Unter der Lupe - die politische Kolumne Wird Syrien zum Wahlkampfthema?
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14. Dezember 2024, 10:47 Uhr
Fast eine Woche ist es her, dass sich in Syrien plötzlich die Welt drehte. Das Assad-Regime wurde entmachtet. Seitdem hoffen viele Syrer auf Frieden. Doch diejenigen, die ihn erstmal errungen haben sind wenig vertrauenswürdig. Kann man in das Land schon zurückkehren oder droht am Ende eine weitere Fluchtbewegung? Das Thema ereilt die Wahlkämpfer in Berlin.
- Noch herrscht Unklarheit über die Absichten der neuen Machthaber in Damaskus.
- Während die Politik um den Umgang mit Syrern in Deutschland debattiert, sind Asylanträge erstmal gestoppt.
- Die neuen Umstände könnten eine Bandbreite an neuen Möglichkeiten zur Flüchtlingsfrage bieten.
Damaskus ist gefallen. Der Diktator verjagt. Der Palast wird geplündert. Millionen Syrer bejubeln das. Auch in Deutschland träumen viele Syrer von ihrer Rückkehr in ihre Heimat und ein bisschen auch von Freiheit und Demokratie. Das ist menschlich und zutiefst verständlich.
Doch von Frieden und Freiheit ist das Land noch weit entfernt. Die Rebellen, die sich als Friedensbringer inszenieren, könnten schnell anderes, gar das Gegenteil bewirken – ehemalige IS-Kämpfer und Dschihadisten, die die Situation für sich nutzen wollen. Wohin das führt, kann heute noch niemand sicher sagen. Wachsen hier demokratische Strukturen oder droht ein zweites Afghanistan, mit neuen Machthabern und wieder Unterdrückung? Vorsicht ist geboten, ein gesundes Misstrauen auch.
Asylanträge auf Eis gelegt
In Deutschland platzt die Botschaft vom Ende des Assad-Regimes mitten in den vorgezogenen Bundestagswahlkampf. Die Vertrauensfrage ist noch nicht einmal gestellt, ein Wahlkampfthema scheint aber schon gefunden. Die AfD sieht keine Fluchtgründe mehr. Die designierte Kanzlerkandidatin Alice Weidel will, dass Syrer, die hier leben und vor Krieg und Vertreibung geflohen sind, schnellstmöglich zurückkehren. CDU-Fraktionsvize Jens Spahn empfiehlt dafür 1.000 Euro Handgeld.
Doch so einfach dürfte es nicht gehen, so lange niemand weiß, wie sich die Situation in Syrien weiterentwickelt, und ob dadurch viele Syrer, die hier in Deutschland leben, weiterhin ein Anrecht auf Asyl haben. BSW-Chefin Sahra Wagenknecht fürchtet noch mehr Flüchtlinge. Und die restliche Bundesregierung fährt eine doppelte Strategie. Das Bundesamt für Migration hat alle offen Asylanträge erstmal auf Eis gelegt. Konkrete Rückkehrmöglichkeiten sieht die Bundesinnenministerin vorerst nicht. Auch der Kanzler hat seine erste Euphorie über den Sturz von Assad wieder gebremst. Erstmal abwarten. Auch CDU-Chef Friedrich Merz nimmt sich bei der Bewertung zurück, unbedachte Äußerungen könnten ihm den sicher geglaubten Wahlsieg schnell wieder verhageln.
Populisten nicht das Feld überlassen
Gar nichts tun wäre, politisch gesehen, mitten im Wahlkampf auch fatal. Das würde es Populisten leicht machen, viel zu leicht. Es braucht kluge und machbare Antworten. Dass die Fluchtgründe neu bewertet werden, wenn sich die Situation in Syrien stabilisiert und demokratische Strukturen zumindest denkbar sind, sollte kein Tabu sein. Dann würden viele Syrer vermutlich freiwillig wieder zurückkehren in ihre Heimat.
Eine unkontrollierte Zuwanderung darf es im umgekehrten Fall auch nicht geben. Das würde Kommunen und Gesellschaft einmal mehr überfordern. Gleichzeitig sollte man gut integrierten Syrern auch eine Chance geben, bleiben zu können. In den Krankenhäusern etwa werden dringend helfende Hände gesucht. Die Situation in Syrien wird auch die Wahlkämpfer in Berlin noch vor Herausforderungen stellen. Einfache Antworten dürfte es dabei kaum geben.
Dieses Thema im Programm: MDR AKTUELL | Das Nachrichtenradio | 13. Dezember 2024 | 19:30 Uhr