Braunbär
Dieser Braunbär aus Schweden hat keine Probleme mit Blutgerinnseln. Auch dann nicht, wenn er sich zur langen Winterruhe hinlegt. Der Grund dafür wurde nun gefunden. Bildrechte: IMAGO / Nature in Stock

Thrombose-Forschung Warum Braunbären im Winterschlaf keine Blutgerinnsel bekommen

15. April 2023, 12:00 Uhr

Ein Mensch kann schon beim Stillsitzen auf einer Flugreise eine Thrombose bekommen. Braunbären passiert das nicht mal in der Winterruhe. Nun kennt man den Grund. Dieses Wissen könnte auf den Menschen übertragbar sein.

Alles begann mit Ole Frøbert, einem dänischen Kardiologen, der in Schweden arbeitet und sich in den 2000er-Jahren fragte, warum Tiere im Winterschlaf nicht dieselben Probleme haben wie einige seiner Patienten. Er begann eine Zusammenarbeit mit dem Scandinavian Brown Bear Research Project, um dies zu untersuchen. Bären, schrieb er 2015 in einem Bericht, haben die meisten der gesundheitlichen Probleme eines Menschen nicht. "Sie verlieren kaum Muskel- oder Knochenmasse, sie entwickeln kein Wundliegen, kein Nierenversagen und so weiter", so Frøbert. "Bären vermeiden all die Krankheiten, die unsere heutige sitzende Lebensweise mit sich bringt."

Einem kurzzeitig betäubten Braunbären wird Blut abgenommen
Die Forschungsgruppe in Aktion: Einem kurzzeitig betäubten Braunbären wird Blut abgenommen, das später im Labor untersucht wird. Bildrechte: Dr. Tobias Petzold

Aus diesen Gedanken heraus entstand eine Zusammenarbeit mit deutschen Kardiologen um Manuela Thienel und Tobias Petzold, die sich verstärkt mit der Blutgerinnung beschäftigen. Im Februar 2019 war Manuela Thienel dann zum ersten Mal in den verschneiten schwedischen Wäldern dabei, als Tierärzte und Wildhüter in eine Bärenhöhle gingen, um einen Braunbären, der dort Winterruhe hielt, zu betäuben und sein Blut abzunehmen. Dem Bären machte das übrigens nichts aus. Er erwachte später kurz, wunderte sich ein wenig, wo er war und tapste erneut in die Höhle, um es sich gemütlich zu machen.
Für die deutschen Kardiologen vom Klinikum der Ludwig-Maximilians-Universität München und ihre Mitforscher aber war das Blut dieses Bären und mehrerer seiner Artgenossen elementare Grundlage für eine wichtige Entdeckung.

Wie kommt es, dass sich bei Braunbären trotz monatelangen Stillliegens in der Winterruhe keine Blutgerinnsel bilden, wohingegen der Mensch, wenn er lange sitzt oder bettlägerig ist, im schlimmsten Fall Gefahr läuft, eine venöse Thromboembolie zu entwickeln, die durchaus tödlich sein kann?
Um dieses Paradox, wie es die Forscher nennen, aufzuschlüsseln, war Winter-Braunbärenblut allerdings nicht genug. Auch Blutproben von Bären im Sommer, von Schweinen, Mäusen und querschnittsgelähmten Menschen wurden untersucht, außerdem Blut von gesunden Menschen, die sich innerhalb eines Raumfahrtprojektes freiwillig wochenlang ins Bett gelegt hatten.

Hitzeschockprotein 47

Braunbär schläft im Schnee
Für die richtige Winterruhe ziehen sich Braunbären meist in selbstgebaute Höhlen zurück. Dieser Meister Petz schläft ausnahmsweise mal außerhalb der Höhle im Schnee. Bildrechte: IMAGO / Panthermedia

Um dem molekularen Mechanismus hinter dem schützenden Prozess auf die Spur zu kommen, holten sich die Mediziner die Expertise von zwei Forschern vom Max-Planck-Institut für Biochemie in Martinsried. Mittels sogenannter Massenspektroskopie-basierter Proteomik wurden dort fast 2.700 aktive Proteine in den Blutplättchen der Bären quantifiziert.
In Winterruhe wurden gegenüber der Sommeraktivität ganze 71 Proteine hoch- und 80 herunterreguliert. Aber es stellte sich ein einzelnes Blutplättchen-Protein als dasjenige mit dem größten Unterschied heraus. Es ist das Hitzeschockprotein 47, kurz HSP47, von dem überwinternde Bären im Vergleich zum Sommer nur noch knapp zwei Prozent im Blut hatten.

Manuela Thienel nannte das "völlig überraschend". Denn von Hitzeschockproteinen, die als Reaktion auf Stressfaktoren aktiviert werden, dachte man im Allgemeinen nicht, dass sie eine Rolle bei der Blutgerinnung spielen.

Wahrscheinlich haben es alle Säugetiere

Und nicht nur bei Braunbären sinkt der HSP47-Spiegel während der Winterruhe deutlich, sondern auch bei querschnittsgelähmten Menschen nach der Akutphase der Verletzung. Auch sie haben deshalb kaum Thrombose-Gefahr. Auch bei Schweinen, die nach der Geburt immobilisiert wurden, wurden stark reduzierte HSP47-Werte gefunden. Und bei den gesunden Probanden, die freiwillig wochenlang im Bett lagen, war Ähnliches zu beobachten, wenn auch nur allmählich, aber nach 21 Tagen im Bett hatten sie kaum noch HSP47 im Blut. Das Risiko eines Patienten, ein Blutgerinnsel zu bekommen, sei nur direkt nach der Immobilisierung hoch, sagt Manuela Thienel. Danach sinke es langsam wieder auf den Ausgangswert.

HSP47 befindet sich auf Blutplättchen, die bei Wunden die Blutung stillen. Durch einen niedrigen HSP47-Spiegel reduziert sich die Interaktion von Blutplättchen und Entzündungszellen. Tatsächlich, so Tobias Petzold, "ist HSP47 allein in der Lage, die Entzündungszellen zu aktivieren."

v.l.n.r.: Dr. Tobias Petzold, Dr. Manuela Thienel (beide LMU Klinikum), Dr. Johannes Müller-Reif (MPI Biochemie)
Drei wichtige Akteure der Forschungsgruppe v.l.n.r.: Dr. Tobias Petzold, Dr. Manuela Thienel (beide LMU Klinikum), Dr. Johannes Müller-Reif (MPI Biochemie) Bildrechte: Andreas Seeger, LMU Klinikum

Im biomedizinischen Umkehrschluss bedeutet das: Könnte man das HSP47 mit einem passenden Molekül bei bettlägerigen Akutpatienten blockieren, ließe sich womöglich die Gefahr einer venösen Thrombose verhindern. Solche Moleküle, die HSP47 ausschalten, gibt es zwar schon für Laborexperimente. Aber für einen möglichen Einsatz am Menschen eignen sie sich nicht. "Deshalb wollen wir jetzt selbst nach entsprechend geeigneten Substanzen suchen", sagt Tobias Petzold.

Weitere Forschung nötig

Manuela Thienel will im Juni wieder in den schwedischen Wäldern sein. Sie hofft auf Folgestudien, um den genauen Mechanismus besser zu verstehen und herauszufinden, ob das Absinken des HSP47-Spiegels auch Menschen mit einem hohen Risiko für Venenthrombosen helfen kann, z. B. Krebspatienten.

Und Ole Frøbert hofft, dass die Ergebnisse dazu beitragen werden, Geldgeber zu überzeugen, die seinen Plänen sonst oft skeptisch gegenüberstehen. Für dieses und andere Projekte musste er Zuschüsse aus verschiedenen Quellen zusammentragen. Aber die Forschung zu Winterschlaf und Winterruhe lohnt sich nicht nur wegen der Thrombose, ist er überzeugt. "Es wird Tausende von anderen Lösungen geben, wenn wir danach suchen", sagt er.

(rr)

Wissen

57 min
Bildrechte: MDR/Panthermedia

Dieses Thema im Programm: MDR FERNSEHEN | Hauptsache Gesund | 20. April 2023 | 21:00 Uhr