Chronobiologie Menschen machen keinen Winterschlaf – aber haben einen!
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06. März 2023, 16:06 Uhr
Winterschlaf, Winterruhe, Winterstarre: Das ist was für Igel, Bären und Schlangen. Forschende an der Berliner Charité haben jetzt aber nachgewiesen, dass sich auch das Schlafverhalten von Menschen im Winter ändert. Und vielleicht auch wir etwas ändern sollten.
Wären Sie ein Murmeltier, könnten Sie jetzt noch mal auf Snooze drücken und hätten einen guten Monat Zeit, aus dem Bett und damit aus dem Knick zu kommen. Einmal richtig ausschlafen, von Oktober bis März – und das auch noch zusammengekuschelt mit einer Horde verschlafener Artgenossen. Die Alpentiere wissen, wie man gediegen über den Winter kommt.
Was unsereiner Spezies betrifft, sind wir (anders als ein Vorfahre) kaum darin bestrebt, uns im Alltag der Halbjahre auch nur irgendwie an die saisonalen Gegebenheiten anzupassen. Oder wie jetzt? Forschende an der Berliner Charité legen zumindest nahe, dass wir zwar keinen Winterschlaf machen, aber im Winter einen anderen Schlaf haben als im Sommer. Zum Beispiel was die Schlafdauer betrifft. So scheint in der Untersuchung die Gesamtschlafzeit im Winter erstmal bis zu einer Stunde länger zu sein – statistisch gesehen ist das aber nicht signifikant. Wohl aber Erkenntnisse, die unseren REM-Schlaf betreffen. Sie wissen ja, das ist die Schlafphase ganz nah am Wachsein, in der sich unsere Augen schnell bewegen (REM: Rapid Eye Movement) und die so etwas wie unsere Traumfabrik ist. Es ist bekannt, dass diese Schlafphase in direktem Zusammenhang mit unseren inneren Uhr steht, die wiederum durch die Lichtverhältnisse beeinflusst wird.
Saisonale Auffälligkeiten – auch in der Stadt
Dieser REM-Schlaf war in den Charité-Untersuchungen im Winter dreißig Minuten länger als im Sommer. Und im Herbst erlebten die Probandinnen und Probanden weniger Tiefschlaf. Die Untersuchung fand an 188 Menschen mit Schlafproblemen statt, die sich einer Beobachtung im Schlaflabor unterzogen hatten. Grundsätzlich waren deren Beschwerden saisonal unabhängig, allerdings wurde die Schlaflosigkeit häufiger gegen Ende des Jahres diagnostiziert. Interessanterweise konnten die in der aktuellen Studie beschriebenen jahreszeitlichen Auffälligkeiten auch bei Städterinnen und Städtern festgestellt werden. In urbanen Umgebungen sind Menschen tendenziell weniger einem natürlichem Lichteinfall ausgesetzt, zudem besteht ein hoher Grad an Lichtverschmutzung.
REM-Schlaf – zum Träumen und Besserwissen Der REM-Schlaf wurde erst 1953 an der Universität Chicago entdeckt (aber fast ein Vierteljahrhundert bevor sich die gleichnamige US-Rockband gründete, die aber kein Fans der Schlafforschung waren, sondern deren Namenswahl willkürlich ausfiel). Die Phase ist nicht nur mit schnellen Augenbewegungen unter den Lidern verbunden, sondern mit höherem Puls und Blutdruck als in den anderen Schlafphasen. Bei Erwachsenen macht sie 20 bis 25 Prozent der Schlafphasen aus. Vor allem Träume treten hier auf, aber auch nächtliche Erektionen und Wissensaufbau. Der Zweck ist nicht ganz geklärt, aber Entzug führt zu Lernschwierigkeiten.
Die Forschenden räumen gleich selbst ein, dass diese Untersuchung natürlich mit einer großen Kohorte gesunder, als schlafstörungsfreier Probandinnen und Probanden wiederholt werden müsse. Allerdings glauben sie auch: Bei gesunden Menschen könnten die jahreszeitlichen Veränderungen noch größer sein.
Leerlaufgefühl in Februar und März? An Jahreszeiten anpassen!
Eigentlich ist das alles nicht überraschend: Ob Winterschlaf oder nicht, so eine Saisonalität sei bei jedem Lebewesen allgegenwärtig, betonen die Forschenden. Beim Menschen werden die Körperfunktionen im Winter heruntergeregelt, was im Februar und März dazu führt, dass wir ein Leerlaufgefühl mit uns rumtragen. Während wir immer wieder darüber diskutieren, unsere Arbeit, die Schule, den Alltag doch einfach mal an die innere Uhr anzupassen, statt gegen sie zu arbeiten, setzt die Forschungsgruppe an der Charité noch einen drauf: Unser Leben sollte im Einklang mit den Jahreszeiten passieren.
Im Winter einfach kürzer arbeiten, weniger lernen und auch ein bisschen weniger erleben? Klingt zumindest sinnvoll. Damit hätten wir zwar immer noch keinen direkten Winterschlaf, wie die Murmeltiere in den Alpen, aber immerhin schon mal eine Art Winterruhe. Unser Vorbild könnten unsere nächsten winterschlafenden Verwandten sein, Äffchen mit dem charmanten Namen Westliche Fettschwanzzwergmakis. Die überbrücken auf Madagaskar auf diese Weise Trockenperioden. Könnte uns auch noch blühen.
flo
Links/Studien
Die Studie Seasonality of human sleep: Polysomnographic data of a neuropsychiatric sleep clinic erschien im Fachblatt Frontiers in Neuroscience.
DOI: 10.3389/fnins.2023.1105233
Dieses Thema im Programm: MDR JUMP | 18. Januar 2022 | 05:20 Uhr
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