Symbolbild Corona- Covid-19 Schnelltest in der Corona Zeit mit Long Covid Schriftzug aus Buchstaben.
Für einen Teil der an Covid-19 erkrankten folgt auf die akute Krankheitsphase keine Genesung. Bildrechte: IMAGO/Martin Wagner

Leopoldina Forschung identifiziert 4 Hauptursachen für Long Covid

06. Februar 2023, 10:14 Uhr

Long Covid ist eine Erkrankung mit vielen Gesichtern: Die Betroffenen leiden an sehr unterschiedlichen Symptomen verschiedener Schwere. Doch nicht nur deshalb stellt Long Covid die Forschung vor viele Rätsel, die nur langsam entschlüsselt werden können. Und das, obwohl Erkrankungen infolge von Infektionen nichts Neues für die Medizin sind. Auf einer Veranstaltung der Nationalen Akademie der Wissenschaften Leopoldina haben führende Fachleute jetzt den aktuellen Stand der Forschung besprochen.

Long Covid ist eigentlich eher ein Überbegriff als die Bezeichnung einer konkreten Erkrankung. Er beschreibt das Phänomen, dass bei einigen Menschen, die an Covid-19 erkrankt sind, Wochen oder sogar Monate nach der akuten Phase der Infektion noch Symptome auftreten. Diese Symptome sind vielfältig und teils sehr unterschiedlich: Unter anderem wurden etwa kognitive Dysfunktionen, Atemnot, Herzprobleme, Geruchs- und Geschmacksstörungen, Schlaflosigkeit oder Fatigue beschrieben. Ein Teil der Betroffenen entwickelte sogar schwere Erkrankungen wie die Myalgische Enzephalomyelitis bzw. Chronic Fatigue Syndrome (ME/CFS). Um die Mechanismen hinter der schwer zu behandelnden Erkrankung Long Covid besser zu verstehen, haben Forscherinnen und Forscher weltweit zahlreiche Untersuchungen auf den Weg gebracht.

Vier Hauptursachen für Long Covid

Bei einem virtuellen Panel der Leopoldina haben sich einige Fachleute über den aktuellen Stand der Forschung zu Long Covid ausgetauscht. Dabei erläuterte Akiko Iwasaki, Professorin für Immun-, Molekular- und Zellbiologie an der Yale University, dass auch von vielen anderen Viren, Bakterien und Parasiten bekannt sei, dass sie ähnliche Symptome und chronische Erkrankungen verursachen können wie Sars-CoV-2. Die zugrunde liegenden Ursachen und Mechanismen dürften sich wahrscheinlich bei vielen dieser Krankheitserreger ähneln. Und dennoch, so Iwasaki, ist Long Covid kein eindeutiges Krankheitsbild, sondern tritt in verschiedenen Ausprägungen auf. Diese verschiedenen Endotypen müssten jeweils individuell verstanden werden.

Auf einem Krankenschein steht der Schriftzug Long Covid.
Long Covid-Betroffene können häufig nicht mehr normal arbeiten. Bildrechte: imago images/Steinach

Iwasaki erläutert, dass ihr Forschungsteam mittlerweile vier Hauptursachen für Long Covid verfolge. Die erste Ursache ist ein Virusreservoir. Das bedeute, dass das Virus weiterhin im Körper steckt und sich dort repliziert, wodurch es eine chronische Infektion verursacht. Eine zweite Ursache sei, so Yale-Professorin Iwasaki, dass die Covid-Erkrankung eine Autoimmunität im Körper akut triggert. Das sei so auch bei anderen Viren wie etwa dem Epstein-Barr-Virus zu beobachten. Die dritte Hauptursache für Long Covid liege in der Reaktivierung anderer Viren, die wir bereits im Körper tragen und die dadurch aktiviert werden. Das könnten etwa Herpes-Viren sein, erläutert die Immunbiologin. Die vierte Hauptursache betreffe vor allem Menschen, die in der Akutphase schwer erkrankt waren. Sie zeigten Gewebeschäden und -fehlfunktionen. Diese Ursachen treten keinesfalls immer isoliert voneinander auf, bemerkt Iwasaki. Sie könnten durchaus auch gemeinsam, überlappend oder sequenziell beobachtet werden.

Forderung nach mehr klinischen Studien

Für die Forschung bedeute das, dass dringend Biomarker identifiziert werden müssen, um die Erkrankten individuell und effizient behandeln zu können, so Iwasaki. Bisher kratze man erst einmal an der Oberfläche, um überhaupt die Mechanismen hinter Long Covid zu verstehen. Deshalb brauche es neben der wichtigen Grundlagenforschung auch mehr Arbeit an tatsächlichen Therapien und klinische Studien.

Eine Wissenschaftlerin, die sich täglich mit Long Covid-Patienten und ihrer Therapie auseinandersetzt, ist die Charité-Professorin Carmen Scheibenbogen, Kommissarische Direktorin des Instituts für Medizinische Immunologie. Sie ist vor allem Expertin für das Chronische Fatigue Syndrom ME/CFS. Auch sie fordert mehr klinische Studien und mahnt auch die Pharmaindustrie zur besseren Mitarbeit. Auch die müsse sich mehr bemühen, schnell Medikamente zu entwickeln. Scheibenbogen erklärt, dass die ersten kleinen klinischen Studien vielversprechende Ergebnisse geliefert hätten. So spielten offenbar Autoantikörper – also vom Immunsystem gebildete Antikörper, die sich gegen den eigenen Körper richten – eine Rolle, die für Entzündungen sorgen, wie etwa entzündete Blutgefäße. Therapien und Medikamente, die solche Entzündungsreaktionen gezielt behandeln, könnten also helfen, so Scheibenbogen.

Bei ME/CFS sei jedoch unklar, welche Therapie dem jeweils spezifischen Patienten helfe. Deshalb müsse sie bei ihrer Forschung häufig Patienten vor allem dann genau untersuchen, wenn ihr Zustand besser wird, um entsprechende Biomarker zu finden, erläutert die Professorin. Und Scheibenbogen macht deutlich, dass ME/CFS eine Folge der akuten Corona-Erkrankung sein kann. Die Krankheit sei auch nicht so schwer zu diagnostizieren, wie häufig behauptet werde, wenn man die Symptome kenne. Allerdings seien viele Ärztinnen und Ärzte bis heute nur wenig vertraut mit dem Syndrom, obwohl es seit 1969 von der Weltgesundheitsorganisation als neurologische Erkrankung klassifiziert ist.

Impfung verringert Long Covid-Risiko

Die Fachleute auf dem Leopoldina-Panel mahnen auf Nachfrage an, die biologischen Ursachen für Long Covid ernst zu nehmen. Immer wieder werde behauptet, dass die Erkrankung vor allem psychosomatisch sei. Zwar könnten psychosomatische Symptome Teil von Long Covid sein, sagt etwa Charité-Professorin Scheibenbogen, aber es sei ganz generell keine psychosomatische Erkrankung. Es sei eher die schwierige Situation, in der sich die Betroffenen befänden, die zu solchen Symptomen führe.

Yale-Forscherin Iwasaki verweist auf die Untersuchungen ihres eigenen Forschungsteams, die gezeigt hätten, dass allein die immunologischen Merkmale der Betroffenen Long Covid mit 96-prozentiger Sicherheit vorhersagen konnten. Auch sie sieht psychosomatische Symptome eher als Folge denn als Ursache für Long Covid und warnt: Dieses Narrativ könne sogar schädliche Auswirkungen auf die Behandlung von Patientinnen und Patienten sowie die weitere Forschung haben.

Long Covid
Long Covid hat eindeutig biologische Ursachen. Bildrechte: IMAGO/Bihlmayerfotografie

Der isrealische Forscher Michael Edelstein, Außerordentlicher Professor für Epidemiologie und öffentliche Gesundheit an der Bar-Ilan-University, verweist ebenfalls auf biologische Ursachen. Das sei auch angesichts der Tatsache, dass es überall auf der Welt die gleichen Muster gebe, plausibel. Wäre Long Covid eine rein psychosomatische Erkrankung, gäbe es aufgrund unterschiedlicher Kontexte kein so konsistentes Bild von Südostasien bis nach Nordamerika.

Edelstein verweist in seinen Ausführungen auch auf die Impfung und ihren Einfluss auf das Long Covid-Risiko. So haben demnach Analysen gezeigt, dass die Impfung das Risiko, an Long Covid zu erkranken, verringere. Der Forschungsstand lege nahe, dass das Risiko mindestens zweifach Geimpfter um 25 bis 30 Prozent verringert sei. Seine eigene Forschungsarbeit habe außerdem gezeigt, dass es einen Zusammenhang zwischen der Schwere der akuten Erkrankung und Long Covid gibt, so Edelstein: Je schwerer die akute Infektion, desto höher sei das Risiko. Da eine Impfung wiederum das Risiko für einen schweren Akutverlauf senke, verringere sie also allein dadurch schon das Long Covid-Risiko, so der Forscher. Wobei die Daten nahelegten, dass die Wirkung auch in dieser Hinsicht mit der Zeit nachlasse.

Links

Ein Mitschnitt des Expertengespräch der Leopoldina "Understanding Long Covid" ist auf der Website der Nationalen Akdademie der Wissenschaften und dem Youtube-Kanal zu finden. (Englisch)

(kie)

Wissen

 Das Forschungsteam (v.l.): M. Sc. Stefanie Linnhoff, Studienleiterin Magdalena Mischke und Prof. Dr. phil. Tino Zähle, Arbeitsgruppenleiter der Abteilung für Neuropsychologie an der Universitätsklinik für Neurologie der Otto-von-Guericke-Universität Magdeburg.
Das Forschungsteam (v.l.): M. Sc. Stefanie Linnhoff, Studienleiterin Magdalena Mischke und Prof. Dr. phil. Tino Zähle, Arbeitsgruppenleiter der Abteilung für Neuropsychologie an der Universitätsklinik für Neurologie der Otto-von-Guericke-Universität Magdeburg. Bildrechte: Sarah Kossmann/UMMD

Dieses Thema im Programm: MDR S-ANHALT | SACHSEN-ANHALT-HEUTE | 24. Januar 2023 | 19:00 Uhr