Berufe von Syrern in Sachsen-Anhalt 1 min
Experten warnen vor den Auswirkungen auf dem Arbeitsmarkt in Sachsen-Anhalt, sollten Syrer abgeschoben oder freiwillig nach Syrien zurückkehren. Bildrechte: picture alliance / TT NYHETSBYRÅN | Pontus Lundahl/TT, Pixabay / OpenClipart-Vectors / jallen_RTR/ Clker-Free-Vector-Images, MDR/Johanna Daher
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MDR SACHSEN-ANHALT Fr 13.12.2024 07:55Uhr 00:48 min

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Folgen für den Arbeitsmarkt Rückkehrer und mögliche Abschiebungen: Wo Syrer in Sachsen-Anhalt fehlen würden

13. Dezember 2024, 05:00 Uhr

Viele Syrerinnen und Syrer wollen nach dem Sturz des Assad-Regimes in ihre Heimat zurückkehren. Zugleich debattieren Politikerinnen und Politiker, ob sich der Schutzstatus von Geflüchteten nun ändern soll. Eine Analyse von MDR Data zeigt, wo die meisten syrischen Staatsbürger leben, in welchen Berufszweigen sie besonders fehlen würden – und wie sich das auf Sachsen-Anhalt auswirken könnte.

Porträt David Wünschel
Bildrechte: David Wünschel

Seit dem überraschenden Sturz des Assad-Regimes am vergangenen Sonntag überlegen einige in Deutschland lebende Syrerinnen und Syrer, in ihr Heimatland zurückzukehren und beim Wiederaufbau zu helfen. Zugleich ist eine Debatte darüber entbrannt, wie sich die neue Lage auf den Schutzstatus der Geflüchteten auswirken soll: Einige Politiker aus den Reihen der CDU setzen sich für eine Überprüfung der Schutzbedürftigkeit und mögliche Abschiebungen ein, darunter auch Sachsen-Anhalts Innenministerin Tamara Zieschang. Der frühere Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) forderte jüngst sogar Charterflüge und ein Startgeld von 1.000 Euro für freiwillige Rückkehrer.

Sein Nachfolger Karl Lauterbach (SPD) warnte auf X hingegen vor den Auswirkungen solcher Aussagen. Es gebe in Deutschland mehr als 6.000 voll integrierte syrische Ärzte, die für die medizinische Versorgung "unabkömmlich" seien. Eine Debatte über "schnellstmögliche Abschiebungen ('Charterflüge') muss diese Menschen zutiefst enttäuschen und verunsichern", kritisierte Lauterbach.

In der Politik gibt es also ganz unterschiedliche Perspektiven darauf, welchen gesellschaftlichen Beitrag die in Deutschland lebenden Syrerinnen und Syrer leisten. Um herauszufinden, wie Abwanderungen oder Abschiebungen sich auf Sachsen-Anhalt auswirken könnten, hat MDR Data Daten der Statistischen Ämter und der Arbeitsagentur ausgewertet. Sie geben Einblicke, in welchen Gemeinden und Berufszweigen Syrerinnen und Syrer besonders fehlen würden.

Mehr als 24.000 syrische Staatsbürger in Sachsen-Anhalt

Zum Jahresende 2022 lebten nach Angaben des Statistischen Landesamts rund 24.000 Syrerinnen und Syrer in Sachsen-Anhalt – etwa 1,1 Prozent der Gesamtbevölkerung. Am größten ist die syrische Gemeinde laut der Volkszählung 2022 in Halle (rund 6.400 Menschen) und in Magdeburg (rund 5.200 Menschen). Den größten Bevölkerungsanteil machen Syrer in Merseburg im Saalekreis aus (rund 1.450 Menschen), wo etwa jeder fünfundzwanzigste Einwohner von dort stammt.

Weshalb sich die Angaben von Ausländerzentralregister und Statistischem Bundesamt zur syrischen Bevölkerung unterscheiden

Laut Ausländerzentralregister lebten am 31. Dezember 2022 rund 27.200 Syrerinnen und Syrer in Sachsen-Anhalt, am 31. Dezember2023 waren es rund 28.800. Diese Zahlen unterscheiden sich von den oben genannten Zahlen des Statistischen Bundesamts, die auf dem Zensus 2022 basieren. Die Zahlen des Statistischen Bundesamts sind genauer, da die Angaben aus den Melderegistern im Rahmen des Zensus überprüft wurden. So wurden beispielsweise jene Ausländerinnen und Ausländer herausgerechnet, die an mehreren Orten gemeldet sind oder längst wieder im Ausland leben. Außerdem sind die Angaben des Statistischen Bundesamts regional aufgeschlüsselt, sodass sich die syrische Bevölkerung konkreten Gemeinden zuordnen lässt.

Aus den Zahlen des Ausländerzentralregisters lässt sich aber ablesen, dass die syrische Gemeinde seit Ende 2022 aller Wahrscheinlichkeit gewachsen ist, mittlerweile also mehr als 24.000 Syrerinnen und Syrer in Sachsen-Anhalt leben.

Viele Syrer und Syrerinnen arbeiten in der Logistik

Nach Angaben der Arbeitsagentur waren zum 31. März 2024 etwa 4.400 Syrerinnen und Syrer in Sachsen-Anhalt arbeitslos gemeldet, etwa 5.000 waren sozialversicherungspflichtig beschäftigt. Hinzu kommen Beamte, Selbständige, Rentner und Minderjährige.

Besonders viele Syrerinnen und Syrer (etwa 1.500) arbeiten demnach im Berufszweig Verkehr und Logistik, zum Beispiel als Lagerarbeiter, Logistikerinnen, Gabelstaplerfahrer und Paketzusteller. Sollte ein Teil dieser Menschen in ihre Heimat zurückkehren oder abgeschoben werden, könnte sich das laut Lydia Malin, Forscherin am Institut der deutschen Wirtschaft Köln (IW), am Ende auch auf die Lieferketten auswirken: "Es kann dann sein, dass Waren fehlen, Waren nicht zur richtigen Zeit am richtigen Ort sind oder alles etwas länger dauert."

Es kann dann sein, dass Waren fehlen, Waren nicht zur richtigen Zeit am richtigen Ort sind oder alles etwas länger dauert.

Lydia Malin Institut der deutschen Wirtschaft Köln (IW)

Viele junge Ärztinnen und Ärzte aus Syrien

An zweiter Stelle folgen die Gesundheitsberufe: Altenpfleger, Krankenpflegerinnen, Arzthilfen, medizinische Fachangestellte und Ärzte. Insgesamt arbeiten 680 Syrerinnen und Syrer in Sachsen-Anhalt in diesen Berufszweigen.

Nach Angaben der Ärztekammer Sachsen-Anhalt sind rund 125 davon Ärztinnen und Ärzte, viele stehen am Anfang ihrer Karriere. Rund jeder vierzigste Arzt unter 40 Jahren stammt demnach aus Syrien. "Sollten uns diese jungen Kolleginnen und Kollegen verlassen, ist dies umso bedauerlicher in einer Zeit, in der wir uns über Nachwuchsmangel und speziell Ärztemangel viele Gedanken machen müssen – von der menschlichen Komponente und der Vielfalt einmal abgesehen", sagte Uwe Ebmeyer, Präsident der Ärztekammer Sachsen-Anhalt, dem MDR.

Auch in den Bereichen Tourismus, Hotellerie und Gaststättenberufe (228 Arbeitskräfte) sowie in der Lebensmittelherstellung und -verarbeitung (263 Arbeitskräfte) arbeiten vergleichsweise viele Syrerinnen und Syrer, beispielsweise als Kellner, Servicekräfte, Köchinnen, Konditoren und Fleischer.

Sie nehmen Deutschen nicht die Jobs weg, sondern erbringen Leistungen, die von Deutschen nicht mehr erbracht werden

Lydia Malin Institut der Deutschen Wirtschaft

Geflüchtete in Berufen mit Fachkräftemangel

Abwanderungen oder Abschiebungen von Syrern hätten laut Wirtschaftswissenschaftlerin Malin vom IW Köln weitreichende Konsequenzen für den Arbeitsmarkt. Die Geflüchteten würden überwiegend in Berufen arbeiten, in denen Fachkräftemangel herrsche. "Sie nehmen Deutschen nicht die Jobs weg, sondern erbringen Leistungen, die von Deutschen nicht mehr erbracht werden." Außerdem schrumpfe die deutsche Arbeitsbevölkerung in Sachsen-Anhalt infolge des demografischen Wandels schneller als in anderen Bundesländern. Deshalb sei Sachsen-Anhalt besonders stark auf die Zuwanderer angewiesen.

Lydia Malin
Lydia Malin vom Institut der deutschen Wirtschaft Bildrechte: Institut der deutschen Wirtschaft

Integration und Qualifikation fördern

Auch die Arbeitslosen könnten dem Arbeitsmarkt in einigen Jahren zur Verfügung stehen, glaubt Malin. Viele von ihnen müssten bestimmte Qualifizierungen erwerben oder die Sprache lernen, das brauche Zeit. "Die Syrer, die 2015 oder 2016 nach Deutschland gekommen sind, sind mittlerweile genauso stark im Arbeitsmarkt vertreten wie die deutsche Bevölkerung."

Nach Angaben von Susi Möbbeck (SPD), der Integrationsbeauftragten der Landesregierung, haben zwischen 2015 und 2023 rund 3.000 Syrerinnen und Syrer in Sachsen-Anhalt die deutsche Staatsbürgerschaft erhalten, für das Jahr 2024 sei von weiteren 1.500 Einbürgerungen auszugehen.

Viele Syrerinnen und Syrer hätten sich in Sachsen-Anhalt gut integriert und seien für die Unternehmen unverzichtbar, so Möbbeck in einem am Dienstag veröffentlichten Statement: "Sie haben bei uns eine zweite Heimat gefunden, Familien gegründet, ihre Kinder besuchen Kitas und Schulen. Wer laut nach Abschiebungen ruft, gefährdet nicht nur die gesellschaftliche Integration, sondern schadet auch der Wirtschaft von Sachsen-Anhalt."

Debatte um Abschiebungen "schmerzhaft" und "zu früh"

Mamad Mohamad, Geschäftsführer des Landesnetzwerks Migrantenorganisationen in Sachsen-Anhalt, bezeichnet die aktuelle Debatte um Abschiebungen als "schmerzhaft" und "zu früh". Syrien sei noch lange kein sicheres Land. Trotzdem gebe es derzeit einen "Wettbewerb, wer wen abschieben kann".

Manche Syrerinnen und Syrer würden in der nächsten Zeit womöglich freiwillig zurückkehren, sagt Mohamad – etwa, weil sie in Deutschland Diskriminierung erfahren hätten oder um Familienangehörige wiederzusehen. Und viele würden beim Wiederaufbau ihres Heimatlandes helfen wollen. Denn auch dafür braucht es schließlich jede Menge qualifizierte Arbeitskräfte.

MDR (David Wünschel)

Dieses Thema im Programm: MDR SACHSEN-ANHALT – Das Radio wie wir | 13. Dezember 2024 | 12:00 Uhr

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