse.
Außerdem werden vermehrt Mini-Organe gezüchtet, an der Charité etwa Mini-Lungen. "Die sind noch nicht perfekt, sie haben keinen Blutkreislauf, atmen nicht, bewegen sich nicht, dort können keine Zellen aus anderen Organen einwandern", so Hippenstiel. Als Modell seien diese Mini-Organe für bestimmte Forschung gut – und für andere eben nicht.
Gaby Neumann von "Ärzte gegen Tierversuche" hingegen meint: "Das Potenzial dieser modernen Methoden ist enorm. Und der entscheidende Vorteil zum Tierversuch ist, dass sie auf menschlichen Daten und Zellen basieren. Also für den Menschen relevante Ergebnisse liefern."
Einig sind sich die verschiedenen Ärzte und Wissenschaftler darin, dass 3D-Humanmodelle und Stammzelltechnologien zunehmend wichtiger werden. In solche technischen Innovationen sollte viel mehr investiert werden, doch derzeit werde zu wenig Geld bereitgestellt, um die Forschung rasch voranzutreiben.
Links/Studien
"Kompass Tierversuche 2024" der Initiative "Tierversuche verstehen"
Europäische Bürgerinitiative (EBI) "Für den Schutz kosmetischer Mittel ohne Tierquälerei und ein Europa ohne Tierversuche"
Antwort der EU-Kommission auf die Forderung der Europäischen Bürgerinitiative (EBI)
Thesenpapier der Kommission der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) zu Tierversuchen
pm
Dieses Thema im Programm: 3sat | nano | 24. April 2025 | 18:30 Uhr
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