Jüdisches Leben in Ungarn Jamie Lee Curtis und die Synagoge ihrer Vorfahren
Hauptinhalt
04. August 2021, 13:20 Uhr
Tony Curtis' Tochter, die US-Schauspielerin Jamie Lee Curtis will eine sanierungsbedürftige Synagoge in der ungarischen Kleinstadt Mátészalka zu neuem Leben erwecken. In dem Gotteshaus beteten einst Curtis' Großeltern.
New York und die ungarische Kleinstadt Mátészalka liegen mehr als elf Flugstunden auseinander, doch die Familiengeschichte des Hollywood-Stars Tony Curtis verbindet die beiden Orte. Wer darüber etwas erfahren will, könnte auch ins 16.000 Einwohner zählende Mátészalka fahren, wo seit diesem Sommer die persönlichen Gegenstände des Schauspielers, die die Curtis-Familie der Stadt Mátészalka geschenkt hat, in einem Gedächtniszimmer zu sehen sind. Curtis starb 2010 im Alter von 85 Jahren in den USA.
Tony Curtis stammt aus einer jüdischen Familie: Seine Eltern, Manó Schwartz und Ilona Klein, betrieben im ungarischen Mátészalka eine Schneiderei, bevor sie in die USA auswanderten, wo Curtis 1925 in New York das Licht der Welt erblickte.
Der Hollywood-Star blieb mit Ungarn verbunden, beteiligte sich finanziell an der Renovierung der Synagoge in der ungarischen Stadt Tokaj, stiftete in der Hauptstadt Budapest eine Gedenkstätte, die an die im Zweiten Weltkrieg getöteten Juden erinnert.
Gebetshaus der Großeltern
Jetzt hat seine Tochter, die US-Schauspielerin Jamie Lee Curtis, ähnliche Erinnerungsarbeit vor. Beim Besuch des Museums im ungarischen Mátészalka bot sie der Stadtverwaltung an, Spendengelder zur Renovierung der über 160 Jahre alten Synagoge des Ortes zu sammeln. Auf Instagram postete die 62-jährige Hollywood-Schauspielerin, die im Juni zu Dreharbeiten in Ungarn war, dass in dem Gotteshaus einst ihre Großeltern gebetet haben. Die leerstehende Synagoge sei ein "außergewöhnliches Gebäude", das die Verwaltung durch eine Renovierung in ein Gemeindezentrum für Feiern, Kunst und Musik verwandeln wolle, schrieb Curtis weiter.
Kurz erklärt: Vernichtung ungarischer Juden im Nationalsozialismus In den 1940er-Jahren gab es in Ungarn und den annektierten Gebieten in der Slowakei, Rumänien und Jugoslawien rund 800.000 Juden. Im Mai 1944 begannen die Deportationen nach Auschwitz-Birkenau – unter der Leitung eines nationalsozialistischen Stabes, den Adolf Eichmann anführte und unter Mitarbeit der ungarischen Behörden. Nach Angaben des Dachverbandes Mazsihisz wurden während des Holocaust rund 600.000 ungarische Juden ermordet, etwa 200.000 überlebten die Shoah.
Die Synagoge gehört dem Dachverband der jüdischen Gemeinden in Ungarn (Mazsihisz), der 1998 der Stadt Mátészalka die Nutzung des Gebäudes für bis zu 99 Jahre übertragen hat. Das im Jahr 1857 gebaute jüdische Gotteshaus steht unter Denkmalschutz und wird bereits für Kulturveranstaltungen genutzt. Doch obwohl Stadt und ungarischer Staat vor 20 Jahren Mittel zur Sanierung locker gemacht hatten, ist die Synagoge heute in keinem guten Zustand.
Keine jüdische Gemeinde mehr
Eine jüdische Gemeinde, die das Synagogengebäude nutzen und betreuen könnte, gibt es in Mátészalka nicht mehr. Noch vor dem Zweiten Weltkrieg waren rund 15 Prozent der Bevölkerung im Ort Juden. Doch in den 1920er-Jahren hatte die antisemitische Stimmung in Ungarn deutlich zugenommen. Hetzjagden auf Juden konnten nur mühsam unter Kontrolle gebracht werden. Als im März 1944 deutsche Truppen Ungarn besetzten, wurden die ungarischen Juden vollständig entrechtet, ab April begann ihre Deportation unter aktiver Mitwirkung ungarischer Behörden.
Aus der Kleinstadt Mátészalka wurden rund 1.500 Juden nach Auschwitz deportiert. Nach dem Krieg kehrte ein Teil der Überlebenden des Holocaust in ihre Heimatgemeinden zurück, so auch nach Mátészalka. Damit zog auch wieder religiöses Leben in die Synagogen ein.
"Jedoch hat auch die religionsfeindliche, kommunistische Diktatur die Juden nicht verschont", heißt es vom Dachverband der jüdischen Gemeinden in Ungarn, Mazsihisz. Viele Synagogen wurden vom kommunistischen Staat übernommen, in einigen Fällen sogar gegen den Willen der noch existierenden Gemeinden umgebaut oder sogar abgerissen. Schätzungsweise 20.000 ungarische Juden, darunter auch jene aus Mátészalka, kehrten nach dem Ungarischen Volksaufstand 1956 dem Land den Rücken, wanderten in die USA oder nach Israel aus. Ein Teil der Juden aus den ländlichen Provinzen zog in die Hauptstadt Budapest, wo heute fast 95 Prozent aller ungarischen Juden leben.
Zwischen Verfall und Neunutzung
Viele Synagogen in Ungarn werden inzwischen als Bibliotheken, Museen, Gemeinschaftsräume oder Konzerthallen genutzt. Wichtig sei, dass sie erhalten blieben, heißt es vom Dachverband jüdischer Gemeinden in Ungarn. Denn sie würden auch auf diese Weise an ihre Erbauer erinnern. Doch gibt es – vor allem im ländlichen Raum – mehrere Synagogen, die dem Verfall preisgegeben sind. Die Gründe dafür sind vielfältig: Viele Gemeinden und Kommunen haben oft nicht die nötigen Mittel für eine Sanierung, zudem gibt es nach Angaben des jüdischen Dachverbands Mazsihisz auch teils "konfuse Eigentumsverhältnisse, die eine Wiederbelebung der Gotteshäuser unmöglich machen".
Aber es gibt auch Erfolgsgeschichten: Im vergangenen Jahrzehnt wurden mithilfe staatlicher Mittel landesweit mehrere Synagogen renoviert. Im Juni konnte in Budapest die historische Rumbach-Synagoge nach aufwändiger Restaurierung wiedereröffnet werden. Sie wird jetzt multifunktional genutzt: als Gebetsraum und als Bildungszentrum für Kunst und Kultur. Nicht weit davon entfernt befindet sich die bekannte Große Synagoge. Beide jüdischen Gotteshäuser entstanden im 19. Jahrhundert nach Plänen österreichischer Architekten. Nach Meinung des Dachverbandes Mazsihisz warten in Budapest die beiden schönsten Synagogen Europas auf ihre Besucher.
Auch für die Synagoge in der ungarischen Kleinstadt Mátészalka, die vor allem im Inneren eine Renovierung dringend nötig hätte, könnte es eines Tages ein Happy-End geben – dank der Hollywood-Schauspielerin Jamie Lee Curtis.
Dieses Thema im Programm: MDR AKTUELL FERNSEHEN | 01. Juli 2021 | 18:12 Uhr