Ein Kind hält bei einer Demonstration des Bündnisses «Bildungswende jetzt!» während der Jugend- und Familienministerkonferenz (JFMK) ein Plakat mit der Aufschrift «Wir wollen unsere Zukunft mitgestalten!». 4 min
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Leben mit der Klimakrise Zusammenhalt & Konsens: Diese Faktoren entscheiden, ob wir Krisen gesellschaftlich überleben

07. November 2024, 16:52 Uhr

Eine internationale Studie des Complexity Science Hub Wien hat untersucht, warum manche Gesellschaften sogenannte Polykrisen besser überstanden als andere und was das für uns bedeutet. Erfolgreich überwundene Mehrfachkrisen verbindet dabei besonders ein Faktor.

Krieg in der Ukraine, im Gazastreifen, Artensterben, Wirtschaftskrise, Inflation, Ampel-Aus, Trump-Wahl und eine Klimakrise, die alle betrifft: Wohin man schaut, es gibt in der Welt viele Anlässe zur Sorge. Mehrfachkrisen, die sich teilweise gegenseitig begünstigen, treffen uns gleichzeitig. In der Geschichte führten Klimakatastrophen mitunter zu sozialen Unruhen, Aufständen oder sogar zum Kollaps. Andere Gesellschaften hingegen reagierten resilient auf solche Situationen und gingen gestärkt daraus hervor. Der Blick in die Vergangenheit kann dabei helfen, die richtigen Reaktionen abzuleiten.

Datenbank für Krisen

Ein internationales Team um die Wissenschaftler Peter Turchin und Daniel Hoyer vom Complexity Science Hub Wien hat über 150 Krisen in der Geschichte untersucht. Dafür haben sie die Datenbank "Crisis Database" geschaffen, die Krisen mit klimabedingten Ursachen sammelt. Hoyer sagt dazu: "Wir beobachten, dass nicht jeder klimatische Schock oder jede Anomalie einen Kollaps oder gar eine Krise verursacht, genauso, wie nicht jeder Krise ein klimatischer Stressfaktor zugrunde liegt." Was also löst Krisen aus und was treibt positive Veränderungen an?

Die Qing in China

Das Team um Hoyer und Turchin untersuchte die Zeit der langlebigen chinesischen Qing-Dynastie, die von 1644 bis 1912 herrschte. Unter ihrer Herrschaft erreichte China seine größte Ausdehnung. Die Qing schafften es in der ersten Hälfte der Herrschaft gut, mit klimatisch bedingten Widrigkeiten wie Hungersnöten umzugehen. Die Herrscher legten Getreidespeicher an, um die Armen zu versorgen. Das sorgte für Stabilität und Frieden: Der gesellschaftliche Kitt war stark genug, um diese schwierigen Zeiten zu überstehen.

Doch dann gelang es den Qing nicht mehr, die Krisen zu bewältigen. Denn der gesellschaftliche Aufstieg wurde durch komplizierte Bürokratie verhindert. Der Unmut wuchs, weil sich die herrschende Schicht abkapselte. Eine Gruppe um gescheiterte Anwärter auf Regierungsämter begehrte auf, das soziale Klima kippte. Obwohl die (wetter-) klimatische Lage ähnlich war wie in früheren Zeiten, gelang es den Behörden auf einmal nicht mehr, die Versorgung sicherzustellen, es kam zu Revolten und schließlich zum Ende der Qing-Dynastie.

Beständige Osmanen

Als weiteres Beispiel zieht das Forscherteam das Osmanische Reich heran. Dieses mächtige und großflächige Reich hatte im Laufe seines Bestehens seit 1299 immer wieder mit schwierigen Umweltbedingungen zu kämpfen. Die kleine Eiszeit in Europa im 16. Jahrhundert sorgte für niedrige Temperaturen und – damit einhergehend – für Dürren, schlechte Ernten, Hungersnöte und die Verbreitung von Krankheiten.

Dazu kamen innere Spannungen durch Unabhängigkeitsbestrebungen in Anatolien. Obwohl diese gewaltsam unterdrückt werden mussten und die Sterblichkeit wegen des Temperatursturzes hoch war, trug die Bevölkerung die Anstrengungen mit. Es gab einen gesellschaftlichen Konsens, dass zusammengehalten werden musste. So konnten die Menschen im Osmanischen Reich diese Krisen gemeinsam bewältigen.

Zentral hierfür war das Funktionieren des Staates, der die Versorgung der Bedürftigen und der Trinkwasser-Infrastruktur gewährleistete. Die Unterstützung der Armen und Schwachen wurde so lange gewährleistet, bis die klimatischen Bedingungen sich besserten. Dadurch konnte das Osmanische Reich bis ins 20. Jahrhundert bestehen.

…und die Zapoteken in Mexiko

Die Zapoteken gehören zur Urbevölkerung Mexikos und bewohnten den Süden des Landes. Die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler untersuchten eine Höhensiedlung des Volkes am Berg Monte Albán. Im 9. Jahrhundert kam es in dieser Siedlung zu einem Bevölkerungsschwund. Lange dachte man in der Forschung, die Gründe dafür waren Krieg oder Dürre.

Doch neuere Forschungsergebnisse ließen darauf schließen, dass die klimatischen Bedingungen über Jahrhunderte ähnlich schlecht waren. Grund für die Umsiedlungen war zunehmende soziale Ungleichheit. Die Konzentration der Macht bei wenigen Eliten, was sich auch an größeren Häusern einiger Zapoteken zeigte, gab den Ausschlag. Der Zugang zu Ressourcen und Land war im Ungleichgewicht, die Abwanderer siedelten in kleineren Gemeinschaften in der Nähe.

Was lernen wir daraus?

Die unterschiedlichen Reaktionen der drei Gesellschaften zeigen, was zentral ist für das Überstehen von bzw. das Scheitern an sozialen und klimatischen Stressoren. Gelingt es einer Gesellschaft nicht, in schwierigen Situationen Kooperation und Zusammenhalt zu bewahren, kann es zu schwerwiegenden Krisen kommen. Das Beispiel der Zapoteken und der Untergang der Qing stehen sinnbildlich dafür.

Das Osmanische Reich dagegen bewährte sich auch angesichts klimatischer und sozialer Herausforderungen. Essenziell dafür waren funktionierende staatliche Strukturen und ein sozialer Konsens, Anstrengungen zu unternehmen, um der Herausforderungen Herr zu werden.

Die Studie verdeutlicht, dass die aktuelle Herausforderung der Klimakrise nur als gesamtgesellschaftliche Anstrengung bewältigt werden kann. Es muss einen Konsens geben, dass alle dazu beitragen müssen, Emissionen zu reduzieren und durch Steuergelder Investitionen in Zukunftstechnologien zu finanzieren. Sonst drohen – in Verbindung mit weiteren Stressoren – Unruhen und Instabilität.

Die Forscherin Samantha Holder fasst den Schlüssel zur Krisenresilienz zusammen: "Es erfordert kollektives soziales Handeln. Wenn es einen hohen gesellschaftlichen Zusammenhalt und breiten Wohlstand sowie gutes Management von Ressourcen gibt, sind wir besser vorbereitet und resilient gegen die Auswirkungen von Mehrfachkrisen."

Links/Studien

Warum führen manche Umweltkatastrophen ins Disaster und andere nicht? Einen lesenswerten Artikel gibt es auf den Seiten des Complexity Science Hub Wien.

Dieser Artikel erschien erstmals zur Veröffentlichung der Studie im Dezember 2023

Dieses Thema im Programm: MDR KULTUR - Das Radio | 11. Oktober 2024 | 06:15 Uhr