Covid-19 Was aus Sicht der Wissenschaft für und gegen eine Corona-Impfpflicht spricht
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26. Januar 2022, 16:48 Uhr
Was spricht aus Sicht von Forscherinnen und Forschern für die Einführung einer Corona-Impfpflicht in Deutschland und wo gibt es Vorbehalte? Ein kompakter Überblick.
Inhalt des Artikels:
- Wissenschaftler einig: Impflücke muss geschlossen werden
- Kann eine Impflicht helfen, die Impflücke zu schließen?
- Rechtswissenschaft zum Grundgesetz: Ist eine Impfpflicht verfassungsgemäß?
- Impfpflicht: Welcher Kompromiss ist aus Sicht von Forschenden sinnvoll?
- Impflicht in Deutschland: Ende der Pandemie?
Der Bundestag debattiert über die Einführung einer Impfpflicht gegen Covid-19. Viele Argumente dieser Diskussion entstammen direkt verschiedenen wissenschaftlichen Disziplinen. Neben der Epidemiologie spielt auch die Rechtswissenschaft eine große Rolle. Und wie die Abgeordneten stehen auch Forscherinnen und Forscher je nach Fachrichtung einer Impflicht positiv oder skeptisch gegenüber.
Wissenschaftler einig: Impflücke muss geschlossen werden
Der Virologe Christian Drosten von der Charité hat im November mit einer Mitteilung beim Kurznachrichtendienst twitter zusammengefasst, worin sich die meisten Forscher einig sind: Die Impflücke in Deutschland muss dringend geschlossen werden, denn: Wer nicht geimpft ist und keine Infektion überstanden hat, kann schwer an Covid-19 erkranken.
Bislang waren es vor allem ungeimpfte, oder in der Fachsprache "immunnaive" Patienten, die aufgrund eines schweren Infektionsverlaufs auf einer Intensivstation behandelt werden mussten. Je mehr Menschen also noch keine Immunität aufgebaut haben, desto größer das Risiko, dass die Kliniken überlastet werden. Und das wird dann nicht nur für weitere Corona-Patienten zu einer Bedrohung, sondern auch für alle anderen Kranken und Verletzten, die eine Versorgung im Krankenhaus brauchen.
Daten aus Ländern wie Dänemark zeigen, je höher die Impfquote, umso niedriger die Belastung der Kliniken. Das gilt auch für die durch die Omikron-Variante ausgelöste gegenwärtige Infektionswelle, bei der sich viele Geimpfte und Genesene anstecken.
Zu diesen Infektionen kommt es, weil Omikron Antikörper umgehen kann, die Geimpfte oder Genesene gebildet haben. Aber der Schutz durch T-Zellen bleibt. Die sogenannte zelluläre Immunantwort schützt weiterhin viele Geimpfte davor, schwer an dem Virus zu erkranken.
Aus Sicht der allermeisten Forscherinnen und Forscher ist also völlig klar: Jede und jeder, die oder der sich gegen Covid-19 impfen lassen kann, sollte das auch tun. Und bei wem die Grundimmunisierung mindestens drei Monate her ist, der sollte auch die Booster-Impfung bekommen, da sich durch die dritte Dosis die Immunwerte weiter verbessern – auch wenn das im Fall der Omikron-Variante trotzdem nur eine relativ kurze Zeit vor einer Ansteckung schützt.
Kann eine Impflicht helfen, die Impflücke zu schließen?
Deutlich kontroverser sehen verschiedene Forscherinnen und Forscher, ob eine Impfpflicht dazu beitragen kann, die Impflücke zu schließen und falls ja, welche Form der Impfpflicht die am besten geeignete wäre.
Befürworter einer Impflicht argumentieren, eine solche Vorschrift könne Menschen helfen, ihr Gesicht zu wahren, wenn sie sich bisher vor Freunden und Bekannten gegen eine Impfung ausgesprochen haben und nun nicht als Umfaller dastehen wollen. Andererseits deuten Befragungen wie das Cosmo-Panel an, dass ein harter Kern von Impfgegnern sich auf gar keinen Fall impfen lassen will und im Falle einer Impfpflicht Mittel und Wege suchen wird, das Gebot zu umgehen, es juristisch zu bekämpfen oder sich anderweitig zu widersetzen.
Im Augenblick ist nicht klar, wie groß die Menge harter Impfgegner ist, die sich auch im Falle einer Pflicht nicht impfen lassen werden. Weil es aber Gegenden in Deutschland gibt, in denen die Impfskepsis besonders verbreitet ist, wird auch eine Pflicht wahrscheinlich nicht verhindern können, das zumindest regionale Impflücken bestehen bleiben.
Rechtswissenschaft zum Grundgesetz: Ist eine Impfpflicht verfassungsgemäß?
Bereits im Dezember hat Oliver Lepsius, Professor für Öffentliches Recht und Verfassungstheorie an der Universität Münster, im Gespräch die rechtlichen Hürden für eine Impfpflicht erklärt, die nun auch im Bundestag verhandelt werden. Ganz knapp zusammengefasst lässt sich sagen: Die Hürden sind hoch, da eine Impfpflicht das Recht zur Bestimmung über den eigenen Körper ("körperliche Unversehrtheit") berührt. Eine Impfpflicht ist rechtlich umso schwieriger umzusetzen, je weniger sich genau angeben lässt, wer sich wann wie oft impfen lassen muss, um selbst geschützt zu sein, seine Mitmenschen vor Ansteckung zu schützen oder das Gesundheitssystem zu entlasten.
Das Problem: Im bisherigen Verlauf der Pandemie haben Mutationen von Sars-Coronarviurs-2 alle paar Monate für einen neuen Sachstand gesorgt. Galten zu Beginn zwei Impfungen als ausreichend, müssen es inzwischen mindestens drei sein. Konnten drei Impfungen einen guten Schutz gegen alle Infektionen mit den Varianten vor Omikron bieten, stecken sich in der aktuellen Welle auch Geimpfte wieder an und geben das Virus weiter. Dass Impfungen trotzdem die Kliniken vor Überlastungen schützen, deutet sich in den verfügbaren Daten zwar an, kann aber noch nicht mit völliger Sicherheit belegt werden. Das alles macht eine allgemeine Impfpflicht juristisch angreifbar und könnte im schlechtesten Fall nach der Verabschiedung eines entsprechenden Gesetzes zu einer Klagewelle von Impfgegnern führen. Neben den Kliniken könnten so auch noch die Gerichte überlastet werden und nichts wäre gewonnen.
Das politische System steht in der aktuellen Situation vor einer grundsätzlichen Schwierigkeit. Beschluss und Umsetzung eines Gesetzes zur Impfpflicht benötigen einige Zeit. Gut möglich, dass bis zum Inkrafttreten einer Pflicht ein an Omikron angepasster Impfstoff verfügbar ist, der wieder hohen Schutz vor Ansteckung und Verbreitung des Virus bietet. In diesem Fall käme die Pflicht zur richtigen Zeit und stünde – zumindest für den Moment – auf einem soliden Fundament. Doch das lässt sich zum gegenwärtigen Zeitpunkt nur schwer voraussagen, genauso wenig, wie lange eine beschlossene Regel gültig bleiben könnte oder wieder angepasst werden müsste, angesichts neuer, nicht vorhergesehener Entwicklungen in der Pandemie.
Impfpflicht: Welcher Kompromiss ist aus Sicht von Forschenden sinnvoll?
Was bei einer allgemeinen Impfpflicht schwierig erscheint, sieht bei partiellen Impfpflichten anders aus. Je besser sich belegen lässt, ob eine Impfpflicht bestimmter Personengruppen einen nachweisbaren Nutzen für die gesamte Gesellschaft bringt, desto besser kann sie rechtlich umgesetzt und gegebenenfalls gegen Klagen verteidigt werden.
Das gilt nach derzeitigem Stand zum Beispiel für eine allgemeine Impfpflicht für alle über 50-Jährigen. Hier belegen Daten klar: Ungeimpfte Infizierte über 50 Jahren sind die Gruppe, die im Fall einer Infektion am häufigsten in Kliniken behandelt werden muss. Geimpft dagegen können sie ihre Erkrankung meistens zuhause auskurieren. Die Virologin Melanie Brinkmann vom Helmholtz-Zentrum für Infektionsforschung in Braunschweig schließt sich deshalb aktuell diesem Kompromissvorschlag an, der ebenfalls im Bundestag verhandelt wird.
Impflicht in Deutschland: Ende der Pandemie?
Eine Impfung beschleunigt den Weg in einen Zustand, in dem das Immunsystem der meisten Menschen eine Infektion mit Sars-CoV-2 kontrollieren kann und die Erkrankung nicht mehr potenziell lebensbedrohlich ist – auch wenn der Erreger noch zirkuliert und saisonale Infektionswellen verursacht.
Doch ein solcher stabiler Zustand lässt sich in einer internationalen Pandemie nicht in einzelnen Ländern isoliert erreichen, auch hier ist sich die Wissenschaft seit sehr langer Zeit einig. Dass reiche Länder wie die USA, Kanada und Australien oder Staatengemeinschaften wie die EU sich mit großen Mengen Impfstoff eindecken, während die Verteilung der Impfdosen in Ländern mit mittleren oder niedrigen Einkommen stagniert, sorgt dafür, dass es immer noch große ungeschützte Bevölkerungen gibt, die sich mit dem Virus anstecken können und die Raum für die Entstehung neuer Mutationen und Immunflucht-Varianten bieten.
Die Pandemie wird also nicht enden, solange Debatten wie das für und wieder einer Impfpflicht nur im nationalen Rahmen stattfinden. Corona ist ein Menschheitsproblem und kann nur gemeinsam, auf der gesamten Welt gelöst werden.
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