Ungarn Wie ein Impfstoff-Vorteil zum Impf-Nachteil wird
Hauptinhalt
20. Juli 2021, 16:12 Uhr
Ungarn hatte frühzeitig auf Impfstoffe aus China und Russland gesetzt, um die anfängliche Impfstoffknappheit zu überbrücken. Doch das rächt sich jetzt. Denn wer mit Sputnik V oder Sinopharm geimpft ist, muss mit zusätzlichen Auflagen rechnen. Auch steht für manchen ab August schon die dritte Impfung an.
Im Frühjahr gehörte Ungarn noch zu den Ländern Europas, die am zügigsten mit den Impfungen vorankamen. Grund war der üppige Impfstoff-Vorrat. So hatte das Land große Mengen Impfstoff aus China und Russland erhalten, bevor die Vakzine aus der gemeinsamen Bestellung der EU eingetroffen waren. Die ungarische Regierung wird bis heute nicht müde, zu betonen, dass die hohe Impfquote eine frühere Lockerung des Lockdowns und vor allem den Schutz von Menschenleben ermöglicht habe.
Erste Impfzielmarke erreicht
Doch der Vorsprung Ungarns an der Impffront schrumpft. Derzeit haben über 5,5 Millionen Menschen eine Erstimpfung erhalten, das sind gut 54 Prozent der Bevölkerung. Die Zahl war von der Regierung als wichtige Zielmarke ausgegeben worden. Sie wurde mit der Abschaffung der Maskenpflicht an zahlreichen öffentlichen Orten belohnt. Auch muss derzeit beim Besuch von Restaurants, Kultureinrichtungen oder Schwimmbädern kein gültiges Impfzertifikat vorgelegt werden.
Plakatkampagne soll Menschen in Ungarn motivieren
Bis zur sogenannten Herdenimmunität, für die die ungarische Regierung eine Impfquote von 80 bis 85 Prozent empfiehlt, ist es noch ein weiter Weg. Doch kann sie in Ungarn überhaupt erreicht werden? Umfragen zufolge sind nur 60 Prozent bereit, sich auch impfen zu lassen. Familienärzte soll deshalb jetzt ihre über 60 Jahre alten Patienten einzeln anrufen, um sie persönlich für eine Immunisierung zu motivieren.
In einer staatlichen Plakatkampagne unter dem Motto "Impfen rettet Leben" werben derzeit Sportler, Medienschaffende sowie Künstler wie die Sängerin Katja Wolf, für eine Corona-Schutzimpfung. Mit der Kampagne will die Regierung an die Eigenverantwortung jedes Einzelnen appellieren. Zugleich wird jetzt damit geworben, dass es so viel Impfstoff im Land gibt, dass die Impfwilligen sogar zwischen den verschiedenen Herstellern wählen können.
Geimpft ist nicht gleich geimpft
Wer sich jedoch in der Vergangenheit in Ungarn mit dem russischen Impfstoff Sputnik V oder wie Regierungschef Viktor Orbán mit dem chinesischen Sinopharm impfen ließ, muss jetzt zusätzliche Auflagen hinnehmen. Das digitale Impfzertifikat der EU, mit dem das Reisen innerhalb der Union vereinfacht werden soll, gilt beispielsweise nur für die in der EU zugelassenen Impfstoffe und damit nicht für Sputnik V oder Sinopharm. Jedes EU-Land darf selbst entscheiden, wie es damit umgeht. Deutschland verlangt in diesem Fall bei der Einreise von den mit Sputnik V- oder Sinopharm-Geimpften einen zusätzlichen Negativ-Test.
Drittimpfungen beginnen ab August
Auch in Ungarn sorgt der chinesische Impfstoff Sinpoharm nun für Diskussionen. Immer wieder berichten Medien von Impfwilligen, bei denen nach einer Sinopharm-Impfung keine Antikörper gegen Covid-19 nachgewiesen werden konnten. Betroffen sind mehrheitlich Ältere, eine ausreichende Datenlage steht derzeit noch nicht zur Verfügung.
Inzwischen haben mehrere Staaten angekündigt, Sinopharm-Geimpften eine Nachimpfung mit einem mRNA-Vakzin anzubieten. Auch ungarische Virologen halten das für sinnvoll, vor allem bei Personen, bei denen keine Immunantwort nachgewiesen werden konnte. Davon ist jetzt auch die Budapester Regierung überzeugt. Sie kündigte dieser Tage an, ab 1. August Drittimpfungen zu ermöglichen.
Dieses Thema im Programm: MDR AKTUELL FERNSEHEN | 05. Februar 2021 | 17:45 Uhr