Covid-19 Allgemeine Covid-Impfpflicht: Das sind die rechtlichen Hürden
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14. Dezember 2021, 09:15 Uhr
Immer stärker wird die Einführung einer allgemeinen Impfpflicht gegen Covid-19 gefordert. Aber welche rechtlichen und praktischen Hürden müsste ein solches Projekt nehmen? Zwei juristische Einschätzungen.
"Jeder hat das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit. Die Freiheit der Person ist unverletzlich." So beginnt der zweite Absatz von Artikel 2 des deutschen Grundgesetzes. Er steht im Zentrum der Debatte um die mögliche Einführung einer allgemeinen Impfpflicht gegen Covid-19, wie sie zuletzt immer häufiger gefordert wird. Interessant ist deshalb vielleicht auch der dritte Satz. "In diese Rechte darf nur auf Grund eines Gesetzes eingegriffen werden." Das bedeutet: Der Eingriff in die Freiheit und körperliche Unversehrtheit ist grundsätzlich möglich. Die Frage lautet also vor allem: wann und wie?
Es gibt auch ein Recht auf ein möglichst geringes Ansteckungsrisiko
Bundestag und Bundesrat haben am Freitag eine Impfpflicht für Gesundheits- und Pflegeberufe beschlossen. Dieser Schritt galt unter Rechtswissenschaftlern als leichter zu begründen gegenüber der allgemeinen Impfpflicht. Beim Eingriff in ein Grundrecht gilt: "So wenig wie möglich und nur so viel wie nötig". Je konkreter eine Gefahr wissenschaftlich begründet werden kann, je genauer der Adressat bestimmt wird und je besser sich Eingriff in das Grundrecht begrenzen lässt, desto besser. Beim Pflegepersonal scheint dieser Schritt klar: Pflegende haben am häufigsten Kontakt mit der Hochrisikogruppe, die am tödlichsten vom SARS-Coronavirus-2 bedroht wird. Diese Hochrisikogruppe hat selbst ein Grundrecht auf körperliche Unversehrtheit, das praktisch bedeutet, nach Möglichkeit nicht mit dem Virus angesteckt zu werden. Durch eine Impfung der Pfleger lässt sich dieses Risiko zwar nicht gänzlich ausschließen, aber es kann zumindest gesenkt werden.
Auch bei einer allgemeinen Impfpflicht lässt sich das Grundrecht auf körperliche Unversehrtheit auf beiden Seiten in Stellung bringen. Denn gegenüber der Freiheit, über den eigenen Körper zu bestimmen, steht das Recht der Bürgerinnen und Bürger auf eine funktionierende Gesundheitsversorgung. Der Staat dürfe daher in Grundrechte eingreifen, um die Versorgung der Bevölkerung mit Gesundheitsgütern zu schützen, sagt Ulrich Becker, Direktor am Max-Planck-Institut für Sozialrecht und Sozialpolitik in München, "wenn die Impfung dafür geeignet und erforderlich ist und auch verhältnismäßig erscheint."
Schutz des Gesundheitssystems zentral
Dafür müsse das deutsche Gesundheitssystem noch nicht vollkommen überlastet sein. Der wissenschaftliche Nachweis einer solchen Bedrohung reiche aus in Kombination mit dem Nachweis, dass die Impfung daran etwas ändern kann. "Das ist ständige Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts. Wenn es um den Schutz von Leib und Leben geht, hat Gesetzgeber einen Spielraum bei der Einschätzung der Gefährdung", sagt Becker.
Beide Voraussetzungen scheinen erfüllt: Eine Impfung reduziert die Zahl schwerer Covid-19-Verläufe drastisch. Und praktische Erfahrungen – etwa der Krankenhäuser in Sachsen – zeigen: Je niedriger die Impfquote, desto eher droht die Überlastung der Kliniken durch schwer erkrankte Ungeimpfte.
Kritiker führen an dieser Stelle immer wieder an, dann müsste der Staat auch das Rauchen oder hochriskante Sportarten verbieten. Doch da gibt es einen Unterschied, sagt Becker. "Der Staat sanktioniert nicht ungesunde Lebensführung im Allgemeinen." Jetzt aber gehe es um die ganz konkrete Gefahr einer Überlastung des Gesundheitswesens, die abzuwenden sei.
Im Grunde will der Staat mit einer Impfpflicht also nicht dem Einzelnen vorschreiben, gesund zu bleiben, sondern er zwingt seine Bevölkerung zu einer Maßnahme, die der Stabilisierung der Situation für die gesamte Gesellschaft nutzt.
Impfpflicht gegen Covid-19 schwieriger als bei den Masern
Oliver Lepsius, Professor für Öffentliches Recht und Verfassungstheorie, steht einer allgemeinen Impfpflicht skeptischer gegenüber. "Der Eingriff ist nicht unbeträchtlich", gibt er zu bedenken. Es gehe nicht nur um eine Spritze, die jemand bekomme, sondern um einen grundsätzlichen, symbolischen Schritt. Der Staat greife in die Verfügung über den eigenen Körper ein.
Das zwinge die Gesetzgeber dazu, sich sehr vielen Fragen zu stellen. Wer müsse sich impfen lassen und wie oft? Reiche eine Zweifachimpfung oder werde eine Auffrischung alle sechs Monate gleich eingeschlossen? Sei es also eine punktuelle oder eine dauerhafte Pflicht? Je weiter und unbestimmter der Personenkreis, der sich impfen lassen muss und je weniger sich diese Pflicht zeitlich eingrenzen lässt, desto schwieriger wird die Begründung aus Sicht der Juristen.
Natürlich zählten hier medizinische Argumente, sagt Lepsius, also ob eine Impfung den Einzelnen schützen könne oder ob eine Krankheit nur dann erfolgreich bekämpft werden könne, wenn alle geimpft seien. Beides sei bei Corona nicht zu 100 Prozent sicher mit Ja zu beantworten. "Ich würde sagen, gegenüber Covid-19 ist eine Impfpflicht weniger leicht zu rechtfertigen als gegenüber Masern", so Lepsius.
Wer muss welches Bußgeld zahlen?
Eine Impfung gegen die Masern biete einen lebenslangen Schutz vor einer Erkrankung. Geimpft würden vor allem Kinder. Und eine flächendeckende Impfung biete sogar die Perspektive, dass das Virus wie bei den Pocken vollständig ausgerottet werden könne. All das ist bei Covid-19 unwahrscheinlich, so Lepsius.
Die Entlastung des Gesundheitssystems sei dagegen eine legitime Begründung aus juristischer Sicht. Aber hier sei zu fragen, ob die Maßnahme das mildeste Mittel sei. "Sicher ist eine Impfpflicht milder als eine Lockdown-Maßnahme vor allem für Ungeimpfte", sagt Lepsius. Aber vielleicht sei das Warten auf einen Impfstoff, der von möglichst vielen freiwillig akzeptiert werde, milder als die Impfpflicht.
Entscheide sich der Staat aber für die Impfpflicht, gebe es dann viele weitere Fragen zu klären. Wie kann sie durchgesetzt werden? Wer verhängt etwa ein Bußgeld - und wird eine solche Geldstrafe nach Einkommen gestaffelt? Oder droht eine Situation, in der jemand durch die Höhe eines solchen Zwangsgelds empfindlich getroffen wird, während sich andere gewissermaßen freikaufen können? "Ich halte das für noch nicht durchdacht", sagt der Rechtswissenschaftler.
Risiko: Überlastung der Gerichte
Auch Oliver Lepsius steht einer Impfpflicht aber nicht grundsätzlich kritisch gegenüber. Ein Gesetz könne für viele Skeptiker auch eine schlüssige Begründung liefern, warum sie sich nun doch impfen lassen. "Dann kann jemand seine Meinung ändern und sagen, eigentlich sehe ich das kritisch. Aber weil ich mich rechtstreu verhalten will, lasse ich mich nun doch impfen." Gut überlegt werden müsse dann nur, wie das Gesetze umgesetzt werde. Sonst drohe im schlimmsten Fall eine Flut von Widersprüchen an die Gerichte. Dann wäre neben dem Gesundheitssystem auch noch das Rechtssystem überlastet.
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