Opposition in Ungarn Ein Herausforderer für Orbán
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19. Oktober 2021, 18:26 Uhr
Der konservative Péter Márki-Zay wird die gesammelte ungarische Opposition in die Parlamentswahlen 2022 führen. Mit vereinten Kräften, so die Hoffnung, werden sie Ministerpräsident Viktor Orbán ablösen und das Land zu re-demokratisieren. Die Koalition nahezu aller Oppositionsparteien ist allerdings ein Zweckbündnis mit einigen Tücken.
Die ungarischen Vorwahlen sind mit einer handfesten Überraschung zu Ende gegangen: Dem konservativen Kleinstadt-Bürgermeister Péter Márki-Zay hatte kaum ein politischer Beobachter den Sieg zugetraut. Er setzte sich in der zweiten Runde gegen die Vize-Präsidentin des Europäischen Parlaments, Klára Dobrev, durch, die der linksliberalen DK angehört.
Die Vorwahlen sind das Ergebnis der erstmaligen Einigung zwischen den ungarischen Oppositionsparteien, zu den Parlamentswahlen 2022 mit einem gemeinsamen Spitzenkandidaten und einer gemeinsamen Liste anzutreten. Der Spitzenkandidat und die Direktkandidaten für die Wahlkreise wurden nun durch die Vorwahlen bestimmt.
Nach einem harten Vorwahlkampf, der auch persönliche Angriffe beinhaltete, gratulierte die Unterlegene dem Sieger, der seinerseits versöhnliche Töne anschlug. Er dankte seiner Konkurrentin und ihren Wählern und sagte, man würde gemeinsam weitergehen. "Wir wollen ein neues und saubereres, ehrenhaftes Ungarn", so Márki-Zay.
Ein überraschendes Ergebnis
Péter Márki-Zay war bereits im Jahr 2018 eine kleine politische Sensation gelungen, als er sich bei den Bürgermeisterwahlen der als Fidesz-Hochburg geltenden Kleinstadt Hódmezővásárhely durchsetzte. Optimistische Oppositionelle sahen darin ein gutes Omen für die im selben Jahr stattfindenden Parlamentswahlen – es kam bekanntermaßen anders. Der Vater von sieben Kindern inszeniert sich als nüchterner Politiker vom Land, der sich auf den gesunden Menschenverstand verlässt. Allerdings ist er auch mit homophoben Äußerungen aufgefallen und will Rassismus mit "Liebe" bekämpfen.
Die Europapolitikerin Dobrev hatte im Wahlkampf mit einer politischen Hypothek zu kämpfen: ihrem Ehemann, dem ehemaligen Ministerpräsidenten Ferenc Gyurcsány. Der hatte während seiner Amtszeit vor parteiinternen Gremien zugegeben, die Wähler belogen zu haben. Das Ganze kam raus und auch deshalb gilt er noch heute als der unbeliebteste Regierungschef der Nachwendezeit.
Der Oberbürgermeister von Budapest, Gergely Káracsony, hatte seine Bewerbung während des zweiten Wahlganges überraschend zugunsten von Márki-Zay zurückgezogen – auch, weil er glaubte, der habe die besten Chancen, Orbán zu schlagen.
"Ein Produkt der Verzweiflung"
Seit 2010 Regiert in Ungarn Viktor Orbán – meist mit einer verfassungsgebenden Zwei-Drittelmehrheit. Die hat er genutzt – auch, um seine eigene Macht zu zementieren. Seitdem gab es immer wieder Kritik an dem von Orbán vorangetriebenen Demokratieabbau – unter anderem von Seiten der EU, die wegen der Verletzung Europäischen Rechts immer wieder Klagen gegen Ungarn angestrengt hat. Innerhalb des Landes hat Orbán bisher aber immer wieder davon profitiert, dass die demokratische Opposition notorisch zerstritten ist, und sich deshalb immer wieder neue Splitterparteien und Bündnisse gründen und auflösen.
Das breite Oppositionsbündnis, das sich jetzt zusammengefunden hat, ist nicht ohne Tücken. Denn hier versammeln sich nicht nur Konservative, Sozialdemokraten, Liberale, Sozialliberale und G rüne, sondern auch die Partei Jobbik, die jahrelang mit rechtsextremen Positionen von sich reden machte. Deren Parteimitglieder gefielen sich etwa darin, gemeinsam mit paramilitärischen Einheiten die Roma-Minderheit zu schikanieren, hetzten gegen Juden, Migranten, Linke und gegen die EU. Seit rund drei Jahren tritt Jobbik gemäßigter auf, präsentiert sich als christlich-nationalkonservative Partei.
Fidesz und Jobbik gegen LGBTQI
Die deutsch-ungarische Kulturwissenschaftlerin Magdalena Marsovszky, die zur rechten Szene in Ungarn forscht, glaubt nicht an einen echten Wandel der Jobbik. Allerdings sieht sie auch kaum einen ideologischen Unterschied zur Regierungspartei Fidesz: "Die haben absolut dieselbe Ideologie. Sehr stark rassistisch, sehr stark homophob, nicht von den Menschenrechten aus gedacht, sondern völkisch-national. Sowohl Fidesz, als auch deren kleinen Koalitionspartner KDNP, als auch Jobbik würde ich zum gegenwärtigen Zeitpunkt als neurechte Parteien bezeichnen." So wurde beispielsweise das vielkritisierte Anti-LGTBQI-Gesetz mit den Stimmen dieser drei Parteien verabschiedet.
"Die Anti-Orbán-Opposition ist ein Produkt der Verzweiflung" sagte der Philosoph und Bürgerrechtler Gáspár Miklós Tamás dem Polit-Magazin Politico. "Von "woker" Identitätspolitik zu sexistischem, rassistischem und zutiefst reaktionärem Gerede kann man in dieser Opposition alles finden." Da gibt es wenig Gemeinsamkeiten, dafür aber zahlreiche Gräben zu überbrücken.
Das Wahlrecht begünstigt die stärkste Partei
Dass sich eine Koalition nicht, wie etwa in Deutschland, erst nach der Wahl zusammenfindet, hat seinen Grund im neuen, von der Regierung Orbán gestalteten ungarischen Wahlrecht: Die Direktmandate werden in nur einem Wahlgang vergeben und machen 106 der 200 Sitze im Parlament aus. Lediglich die restlichen 94 Sitze werden nach dem Verhältniswahlrecht vergeben. Überhang- oder Ausgleichsmandate gibt es, anders als in Deutschland, nicht. Das nutzt der stärksten Partei, also Fidesz: Bei den Parlamentswahlen 2018 wurden so aus weniger als der Hälfte der Wählerstimmen zwei Drittel der Parlamentssitze.
Für die Opposition liegt daher die einzige realistische Chance, Fidesz zu besiegen, darin, in jedem Wahlkreis nur einen gemeinsamen Kandidaten aufzustellen. Diese Kandidaten sind nun ebenfalls während der Vorwahlen ermittelt worden – und 29 der 106 Wahlkreise gingen an Jobbik, das heißt: Die Wähler haben bei der Parlamentswahl in diesen Wahlkreisen nur die Wahl zwischen einem Fidesz-Kandidaten und einem Vertreter der Jobbik-Partei.
Kandidaten.
Einige Themen und ein gemeinsamer Gegner
Bereits im Dezember vergangenen Jahres haben die Oppositions-Parteien eine gemeinsame Garantie abgegeben. Darin verpflichten sie sich, die Vorwahlen nicht nur durchzuführen, sondern auch die Ergebnisse zu akzeptieren. Kandidieren konnte nur, wer sich einer strengen Überprüfung unterzieht und sich dem gemeinsamen Programm verpflichtet. Aussagen gegen die Menschenwürde und eine "prinzipienlose Zusammenarbeit mit Fidesz" waren dagegen Ausschlussgründe.
Im Falle eines Wahlsieges bei den Parlamentswahlen im April 2022 verpflichten sich die Parteien, eine Reform des Wahlrechtes nach dem Prinzip des Verhältniswahlrechtes durchzuführen, die Pressefreiheit wiederherzustellen, und die "systematische Korruption" zu bekämpfen. Und sie versprechen einen gesellschaftlich breit angelegten Prozess zur Erarbeitung einer neuen Verfassung, und einen Volksentscheid zu deren Ratifizierung. Die Verfassung war von der aktuellen Regierung mithilfe der Zweidrittelmehrheit 2010 neu geschrieben, und immer wieder umgeschrieben worden.
Umstrittene Pläne zur Verfassungsreform
Doch genau dieses Versprechen einer Verfassungsreform wird in Ungarn auch von manchen der Opposition eigentlich zugeneigten Staatsrechtlern skeptisch gesehen. Denn dass die Opposition bei den Wahlen eine verfassungsändernde Zwei-Drittel-Mehrheit erhält, gilt als nahezu ausgeschlossen. Ein Versuch, die Verfassung ohne eine entsprechende Mehrheit außer Kraft zu setzen, würde aber vom Verfassungsgericht, verhindert werden. Das wiederum könnte zu einer Blockade führen, die das ganze Land unregierbar macht.
Und so hält dieses Oppositionsbündnis vor allem ein Ziel zusammen: die Ablösung der Regierung Orbán – und nicht so sehr das Engagement für Demokratie und Menschenrechte. Genau deshalb steht die Kulturwissenschaftlerin Marsovszky dem Bündnis skeptisch gegenüber: "Versuchen muss man das wohl, aber ich sehe große Probleme. Zumal Teile der Opposition sich auch einer populistischen Sprache bedienen, und sagen "Wir müssen Orbán einsperren".
Die lachenden Dritten?
Eine Partei, die dem Oppositionsbündnis nicht beitreten wollte, ist die Partei des zweischwänzigen Hundes, eine Spaßpartei, die in der Vergangenheit vor allem mit lustigen Guerilla-Aktionen auf sich aufmerksam gemacht hat. Doch nach den Wahlen könnte aus Spaß ernst werden. Aktuelle Umfragen sehen die Partei bei fünf Prozent, sie könnte also ins Parlament einziehen. Und dort bei einem knappen Wahlausgang zur Königsmacherin werden.
Dieses Thema im Programm: MDR AKTUELL RADIO | 23. Oktober 2021 | 07:15 Uhr