Der Redakteur | 23.01.2023 Werden uns künftig Insekten im Essen untergeschoben?
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23. Januar 2023, 18:19 Uhr
Zwei neue Insektenarten sind in der EU jetzt als Lebensmittel zugelassen. Müssen wir damit rechnen, dass uns künftig im Kleingedruckten Hausgrille und Getreideschimmelkäfer untergeschoben werden? Redakteur Thomas Becker ordnet ein und hat dazu mit Luise Hoffmann von der Verbraucherzentrale Thüringen gesprochen.
Die Hausgrille und Getreideschimmelkäfer im Essen? Was kommt als nächstes? Vielleicht töten wir noch Säugetiere und stopfen sie in ihren eigenen Darm? Um die Debatte zu versachlichen: Insekten gehören in vielen Teilen der Welt zur normalen und gesunden Ernährung dazu. Ein bisschen mehr davon ist nun auch in der EU erlaubt, aber niemand wird damit zwangsernährt.
Das Thema polarisiert, wie so vieles in diesen aufgeregten Zeiten. Meistens reicht es zur eigenen Beruhigung, sich mit den Fakten zu beschäftigen. So wird man schnell feststellen, dass auch Insekten nicht so heiß gegessen wie gekocht werden.
Den Vogel abgeschossen in der Debatte hat der bayerische Wirtschaftsminister, Hubert Aiwanger von den Freien Wählern, Diplom-Agraringenieur von Beruf, den die Zulassung zweier weiterer Insektenarten als Lebensmittel ganz offensichtlich überrascht hat. Er machte bei Twitter deutlich, dass er gerne Fleisch isst und sich ansonsten noch nicht weiter mit den sogenannten "neuartigen Lebensmitteln" und ihrer Zulassung befasst hat. "Wir haben es satt, dass Fleischverzehr von Rind/Schwein/Geflügel kritisiert wird, aber Insekten ins Essen sollen", so Aiwanger.
Immerhin stammt der Antrag auf Zulassung der Hausgrille vom 24. Juli 2019 und seitdem fand eine "ausführliche wissenschaftliche Bewertung durch die Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSA) statt", wie die EU-Kommission Anfang Januar mitteilte. Auch die EU-Staaten haben den Vorschlag der Kommission zur Zulassung der Insekten erhalten, teilte die EU-Kommission mit. Und bevor in der EU irgendetwas Neues auf die Tische kommt, das in der EU vor Mai 1997 "nicht in nennenswertem Umfang konsumiert wurde", müssen erstmal die Wissenschaftler ran. Und erst dann, wenn am Ende des Verfahrens tatsächlich eine Zulassung erfolgt, darf ein sogenanntes "neuartiges Lebensmittel" überhaupt in den Verkehr gebracht werden und das mit klaren Kennzeichnungsregeln.
Laut Pressemitteilung der Europäischen Kommission "[muss] klar gekennzeichnet sein, dass ein Lebensmittel ein Insekt enthält (mit lateinischem und deutschem Namen) und auch, in welcher Form". Zunächst dürfen die Firmen Cricket One Co. Ltd (mit Sitz in Vietnam) und Ynsect NL B.V. (mit Sitz in den Niederlanden) in den nächsten fünf Jahren exklusiv die Tiere verarbeiten und in den Verkehr bringen und wir dürfen dann entscheiden, ob wir das essen wollen oder nicht.
Wer bitte braucht Insekten im Essen?
Insekten sind kein Spinat. Das heißt: Es wird niemand gezwungen, dieses gesunde (!) Zeug zu essen. Und es wird auch niemandem einfach untergerührt, wie eine bittere Medizin im süßen Grießbrei. Auch dürfen Insekten nicht einfach als "Spezialität" ins Essen fallen, um so die Hygieneregeln in der Gaststätte zu umgehen. Spezielle Zuchtformen sind erforderlich, es gibt Vorgaben Haltung und Fütterung betreffend und auch mit dem Tötungsprozess haben sich die Experten beschäftigt.
Weil das Ausweiden jedes einzelnen Tieres aus praktischen Gründen ausgeschlossen ist, werden die Tiere zum Beispiel 24 Stunden vor dem "Schlachten" auf Diät gesetzt, damit der Darm entleert ist. Das klingt nicht besonders appetitlich, aber zur Erinnerung: Was legen wir gleich noch einmal als Bratwurst auf den Rost? Diese für uns Thüringer natürlichste Form der feierlichen Ernährung, sorgt in anderen Breitengraden für Würgereiz, während dort leckere Grillen im Feuer brutzeln.
Psychologie, Gewohnheit und Tradition spielen nun einmal eine wichtige Rolle beim Essen. In Asien, Lateinamerika oder Afrika stehen Insekten seit Jahrhunderten auf dem Speisezettel und sind gesünder und nachhaltiger als unser Schweinefleisch. Zum Glück stellen sich die meisten Menschen auf der Welt nicht so an wie wir. Nicht auszudenken, wenn sich überall unsere Schweine und Rinder und Bratwürste durchsetzen würden.
Denn Insekten sind bessere Futterverwerter, brauchen also weniger Futter, weniger Fläche, weniger Energie und weniger Wasser. Sie sind also grundsätzlich gut fürs Klima und überhaupt. "Insekten sind ein spannendes Thema, wenn es um die globale Ernährungssicherheit geht", sagt Luise Hoffmann, Referatsleiterin Lebensmittel und Ernährung bei der Verbraucherzentrale Thüringen.
Was ist denn so drin im Heimchen?
Die Hausgrille (Acheta domesticus), auch Heimchen genannt, ist keine zwei Zentimeter lang und laut. Von daher ist es schon mal eine gute Idee, sie auf unseren Speisezettel zu setzen. Sie gehört zu den rund 2.000 essbaren Insekten. Ernährungsphysiologisch sind Insekten proteinreich, liefern ungesättigte Fettsäuren und haben eine gute Zusammensetzung, was Mineralstoffe und Vitamine angeht, erklärt die Ernährungsexpertin Hoffmann.
So gesehen, dürfen wir also die Zulassung als Angebot ansehen, das wir annehmen können, aber nicht müssen. Welche Produkte die Lebensmittelindustrie am Ende wirklich für den deutschen und europäischen Markt entwickelt werden, das wird sich zeigen. Wenn es niemand essen will, wird es auch niemand produzieren, das ist schon eine rein wirtschaftliche Überlegung.
Zumal die Produktion nicht ganz billig ist, weshalb Luise Hoffmann nicht damit rechnet, dass Insektenmehl als billiger Ersatzstoff für irgendetwas Hochwertiges in die Suppentüte kommt. Es ist aber zum Beispiel denkbar, dass die Nahrungsergänzungsmittelindustrie den Eiweißfreunden in den Muckibuden neue Angebote macht. Denn wenn die Proteinshakes oder -riegel plötzlich gesund wären - warum denn nicht?
Allergiker, Vorsicht!
Was für den Eiweißallergiker und andere Betroffene ohnehin gilt, das ist auch bei den Insekten ein Thema, besonders wenn eine Verwandtschaft zu Krustentieren besteht: Das Allergierisiko ist da und deshalb werden wir uns auch an neue Warnhinweise gewöhnen müssen, sollten die Insekten verstärkt in unseren Regalen landen. Im Lebensmittelregal wohlgemerkt.
Das, was in Zoohandlungen angeboten wird, ist hingegen nicht für den Verzehr geeignet. Den Fehler haben wir übrigens vor einigen Jahren gemacht, als wir in einem selbstlosen Selbsttest fürs Radio allerlei Krabbeltier gebraten und verkostet haben. Was zugegeben - bei geschlossenen Augen - sogar zum Teil überraschend lecker war. Nur wussten wir eben nichts davon, dass man den Tierchen vor der Schlachtung ausreichend Zeit geben sollte, noch einmal aufs Klo zu gehen.
MDR (sow)
Dieses Thema im Programm: MDR THÜRINGEN - Das Radio | Ramm am Nachmittag | 23. Januar 2023 | 16:50 Uhr