US-Präsidentschaft Die Wahl des Jahres und ihre Folgen
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04. November 2024, 11:51 Uhr
Am 5. November wird in den USA, der mächtigsten Militär- und Wirtschaftsnation der Welt, ein neuer Präsident gewählt. Das Duell lautet Vize-Präsidentin Kamala Harris gegen Ex-Präsident Donald Trump. Was ein Trump-Sieg und was ein Harris-Sieg bedeuten würde, analysiert Klaus Brinkbäumer.
- Die Wahl wird Amerika verändern
- Wahlergebnis mit Folgen für den Ukraine-Krieg
- Unterschiedlicher Umgang mit Demokratie und Kultur
- Ein gespaltenes Land ohne Kompromisse
Auf den letzten Metern wurde dieser Wahlkampf noch einmal besonders irre. Donald Trump war zurück in seiner alten Heimat New York, im berühmten Madison Square Garden, und ein Komiker nannte Puerto Rico eine "schwimmende Müllhalde"; ein Redner verglich Vizepräsidentin Kamala Harris mit einer Prostituierten mit "Zuhältern"; ein Dritter nannte sie "die Antichristin".
Der frühere Moderator von Fox News, Tucker Carlson, scherzte und sagte, Harris wetteifere darum, "die erste samoanisch-malaysische ehemalige kalifornische Staatsanwältin mit niedrigstem IQ überhaupt" im Weißen Haus zu werden.
Dann kam der Republikaner Trump und nannte Harris und alle Demokraten den "Feind im Innern", "the enemy within". Er kündigte, wieder einmal, Rache und damit die Strafverfolgung seiner politischen Gegner an. Der "Tag der Befreiung", so Trump, sei nahe.
Wer mobilisiert die Anhänger besser
War diese Abschlusskundgebung der entscheidende Moment in diesem schier endlosen Wahlkampf? Vielleicht für Trump – weil dessen Anhänger ekstatisch jubelten und kurz vor dem Wahltag so motiviert und mobilisiert wirken wie nie zuvor? Oder entschied diese Kundgebung die Wahl für Harris - weil die wenigen noch immer unentschlossenen Wählerinnen und Wähler schockiert und angewidert waren von all dem Rassismus, all der Frauenfeindlichkeit dieser New Yorker Stunden?
Präsidentschaft offen und knapp
Wir wissen es nicht, und wir werden es bis zum Morgen des 6. November (oder noch ein wenig länger) nicht wissen. Die amerikanische Präsidentschaftswahl ist derart offen und könnte derart knapp werden wie keine zuvor.
Die Umfragen jedenfalls legen das nahe: In gleich sämtlichen sieben Bundesstaaten, in denen die Wahl entschieden werden dürfte – im sogenannten "Rust Belt", den "rostigen", industriellen Bundesstaaten Pennsylvania, Michigan und Wisconsin, sowie im sonnig-südlichen "Sun Belt", womit diesmal Georgia, Arizona, Nevada und North Carolina gemeint sind – steht es unentschieden.
Aber egal wie knapp es sein wird: Der Sieger oder die Siegerin wird alle Wahlleute des jeweiligen Bundesstaats bekommen, das ist eine Absurdität des amerikanischen Wahlsystems.
Eine zweite ist: Wenn es derart knapp zugeht, sollten in Demokratien eigentlich Verständigung und Kompromiss folgen; die "Winner takes all"-Regel verstärkt aber die amerikanische Polarisierung. Sieger bekommen alles, Verlierer werden marginalisiert.
Die Wahl wird Amerika verändern
Ein Sieg der Demokratin Kamala Harris dürfte darum ein ganz und gar anderes Amerika zur Folge haben als ein Sieg des Republikaners Donald Trump – und auch die Folgen für Europa, Deutschland, Mitteldeutschland werden sich mutmaßlich auf geradezu dramatische Weise unterscheiden.
Trump setzt auf Grenzen und Mauern, will Einwanderung scharf begrenzen, die "größte Massendeportation der Geschichte" (Trump) beginnen. Das Abtreibungsrecht dürfte verschärft werden, Steuern würden sinken, Sozialleistungen und die Ausgaben für Bildung, Infrastruktur, Klimaschutz gewiss auch. Er will Rache nehmen, seine politischen Gegner anklagen und inhaftieren lassen, gesagt hat er das mehrfach.
Die Außenpolitik spielt für Trump eine geringe Rolle, Europa sowieso, verglichen jedenfalls mit Mexiko oder China. Sein "America First" bedeutet Abgrenzung, und eines der liebsten Themen Donald Trumps sind Zölle (er plant 20 Prozent auf alles, was in die USA importiert wird), das soll eine Bestrafung all der Länder bewirken, die aus seiner Sicht heute die USA ausnutzen.
Trump-Sieg könnte "permanente Unberechenbarkeit" bringen
Die Konsequenz eines Trump-Sieges, so sieht es der Vorsitzende des Vereins Atlantik-Brücke, Sigmar Gabriel, wäre eine "permanente Unberechenbarkeit, das Ende der garantierten Anlehnung an den Beschützer USA".
Der CDU-Politiker Norbert Röttgen, Mitglied des Auswärtigen Ausschusses des Bundestages und Amerika-Fachmann, sagt dem MDR: "Mit der Wahl in den USA steht unglaublich viel auf dem Spiel: für die amerikanische Demokratie und die transatlantischen Beziehungen. Diese bilden nicht nur das Rückgrat der europäischen Sicherheit, die nach wie vor in erster Linie durch die USA abgesichert wird, sondern auch für unseren Wohlstand. Die USA sind Deutschlands wichtigster Exportmarkt."
Und darum, so Röttgen, bestehe für die Wirtschaft in Sachsen, Thüringen und Sachsen-Anhalt eine reale Gefahr: "Zölle auf deutsche und europäische Waren, wie wir es unter Donald Trump schon einmal erlebt haben, würden der deutschen Wirtschaft massiv schaden. Das gilt auch für Mitteldeutschland. Die USA sind mit großem Abstand wichtigster Exportmarkt für Thüringen. Russland hingegen liegt weit abgeschlagen nicht in den Top 10."
Wahlergebnis mit Folgen für den Ukraine-Krieg
Donald Trump schätzt oder bewundert den russischen Staatschef Wladimir Putin und macht für den Krieg den ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj verantwortlich. Dass Trump Waffenlieferungen und Geldströme in Richtung Kiew sofort kappen würde, hat er angekündigt – und sollten seine Republikaner neben dem Weißen Haus gleich beide Kammern des Kongresses erobern, Senat wie Repräsentantenhaus, dann könnte Trump durchregieren.
Norbert Röttgen sagt es so: "Die Amerikanerinnen und Amerikaner entscheiden, von wem sie regiert werden wollen. Aber ob Donald Trump oder Kamala Harris gewinnt, wird für die Beziehungen der USA zum Rest der Welt und insbesondere Europa massive Konsequenzen haben.
Das wird nirgendwo deutlicher und radikaler sicherbar werden als bei der Unterstützung der Ukraine durch die USA." Trump strebt einen "Deal" mit Putin an, der ziemlich sicher auf Kosten der Ukraine gehen würde. "Das würde das Vertrauen gerade der Zentral- und Osteuropäer in die NATO als transatlantisches Schutzbündnis massiv erschüttern", sagt Röttgen. "Die vielleicht schwerste Krise der NATO seit ihrer Gründung wäre die Folge."
Aufmerksamkeit von Europa nach Asien verlagert
Schon die demokratischen Präsidenten Barack Obama und Joe Biden haben ihre Aufmerksamkeit von Europa auf Asien umgelenkt: China ist der Rivale der USA, der pazifische Raum strategisch wichtiger als Deutschland oder Frankreich.
Norbert Röttgen vermutet: "Auch unter einer Präsidentin Kamala Harris müsste sich die europäische Sicherheitspolitik ändern – sie muss europäischer werden, weil die Amerikanerinnen und Amerikaner nicht mehr bereit sind, mit ihren Steuergeldern den Löwenanteil der europäischen Sicherheit zu finanzieren."
Umgang mit Demokratie und Kultur
Und dann ist da natürlich noch eine weitere Ebene, die der politischen Kultur oder auch: der Demokratie an und für sich. Die Historikerin Anne Applebaum, Friedenspreisträgerin des Deutschen Buchhandels, sagt dem MDR, Kamala Harris würde internationale Verträge und multilaterale Organisationen vermutlich achten und darin eine Führungsrolle der USA anstreben; Donald Trump stehe für den Bruch von Verträgen und den Rückzug auf den Nationalstaat.
Zudem, so Applebaum, "ist Trump die Leitfigur der Populisten und Extremisten, links wie rechts". Jede Wahl in irgendeinem Land und sowieso jede Wahl in den USA beeinflusse Wahlen in anderen Ländern – ein Trump-Sieg würde darum fraglos die AfD bestärken.
Gespaltenes Land ohne Kompromisse
Norbert Röttgen argumentiert in eine ähnliche Richtung: "Die USA sind schon heute ein zutiefst gespaltenes Land, in dem politische Kompromisse kaum noch möglich sind. Der Kulturkampf wird in den USA durchaus auch von links betreiben, aber nichts würde diese Entwicklung deutlicher verstärken als eine zweite Präsidentschaft von Donald Trump, der Politik auf der Basis von Ressentiments betreibt."
Röttgen allerdings geht nicht davon aus, dass mit der Wahl am 5. November die demokratische Welt untergeht: "Der Trumpismus in den USA ist eine echte Gefahr für die demokratischen Institutionen, wenngleich ich Vertrauen habe, dass die amerikanische Demokratie auch nochmal vier Jahre Trump überstehen würde."
Dieses Thema im Programm: MDR AKTUELL RADIO | 02. November 2024 | 06:00 Uhr