Der Traum von den eigenen vier Wänden Ungarn: Familienpolitik für Reiche
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10. Januar 2022, 18:22 Uhr
Heterosexuell, verheiratet, kinderreich – so sollen Ungarns Familien nach dem Willen der konservativen Fidesz-Regierung aussehen, auch im 21. Jahrhundert. Die Förderung von Familien stellt sie entsprechend gern als ihren größten Erfolg dar. Was sie aber gern verschweigt, sind die Schattenseiten dieser Politik: Von den staatlichen Wohnungsbauprämien und günstigen Krediten profitieren vor allem Familien mit hohen Einkommen. Außerdem sind die Immobilienpreise dadurch enorm gestiegen.
Sinkende Geburtenraten werden auch Ungarn in der Zukunft vor wirtschaftliche und gesellschaftliche Probleme stellen: "eine Abnahme der erwerbsfähigen Bevölkerung und eine überalterte Gesellschaft", so die familienpolitische Diagnose der Regierung von Viktor Orbán. Die Migration als potenzielle Antwort auf diese demografische Entwicklung lehnt die Fidesz-Partei kategorisch ab – sie will die demografische Lücke vor allem "mit ungarischen Kindern" schließen.
Mit Familienförderung zum Wahlsieg?
Auch deshalb wird die ungarische Regierung nicht müde, auf allen Kanälen die Botschaft zu verbreiten, dass die Familie ein wichtiger Wert ist. Und sie gibt Milliarden Steuergelder für Familienförderungen aus: Im Jahr 2022 werden diese 4,9 Prozent des Bruttoinlandprodukts ausmachen. In einer PR-Kampagne lobt die Regierung gleichzeitig die bisherigen Fördermaßnahmen und bereitet damit bereits den Wahlkampf vor. Die im Frühjahr 2022 anstehende Parlamentswahl soll auch eine Entscheidung darüber sein, ob die Steuervergünstigungen und das Eigenheimförderprogramm für Familien erhalten bleiben sollen, macht die Regierung deutlich.
Im Rahmen des Eigenheimprogramms CSOK fördert der Staat den Erwerb und die Erweiterung von Wohnimmobilien. Dazu kann man einen staatlichen Zuschuss beantragen, wenn man schon Kinder hat oder sich verpflichtet, innerhalb einer bestimmten Frist Nachwuchs auf die Welt zu bringen. Zusätzlich kann man ein niedrig verzinstes Darlehen beantragen. Die Höhe des Zuschusses hängt von der Kinderzahl ab. Bei drei Kindern kommt man so auf 10 Millionen Forint Zuschuss (umgerechnet rd. 27.000 Euro) und 15 Millionen Forint Darlehen (umgerechnet rd. 41.000 Euro). Für weniger als drei Kinder und beim Kauf von gebrauchten statt Neubau-Immobilien liegt der Zuschuss deutlich niedriger.
Wohnraum wird immer teurer
Die Ungarn nutzen die Förderung gerne. Dadurch sind die Immobilienpreise allerdings enorm gestiegen. Laut Eurostat war dieser Anstieg zwischen 2010 und 2021 der dritthöchste in der EU und lag bei 108,9 Prozent. Mit den staatlichen Zuschüssen und Niedrigzinsdarlehen können sich Familien allerdings immer weniger Wohnfläche leisten. Dass sich die 2015 eingeführte Familienförderung als einer der Preistreiber auf dem Immobilienmarkt erwiesen hat, räumte inzwischen auch Familienministerin Katalin Novák ein.
Wie sind die Immobilienpreise in Ungarn? In Budapest liegt der durchschnittliche Quadratmeterpreis bei 700.000 Forint (umgerechnet rund 1.900 Euro). Für eine 60-Quadratmeter-Wohnung muss man durchschnittlich 114.000 Euro bezahlen. Außerhalb der Hauptstadt sind die Preise niedriger. Eine vergleichbare 60-Quadratmeter-Wohnung kostet in der südostungarischen Stadt Szeged nur noch 84.000 Euro.
Eine weitere Schwachstelle des Förderprogramms: Es begünstigt vor allem Familien mit höheren Einkommen, die beim Immobilienkauf einen hohen Eigenanteil vorweisen können. Denn die Banken führen vor der Kreditvergabe auch bei den staatlich geförderten Niedrigzinsdarlehen eine Bonitätsbeurteilung nach den üblichen Kriterien durch. Familien mit niedrigerem Einkommen und Alleinerziehende bekommen da oft Probleme. Auch deshalb hält sich der Erfolg des Programms in Grenzen: Nach den letzten veröffentlichten Zahlen (die allerdings etwa eineinhalb Jahre alt sind) haben 145.000 Familien Förderung aus dem CSOK-Programm in Anspruch genommen. Dabei gibt es in Ungarn etwa eine Million Familien, die wenigstens ein Kind erziehen, das unter 20 Jahre ist und noch eine Schule besucht.
Nicht für arme Menschen gedacht
"Uns haben die Förderungen tatsächlich geholfen. Allerdings finde ich die Kritik, dass von diesen Förderungen vor allem Haushalte mit höheren Einkommen profitieren, berechtigt”, teilt der Anwalt Ádám Németh (34). Mit seiner Frau, die ebenfalls in einer Anwaltskanzlei arbeitet, erziehen sie zwei Töchter. 2018 haben sie es geschafft, in einer Kleinstadt im "Speckgürtel" von Budapest ein Einfamilienhaus zu kaufen. Dafür haben sie sowohl den Zuschuss für Zwei-Kinder-Familien in Höhe von 2,5 Millionen Forint (rund 6.800 Euro) als auch ein günstiges Darlehen in Höhe von 27.000 Euro beantragt. Zusätzlich mussten sie noch einen kommerziellen Kredit ohne staatliche Förderung aufnehmen. Ein eigenes Zuhause hätten sie sich sonst kaum leisten können – dabei sind sie für ungarische Verhältnisse finanziell gut gestellt.
Doch obwohl sie die Hälfte des Kaufpreises aus eigenen Mitteln finanzieren konnten und beide aussichtsreiche Berufe ausüben, gab es nur wenige Geldinstitute, von denen sie ein Kreditangebot erhalten haben. Denn der junge Anwalt arbeitet als Freiberufler, was die Banken als potenzielles Risiko einstufen. Mehr staatlichen Zuschuss wollte das Paar jedoch nicht beantragen: Dazu hätten sie sich verpflichten müssen, in zehn Jahren drei Kinder zu kriegen. "Das ist eine tiefst persönliche Entscheidung, die wir einfach nicht treffen wollten", erklärt Ádám Németh.
Nur wenige wollen sich auf drei Kinder festlegen
Ähnlich wie Ádám Németh und seine Frau denken wohl die meisten Paare. Wie das Fachblatt der Ungarischen Nationalbank berichtet, entfielen 82 Prozent der Drei-Kinder-Zuschüsse auf Familien, die diese drei Kinder schon hatten. Nur 18 Prozent der Antragsteller waren bereit, sich im Voraus zu verpflichten, in Zukunft mindestens drei Kinder zu zeugen. Außerdem konnten dem Blatt zufolge Familien mit niedrigeren Einkommen deutlich weniger Förderung beantragen als gut betuchte Familien.
Ob die staatliche Familienförderung die Geburtenrate überhaupt beeinflusst, ist umstritten. Experten sind einig, dass der Kinderwunsch von vielen Faktoren abhängig ist und dass staatliche Fördermaßnahmen allein die Menschen nicht unbedingt dazu bringen, (mehr) Kinder zu bekommen. Zwar ist die Gesamtfertilitätsrate in Ungarn nach einem Tiefpunkt im Jahr 2011 von 1,23 auf inzwischen 1,56 Prozent gestiegen, jedoch ist diese Zahl allein nicht maßgeblich. Denn die Zahl der Frauen im gebärfähigen Alter wird in der Zukunft weiter abnehmen, die Politik muss also auch bei den optimistischen Szenarien mit sinkenden Geburtenzahlen rechnen.
Regenbogenfamilien sind unerwünscht
Und obwohl der hohe Wert der Familie andauernd betont wird, sind für die ungarische Regierung nicht alle Familien gleichermaßen wertvoll. Die etwa 1.000 Regenbogenfamilien, die derzeit in Ungarn Kinder erziehen, passen nicht ins Familienbild der Regierung. Das macht sie mit ihren Anti-LGBT-Kampagnen klar und vor Kurzem ließ sie sogar in der Verfassung festschreiben: "Die Mutter ist eine Frau, der Vater ist ein Mann".
Ein homosexuelles Paar, das Kinder erzieht, wie Móni Rapi (34) und Réka Spohn (35), wird als Familie gesetzlich nicht anerkannt. Offiziell gilt nur eine von ihnen als Elternteil – die Frau, die das Kind auf die Welt gebracht hat. Die registrierte Partnerschaft ist zwar für gleichgeschlechtliche Paare in Ungarn seit 2009 erreichbar, allerdings ist es nicht erlaubt, das Kind des registrierten Partners zu adoptieren. "Die Antwort der Regierung auf unsere Probleme lautet, kurz gesagt, dass solche Probleme gar nicht existieren, da es gar keine solchen Familien wie uns gibt", sagt Réka Spohn.
Die Familienförderungen kann die Zwei-Kinder-Familie deshalb nur begrenzt nutzen: Den Immobilienzuschuss kann sie nur für bereits geborene Kinder beantragen. Für noch nicht geborene Kinder können nur verheiratete heterosexuelle Paare eine Förderung im Voraus beantragen. Auch für die Beantragung des 2019 eingeführten zinsfreien, frei verwendbaren Baby-Darlehens in Höhe von bis zu 27.000 Euro muss man hetero und verheiratet sein.
Dieses Thema im Programm: MDR AKTUELL Radio | 08. Januar 2022 | 06:30 Uhr