Der Redakteur | 05.07.2023 Entspannt ankommen: Verreisen mit Kindern
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04. Juli 2023, 16:55 Uhr
Johanna Neumann aus Leipzig fragt, wie man es schafft, Kinder auf langen Reisen (Auto oder Flugzeug) so bei Laune zu halten, dass es nicht schon nach kurzer Zeit heißt: "Wann sind wir da?" Wir fragen eine Psychologin.
Spiele, Essen, Trinken - bevor wir uns um verschiedene Ablenkungstricks kümmern, müssen wir grundsätzlich werden. Diplom-Psychologin Anja Flödl vom Bundesverband der Psychologen würde zunächst gern an unserer Erwartungshaltung arbeiten. Das "Endlich-Urlaub-Gefühl" haben die Kinder nicht unbedingt und schon gar nicht setzt das im Auto ein.
Zudem haben sie kein Zeitgefühl. Auch wären vor dem Start Entspannungsphasen klug, anstatt sozusagen von der Schulbank und aus dem Alltagsstress heraus direkt in den Urlaub zu starten. Entsprechend unentspannt sind dann viele ohnehin schon. Die Reizschwelle liegt dann niedrig. Und dann ist eine so lange Fahrt eine große Herausforderung für Kinder.
Demzufolge sollte man erst gar nicht die Erwartung haben, dass sie diesen Stress klaglos ertragen. Denn es ist schlicht Stress für ein Kind, stundenlang angeschnallt zu sitzen. Vorbeifliegende Landschaften auch keine kindgerechte Ablenkung.
Besonders kleine Kinder haben auch noch nicht so viele Möglichkeiten, ihre Gefühle auszudrücken. Sie schreien und weinen deswegen und werden unleidlich. Ein Signal für verschiedene Probleme, Durst, Hunger, Aua, Langeweile? Das ist durchaus eine kleine Herausforderung. Aber die Reise ist es auch für das Kind.
Die Eltern sollten von den Kindern nichts Unmögliches erwarten.
Wenn man grundsätzlich darauf eingestellt ist, dass es hinten unruhig werden wird, ist die Enttäuschung auch nicht groß, wenn es dann passiert. Eine Erwartung, die nicht da ist, kann auch nicht enttäuscht werden. Und dann fällt im besten Falle auch die Reaktion nicht so heftig aus und das Geschrei erträgt sich leichter.
Womit beschäftige ich die Kinder?
Los geht es eigentlich schon mit einer kindgerechten Tourplanung. Es müssen deutlich mehr Pausen eingeplant werden als man als Erwachsener machen würde. Und die kann man sehr gezielt setzen, um kleine Erlebnisse zu schaffen. An besten unter Einbeziehung der Natur. Ein großer Findling, ein kleiner Bach, irgendwas gibt es an jeder Strecke. Bei wiederkehrenden Reisen können daraus Rituale werden. Im besten Falle ergibt sich noch Gesprächsstoff für einige Kilometer.
Vielleicht ist es auch klug, lieber mit kleinen Snacks die Reisezeit zu strecken, statt eine große "Essenpause" einzulegen. Die Snacks dürfen gesund sein (geschnittene Gurken, Äpfel, Paprika usw.) aber durchaus auch aus Sünden bestehen, die sonst im Alltag limitiert sind.
Vielleicht auch mal Sachen geben, die die Kinder sonst nicht so bekommen. Es den Kindern schön machen.
Anja Flödl hat auch kein Problem damit, wenn die Mediennutzung einmal etwas über das übliche Maß hinausgeht.
Über den Wolken ist die Bewegungsfreiheit eben nicht grenzenlos
Noch größer ist die Herausforderung im Flugzeug. Anhalten und Aussteigen geht nicht und man ist auch nicht ganz so alleine wie im Auto oder im Zugabteil. Das heißt: Zusätzlicher Stress für die Eltern, ein schreiendes, tobendes Kind ist ein Albtraum. Auch hier ist die Erwartungshaltung der Erwachsenen zu hoch für ein Kind.
Es ist kein Erziehungsversagen, wenn ein Kind seine Gefühle ausdrückt, weil es in einem Flugzeug sitzt, dort nicht rauskommt und es ihm vielleicht auch nicht so gut geht.
Ganz sicher stellt sich zuerst die Frage, ob die Reise nun wirklich sein muss oder ob man sozusagen im Windelalter nicht vielleicht doch andere Urlaubsziele wählen sollte. Wenn es nicht anders geht, gilt eigentlich das Gleiche wie im Auto.
Hinzu kommt vielleicht noch der Hinweis, dass die Druckschwankungen bei Start und Landung zu heftigen Ohrenschmerzen führen können. Das gilt übrigens auch bei Berg- und Talfahrten im Auto. Schlucken hilft hier zuverlässig und deswegen sollte man besonders bei kleinen Kinder dafür künstlich sorgen. Das Fläschchen muss in diesen Momenten immer griffbereit sein.
Unser Umgang mit dem schreienden Kind
Schreiende Kinder lösen bei Erwachsenen komische Gefühle aus. "Das soll aufhören" ist eines davon, sagt Anja Flödl. Doch mit Gefühlen wird das Kind im Moment überflutet, ist wütend, traurig, unzufrieden und kommt aus der Nummer auch nicht so einfach raus.
Erwachsene macht das unruhig, das hat auch etwas mit unserer eigenen Erziehung zu tun, in der Gefühle kaum Platz hatten. In ihre Praxis kommen sehr viele erwachsene Menschen, die den Umgang mit ihren Gefühlen erst ganz neu lernen müssen. Dadurch entstehen auch viele psychische Erkrankungen, so Flödl.
Ein stückweit sollten wir das also aushalten, auf den Arm nehmen, beruhigen, statt das Kind anzuschreien, es in die Ecke zu stellen, stehen zu lassen, zu schütteln, also zu bestrafen – das sind typische Reaktionen, die dem Kind irgendwie signalisieren, deine Gefühle sind falsch.
Dass die Reaktionen der Erwachsenen nicht schlüssig sind, macht Anja Flödl mit einem Perspektivwechsel deutlich. Tauschen wir einmal das Kind aus gegen einen Erwachsenen, wie den eigenen Partner. Nun sind dessen Gefühlsausbrüche sicher nicht auf Kleinkindniveau, aber in der obigen Aufzählung der Reaktionen ist irgendwie nichts Brauchbares dabei.
Mit weinenden Kindern ist man oft sehr wenig mild und wenig einfühlsam. So würde man mit seinem Partner sicher nicht umgehen.
Unsere Expertin
Anja Flödl studierte Psychologie an den Unis in Magdeburg und Leipzig und hat eine Praxis für Psychotherapie & Coaching in Freyburg/U. und Naumburg (ab 15.7.2023).
In ihrer Diplomarbeit ging es um Interessenkonflikte bei Vorschulkindern.
Von 2010 bis 2012 war sie Wissenschaftliche Mitarbeiterin in der Nachwuchsforschungsgruppe "Kleinkindforschung in Thüringen" an der Universität Erfurt.
MDR (ifl)
Dieses Thema im Programm: MDR THÜRINGEN - Das Radio | Ramm am Nachmittag | 05. Juli 2023 | 16:40 Uhr